Inge Höger

Das Parlament ist eine Bühne, kann aber die Macht des Kapitals nicht aushebeln – Im Gespräch mit Inge Höger

Rosa Luxemburg bezeichnete einst das „Parlament als Bühne für den Klassenkampf“, heute sehen viele Linke ihre wichtigste Aufgabe in Anträgen und Beteiligung am Parlamentarismus. Wir haben mit Inge Höger, die für die Linke 12 Jahre im Bundestag saß, über ihre Erfahrungen im Parlament, die Möglichkeiten zu Veränderungen und außerparlamentarische Bewegungen gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Inge du warst 12 Jahre im Bundestag, was nimmst du aus dieser Zeit mit?

Inge Höger: Ich habe in dieser Zeit vielfältige Erfahrungen über die Wirkungen des Parlamentarismus sammeln können. Zum einem hätte ich mir vorher nicht vorstellen können, wie groß der Einfluss der Wirtschaftslobby ist und wie subtil das Vorgehen der Lobbyisten. Aber die wichtigste Erkenntnis ist, dass es kaum möglich ist über die Arbeit im Parlament zu gesellschaftlichen Veränderungen zu kommen. In den Ausschüssen und im Plenum können linke und antikapitalistische Abgeordnete die Politik der herrschenden Klasse angreifen und Alternativen aufzeigen, sie können das Parlament als Bühne für die außerparlamentarische Opposition nutzen, aber die Macht des Kapitals können sie aus dem Parlament heraus nicht aushebeln. Ich nehme deshalb vor allem die Erkenntnis mit, dass es wichtig ist, aufzuklären über die Nebelkerzen des Parlaments und die Kämpfe außerhalb des Parlaments zu unterstützen.

Die Freiheitsliebe: Was war dein bewegenstes Ereignis?

Inge Höger: Im Raumschiff Bundestag gibt es kaum bewegende Ereignisse. Wichtig war mir immer, zum einen den Kontakt zu den sozialen Bewegungen und insbesondere zur Friedensbewegung zu halten und bei Aktionen und Demonstrationen draußen dabei zu sein. Zusätzlich haben die Möglichkeiten genutzt, zu Anhörungen oder Fachgesprächen Vertretungen aus den Bewegungen in den Bundestag einzuladen, damit sie dort ihre Forderungen vortragen bzw. ins Parlament tragen können.
Nach dem Erscheinen der Body-Count-Studie der IPPNW über die Opfer der Kriege in Afghanistan, Pakistan und dem Irak habe eine große Anfrage an die Bundesregierung mit auf den Weg gebracht. Die Antworten ergaben, dass die Bundesregierung die Folgen ihrer Kriegseinsätze weder untersucht noch kennt. Und die Rede im Plenum dazu mit Vertretern der IPPNW auf der Tribüne war ein besonderes Ereignis und ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit mit Bewegungen.
Auch wenn Abgeordnete der Regierungsfraktionen bei meinen Reden die Worte „neoliberale Politik“ oder die Benennung der Ursachen von Waffenexporten und Kriegen nicht hören wollten und mit Zwischenrufen kommentierten, habe ich richtige Dinge angesprochen. Ein wirklich einschneidendes Erlebnis war die Teilnahme an der Gaza-Flottille gegen die Blockade des Gaza-Streifens und der Überfall der israelischen Armee auf diese friedliche Solidaritätsflottille in internationalen Gewässern.

Die Freiheitsliebe: Was erhoffst du dir von der neuen Fraktion für die kommenden Jahre?

Annette Groth mit dem Knesset-Mitglied Hannen Zoabi und der Bundestagsabgeordneten Inge Höger – Quelle: Linke BW

Inge Höger: Meine größte Hoffnung ist, dass die neue Fraktion dabei bleibt, die neoliberale Politik der Banken und Konzerne zu kritisieren, Alternativen aufzuzeigen und keine Illusionen in die Möglichkeiten des Parlamentarismus verbreitet. Gerade nach dem Einzug der AfD ins Parlament ist eine klare linke Opposition wichtig. Die Linksfraktion muss den Widerstand gegen die Politik der Herrschenden und jegliche Art von Rassismus organisieren. Es war und ist immer notwendig, gegen Sozialraub und Bankenrettung die Kritik an den herrschenden Eigentumsverhältnissen und ihren Folgen für Beschäftigte und Erwerbslose aufzuzeigen, aufzuklären über Kriege, Freihandel und Klimawandel und deren Folgen von immer mehr Flüchtlingen weltweit. Linke Opposition muss sich gegen Kriege und Militarisierung, für bessere Lebensverhältnisse, Frieden und Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge für alle Menschen hier im Lande und weltweit einsetzen.
Vor allem würde ich mir wünschen, dass mehr linke Abgeordnete dem Beispiel der beiden bisherigen stellvertretenden Landessprecherinnen aus NRW folgen würden, die nach dem Einzug ins Parlament von ihren Parteiposten zurück getreten sind. Gerade die ersten Auseinandersetzungen in der neu gewählten Bundestagsfraktion zeigen, wie wichtig die Trennung von Amt und Mandat und der Vorrang der Partei bei politischen Entscheidungen sind. Das Primat der Politik wird kaum noch umsetzbar sein, wenn fast der gesamte geschäftsführende Parteivorstand auch im Bundestag sitzt. Es geht bei allen Auseinandersetzungen immer um die politische Ausrichtung der Partei gegen Neoliberalismus und Rassismus.
Ich wünsche mir von der neuen linken Fraktion, dass sie trotz dieser Verquickung von Partei und Fraktion standhaft und glaubwürdig bleibt und sich nicht dem neoliberalen Mainstream anpasst und nur noch parlamentarisch mitspielt. Dazu gehört vor allem, bei den sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfen und Aktionen präsent zu sein und die Forderungen aus diesen Kämpfen ins Parlament zu tragen.

