Britische Gewerkschafter beschließen Erklärung zum Ukrainekrieg: Gegen Russlandsangriff und Natopolitik!

Die Konferenz der University and College Union (UCU) verabschiedete kürzlich eine Resolution gegen Krieg in der Ukraine, die sowohl die NATO als auch die russische Invasion kritisierte. Die Gewerkschaftsführer geloben, sie zu kippen. Sean Vernell, der die Resolution anstieß, antwortet auf Fragen seiner Kritiker.

Socialist Worker: Ist der russische Staat der einzige Agressor in diesem Krieg?

Sean Vernell: Der unmittelbare Auslöser des Krieges war Russlands Angriff auf die Ukraine, und der russische Imperialismus ist einer der Haupttreiber dieses Konflikts. Aber er ist bei weitem nicht der einzige.

Die Rivalitäten und die zwischenstaatliche Konkurrenz hinter dem Ersten Weltkrieg versteht man nicht, wenn man weiß, von wem er erste Schuss kam. Das Gerangel um Vorherrschaft zwischen den USA und Russland mit der Ukraine als Kriegsschauplatz begann 2014 und hinterließ in seinem Gefolge nur Tod und Zerstörung. Nichts ist fortschrittlich an Vladimir Putin’s Invasion. Sie ist absolut ungerechtfertigt und russische Truppen sollen jetzt raus — wie wir in der Resolution gesagt haben, die auf der UCU-Konferenz angenommen wurde.

Aber man kann diese Invasion nicht verstehen, ohne auch die Manöver der USA und ihrer Militärallianz NATO nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu sehen. Zuerst hofften sie, Russland ausnutzen und dominieren zu können, danach forderten sie es heraus. Seit 1990 sind 13 Länder der NATO beigetreten, und ihre Grenzen bewegten sich 800 Kilometer nach Osten.

Die NATO versucht auch, ihre „Interoperabilität“ zu stärken, ihre Fähigkeit, zusammen mit anderen Krieg zu führen. Dazu gehört die Bewaffnung und Schulung von Armeen und die Stationierung von Soldaten in ganz Europa zur Vorbereitung auf Krieg. Für die USA ist dieser Krieg eine Gelegenheit, Russland zu demütigen und zu schwächen und die Niederlagen im Irak und in Afghanistan hinter sich zu lassen. Aber er ist auch eine Gelegenheit, den Druck auf ihren größeren und wichtigsten Gegner China zu erhöhen.

Das Selbstbestimmungsrecht der ukrainischen Bevölkerung ist dem Konflikt zwischen dem russischen Imperialismus und dem der USA komplett untergeordnet. Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden von dem Westen als Kanonenfutter benutzt und kämpfen und sterben in ungeheurer Zahl, um die Macht und den Einfluss des Westens zu erhöhen, vor allem der USA. Das ist mit „Stellvertreterkrieg“ gemeint. Es hat den Anschein eines Krieges ausschließlich zwischen der Ukraine und Russland. Tatsächlich ist es ein viel weiterer Konflikt – und einer, in dem Sozialistinnen und Sozialisten sich keinem der beiden Blöcke der Herrschenden anschließen sollten.

SW: Welche Rolle spielt die NATO tatsächlich?

Sean Vernell: Die Militärallianz NATO wird keinen Frieden bringen. Führende imperialistische Mächte riefen sie 1947 ins Leben, um nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Interessen voranzutreiben. Sie ist eine Angriffsorganisation, die die Interessen der USA, Großbritanniens, Deutschlands und anderer europäischer Mächte schützt. Sie hat vor kurzem angeblich neutrale Staaten wie Finnland aufgenommen. Das könnte zu der furchtbaren Aussicht auf einen Zusammenstoß finnischer und russischer Streitkräfte an den Grenzen des Landes führen. Es war die NATO, die die Spannungen hochtrieb, die schließlich zur russischen Invasion in die Ukraine führten. Deshalb ist essentiell, dass wir nicht der Lüge verfallen, dass eine Intervention der NATO diesen Konflikt beenden könnte. Sie hat ihn mit begonnen.

SW: Die Ukraine bleibt noch in dem tödllchen Spiel des Westens

Sean Vernell: Ein militärischer Sieg für Putins Russland wäre ein Desaster für die ukrainische Bevölkerung. Aber auch ein Sieg der NATO wird die Ukraine zu einem Vasallenstaat reduzieren – nur wird dann der Westen das Sagen haben. Die Ukraine wird vollkommen von der militärischen Stärke der NATO abhängig und ein Spielball des US-Imperialismus sein. Der ukrainische Staatschef Volodymyr Selensky sagte letztes Jahr, dass die Ukraine nach dem Krieg wie ein „großes Israel“ und nicht „liberal“ wie Europa sein wird.

„Es wird uns nicht überraschen, wenn wir Vertreter der Streitkräfte oder der Nationalgarde in Kinos und Supermärkten und Menschen unter Waffen haben“, sagte er. „Ich bin überzeugt davon, dass die Sicherheitsfrage das Thema Nummer eins der nächsten zehn Jahre sein wird. Da bin ich mir sicher“.Er ließ durchblicken, dass er sich die Ukraine als bewaffneten Außenposten des Imperialismus vorstellt – wie Israel.

SW: Helfen die USA und die NATO wirklich der ukrainischen Bevölkerung, wenn sie Waffen in die Ukraine strömen lassen?

Sean Vernell: Den russischen Staat zu sehen, wie er ukrainische Städte beschießt, führt bei vielen Menschen dazu, an einer überwältigenden NATO-Intervention als schnellstem Weg zum Stopp des Blutvergießens festzuhalten. Aber ist Waffen in die Ukraine strömen zu lassen der beste Weg, um das zu erreichen? Und sind die wettstreitenden imperialistischen Kriegstreiber wirklich diejenigen, die der ukrainischen Bevölkerung Frieden und Freiheit bringen? Die Geschichte zeigt uns, dass die Antwort nein lautet.

Diejenigen, die argumentieren, dass imperialistische Interventionen der einzige Weg sind, Frieden zu bringen, müssen sich nach der logischen Schlussfolgerung von mehr Waffenlieferungen in die Ukraine fragen. Wird die Bewaffnung der Ukraine, um mit Russland zu konkurrieren, Rakete um Rakete, Kugel um Kugel, Frieden bringen? Ganz klar nicht.

Und wo hören diese imperialistischen Mächte auf? Zuerst forderte der ukrainische Staat F-16-Kampfjets von den USA und dann Marschflugkkörper. Vielleicht wollen sie als nächstes offensivere Waffen, um in russisches Gebiet vorzudringen und Russlands Drohung mit einem Atomwaffeneinsatz zu begegnen.

Heute sind wir einem Atomkrieg näher als zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem Ende des Kalten Krieges 1991. Nicht alle Ukrainerinnen und Ukrainer denken oder wollen dasselbe. Nicht alle wollen die Eskalation dieses Krieges. Manche verstehen, dass mehr Waffen mehr Tote bringen – auch wenn wir zugestehen, dass das eine Minderheitsmeinung ist. Und nur, weil Menschen in einem Land, das attackiert wird, möchten, dass imperialistische Kräfte mehr Waffen in den Staat reinkippen, bedeutet das nicht, dass Linke dem zustimmen müssen.

SW: Wie kommen wir zum Frieden, wenn mehr Waffen nichts bringen?

Sean Vernell: Leider gibt es keine Abkürzung zum Frieden. Wirkliche Lösungen beginnen mit Bewegungen von unten in Ost und West. Die beste Art, Kriege zu beenden, sind Aufstände gewöhnlicher Menschen gegen ihre eigenen Kriegstreiber. Also sollten wir volle Solidarität üben mit der Antikriegsbewegung in Russland, während wir auch eine stärkere Antikriegsbewegung in Großbritannien und den anderen NATO-Staaten aufbauen. Gegen den Krieg zu sein kann im heutigen Russland nicht nur Haft bedeuten, sondern auch zum Tod führen.

Nur eine Bewegung von Millionen, die auf internationale Solidarität baut, wird diesen Krieg beenden, nicht die Waffenströme in die Ukraine. Diese Art von Bewegung mag fern scheinen, aber die Geschichte hat gezeigt, dass sich die Vorstellungen von Arbeiterinnen und Arbeiter über den Krieg schnell ändern können. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs begegnete dem schottische revolutionäre Führer John MacLean dem Zorn der Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihm nicht zustimmten. Vier Jahre des Schreckens später – und nachdem MacLean wegen seiner Antikriegspositionen inhaftiert und gefoltert wurde – feierten dieselben Arbeiterinnen und Arbeiter seinen antiimperialistischen Standpunkt.

Nach dem schrecklichen Charakter des Krieges und den Auswirkungen auf die Wirtschaft verstanden sie, dass er und seine Mitstreiter:innen richtig lagen. Für MacLean und andere Sozialistinnen und Sozialisten war Frieden etwas, das die Arbeiterinnenklasse für sich selbst erreichen muss, nicht etwas, das imperialistische Führer durch ihre Interventionen herbeiführen können. Wir sollten jeden Ausbruch von Widerstand gegen unsere Herrschenden willkommen heißen und darauf hoffen, dass die Kämpfe gegen den Krieg mit den Kämpfen der Arbeiterklasse um höhere Löhne und gegen die in die Höhe schnellenden Preise und Kürzungen bei wichtigen Leistungen verbunden werden können.

SW: Warum sind Antikriegsresolutionen wichtig?

Sean Vernell: Manche haben gesagt, dass Resolutionen wie die, die wir auf dem Kongress vorgebracht haben, unwichtig seien und Gewerkschafter:innen sich nur auf den Arbeitskampf konzentrieren sollten. Aber Politik dieser Art ist wichtig. Erstens sollte Internationalismus das Fundament des Gewerkschaftertums bilden.

Wir müssen sagen, dass im Krieg die herrschenden Klassen die Armen und die Arbeiterklasse eines Landes ausschicken, um die Armen und die Arbeiterklasse eines anderen zu bekämpfen. Wie MacLean sagte: „Ein Bajonett ist eine Waffe mit einem Arbeiter an beiden Enden.“

Als Sozialistinnen und Sozialisten stellen wir uns an keine Seite, wenn sich imperialistische Mächte gegenseitig bekriegen. Wir stehen auf der Seite der internationalen Arbeiterklasse und zweitens war es unabdingbar für uns, diesen Antrag in einer Zeit zu stellen, in der es immer mehr proimperialistische Stimmen in der Gewerkschaftsbewegung gibt, die angegriffen werden müssen. Auf der Konferenz des Trades Union Congress letzten Jahres stimmten die Gewerkschaftsführer dafür, mehr Geld in die britische Kriegsindustrie zu pumpen. Wir müssen solche Anträge ablehnen und zerreißen.

Als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter müssen wir weiterhin sagen, dass Imperialisten und Arbeiterinnen und Arbeiter niemals auf derselben Seite stehen sollten.

Lies hier die Resolution, die auf dem Kongress verabschieden wurde: bit.ly/UCU0523.

Unterschreibt die Petition, die die Resolution unterstützt und sich gegen die Attacken der Anführervon UCU auf sie stellt: bit.ly/BackUCUmotion.

Der Artikel erschien zuerst im Socialist Worker vom 07.06.2023 übersetzt wurde er von Angelo Kummenis.

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