Die Freiheitsliebe: Welche Fehler hat die Fraktion gemacht, was kann man vermeiden?

Inge Höger: Die Fraktion DIE LINKE hat sich viel zu sehr auf die parlamentarischen Abläufe eingelassen. Auch die Verquickung von Partei und Fraktion haben einer Stellvertretungspolitik Vorschub geleistet. Das Parlament wurde immer weniger als Bühne für außerparlamentarische Bewegungen genutzt. Es gab ein paar gute Aktionen, aber es wurden zunehmend weniger. Vielen Abgeordneten war es wichtiger, sich an die parlamentarischen Abläufe und Gepflogenheiten anzupassen. Dabei waren Aktionen wie die zum Gedenken an die Opfer von Kunduz durch der Bombardierung von Zivilisten auf Befehl eines deutschen Offiziers sehr wichtig für das friedenspolitische Profil der Fraktion. Auch das feministische Zeichen, als am Internationalen Frauentag nur die Frauen der Fraktion an den Sitzungen teilnahmen, hat positive Reaktionen in der Frauenbewegung hervorgerufen. Die Möglichkeiten gesellschaftliche Missstände anzuprangern sind eher gering, aber die Fraktion sollte mehr dazu übergehen, das Parlament wirklich als Bühne für soziale Kämpfe zu nutzen und nicht der Hoffnung erliegen, durch gute Anträge zu politischen Veränderungen zu kommen.

Die Freiheitsliebe: Du stehst für den linken revolutionären Flügel der Linken, würdest du sagen, dass die Arbeit im Bundestag dazu beitragen kann, dem Schritt einer sozialistischen Gesellschaft näher zu kommen?

Inge Höger: Es ist wichtig, in und außerhalb des Parlaments für eine sozialistische Gesellschaft einzutreten. Antikapitalistische Linke müssen auch im Parlament vertreten sein und das Parlament nutzen als Bühne für die Forderungen der Arbeiter*innenklasse und der sozialen Bewegungen und der Friedensbewegung. Sie können und müssen durch ständiges Nachfragen vielfältige Informationen kommen und diese veröffentlichen .So können sie aufklären über die Wirkungen von Auslandseinsätzen, Waffenexporten sowie Gesetzen wie dem Sozialraub durch die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetzte ebenso wie dem Schleifen des Grundrechts auf Asyl und der Abschottung der Grenzen der EU gegen Flüchtlinge. Die Arbeit von Revolutionär*innen im Parlament kann viel beitragen zur Aufklärung und Bildung von Partei, Gewerkschaften und Bewegungen und damit beitragen zur Unterstützung ihrer Kämpfe für bessere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, öffentliche Daseinsvorsorge und gegen Kriege und die Zerstörung des Klimas und deren Folgen.

Die Freiheitsliebe: Wo wirst du in Zukunft deine Arbeitsschwerpunkte setzen?

Inge Höger: Gerade nach den Wahlerfolgen der rechtspopulistischen und rassistischen AfD ist es mir wichtig, mich in Zukunft verstärkt für die Entwicklung der Partei DIE LINKE als sozialistische klassenkämpferische Partei einzusetzen. Ich habe deshalb auf dem letzten Parteitag der Partei DIE LINKE. in NRW als stellvertretende Landesvorsitzende kandidiert und bin gewählt worden. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um mich für eine bessere Verzahnung von parlamentarischer Arbeit und Parteientwicklung einzusetzen und mich weiterhin für Frieden und soziale Gerechtigkeit und gegen jedweden Rassismus zu kämpfen. Wichtig ist dafür Bildung und Aufklärung über die Wirkungen kapitalistischer Machtverhältnisse und die Ursachen von Armut und Flucht.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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