Auch die Bundeswehr, insbesondere die Marine, schwenkt in ihrer strategischen Ausrichtung auf den Kurs der USA und der NATO ein: Großmachtkonkurrenz. Säbelrasseln gegen Russland und vor allem China. Neben dem Nordatlantikraum steht hier besonders der Indische Ozean als wichtigster Transit des internationalen Handels im Fokus der Expansionspläne von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Mit der Fregatte Hamburg wird bald ein deutsches Kriegsschiff in die indopazifische Region entsendet – ein Schritt über den Rubikon.
von Jürgen Wagner
Bereits vor einiger Zeit untermauerte die heutige EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen noch in ihrer Zeit als deutsche Verteidigungsministerin: „Als politische Allianz [die NATO] fordert uns das herausstechende Merkmal der neuen Sicherheitslage: Die Wiederkehr der Konkurrenz großer Mächte. Unsere amerikanischen Freunde haben das früh erkannt. Wir erkennen es inzwischen auch und wir sehen: Ob wir wollen oder nicht, Deutschland und Europa sind Teil dieses Konkurrenzkampfs. Wir sind nicht neutral. Wir stehen auf der Seite der Freiheit und der Menschenwürde. Wir stehen auf der Seite der Demokratie und der Herrschaft des Rechts. Dafür steht die NATO seit 70 Jahren. Die NATO bietet Verlässlichkeit in einer unberechenbaren Welt.“
Spätestens mit der Veröffentlichung der „Konzeption der Bundeswehr“ im Juli 2018 wurde tatsächlich eine Schwerpunktverlagerung weg von sogenannten „Stabilisierungseinsätzen“, wie etwa der NATO-Krieg in Afghanistan beschönigend genannt wird, hin zu Großmachtkonflikten eingeleitet. Heruntergebrochen auf die Teilstreitkräfte wirkt sich dieser neue Fokus nicht zuletzt auch auf die Marine aus, die seit einiger Zeit damit begonnen hat, diverse Rüstungsmaßnahmen mit Blick auf Russland in die Wege zu leiten. Und auch was China anbelangt, setzten bereits im Sommer 2019 erste Debatten ein, Deutschland solle sich mit Kriegsschiffen in der indopazifischen Region an Maßnahmen zur Eindämmung des aufsteigenden Rivalen beteiligen. In diesem Zusammenhang könnte sich die am 12. März 2020 erfolgte Ankündigung, mit der Fregatte Hamburg ein deutsches Kriegsschiff in die indopazifische Region zu entsenden, als Schritt über den Rubikon erweisen.
Wohl nicht zufällig am selben Tage begründete Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Rede bei der Deutschen Maritimen Akademie mit den Worten:
„Die Aufgaben unserer Marine gehen über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Denn Seewege sind Lebensadern. Und so ist die Freiheit der Seewege für Deutschland und unseren Wohlstand von großer strategischer Bedeutung. […] Es wird deutlich: Wir haben ein vitales Interesse an verlässlichen Regeln, an der liberalen internationalen Ordnung. Und die wird auch zu Wasser verteidigt. Viel genutzte strategische Engpässe, wie die Straßen von Hormus und Malakka, sind besonders bedeutsam und in hohem Maße von Regionalkonflikten bedroht, aber auch von Terrorismus und Piraterie. […] In der zweiten Jahreshälfte, während Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft, wollen wir außerdem eine Fregatte in den Indischen Ozean entsenden. Als wichtiges Zeichen: Auch in diesem Teil der Welt haben wir Interessen, auch dort setzen wir uns für internationales Recht ein, auch dort stehen wir unseren Partnern zur Seite.“
Rüstung für die Großmachtkonkurrenz
Ein weiterer Akteur, der aktuell lautstark das Lied von der neuen Großmachtkonkurrenz singt, ist Joachim Krause, der Leiter des „Instituts für Sicherheitspolitik Kiel“ (ISPK). Auch aus seiner Sicht tritt die Welt in „eine Phase“, in der „strategische Rivalität und Konfrontation an der Tagesordnung“ wären: „Die Schauplätze dieser strategischen Konfrontationen befinden sich in unterschiedlichen Regionen. In Ostasien verhält sich China immer anmaßender und aggressiver gegenüber seinen Nachbarn. Russland bedroht die Ukraine und die baltischen Staaten.“
Das ISPK ist die aktuell wohl einflussreichste Denkfabrik für maritime Fragen außerhalb der Bundeswehr (aber mit beträchtlichen Sympathien für die Truppe ausgestattet). Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass es sich der Frage widmet, was die Hinwendung zur Großmachtkonkurrenz denn für Strategie und Bewaffnung der Marine konkret bedeutet. Deshalb kommt ein anderer Beitrag aus dem gut vernetzten ISPK-Stall zu dem Ergebnis, zuallererst müsse die Re-Fokussierung auf Russland und China auch mit den entsprechenden Ressourcen unterfüttert werden:
„Im Zuge dieses ersten Paradigmenwechsels der NATO, der Multilateralismus, kooperative Sicherheit und Konfliktbewältigung voranstellte, wurden die Marinen zunehmend in sogenannten out-of-area-Operationen fernab der Heimat eingesetzt. Die Zeit zwischen dem Zerfall der UdSSR und dem Aufbrechen erneuter strategischer Rivalität war von einem steten, teils rasanten Wandel fast aller europäischen Marinen gekennzeichnet. Vielerorts wurden die Fähigkeiten vernachlässigt, in hochintensiven Szenarien gegen bestens ausgerüstete gegnerische Einheiten zu bestehen. Vor dem Hintergrund einer veränderten Bedrohungslage und einem zunehmend breiteren Verständnis des Sicherheitsbegriffs wurden Seestreitkräfte vermehrt im Rahmen von Stabilisierungseinsätzen, Anti-Terror-Operationen und zur Aufrechterhaltung einer guten Ordnung zur See eingesetzt. Anstatt feindliche U-Boote nördlich des Polarkreises zu jagen, verfolgten die Kriegsschiffe unter NATO- und EU-Mandaten nun Piraten vor dem Horn von Afrika. […] Die Vereinigten Staaten und ihre transatlantischen Partner in Europa sind derzeit darum bemüht, ihre Strategien an die (wieder) wahrgenommene Gefahr ‚klassischer‘ Konflikte anzupassen. Die Maßnahmen reichen von Investitionen in Forschung und Entwicklung von High-End-Technologien bis zur Erhöhung sichtbarer wie glaubwürdiger Präsenz und der Stärkung territorialer Verteidigungsfähigkeiten.“
Der neue Fokus auf die „Landes-/Bündnisverteidigung“ (LV/BV) – sprich: die Vorbereitung auf Großmachtkonflikte – wird aktuell von allen Teilstreitkräften bemüht, um um mehr Ressourcen zu werben. Für die Marine tat dies unlängst auch ihr Chef, Inspekteur Andreas Krause:
„Die Deutsche Marine leistet einen einzigartigen und unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung der freien Seewege und ist ein wesentlicher Garant unseres Wohlstands. Neben dem Schutz der Seehandelswege und dem internationalen Krisenmanagement erfährt zudem die Landes- und Bündnisverteidigung seit 2014 wieder eine gleichrangige Bedeutung. Diese größte Aufgabenvielfalt ihrer Geschichte erfüllt die Marine mit der kleinsten Flotte seit ihrer Gründung – derzeit 46 Einheiten. Es ist daher von Bedeutung, dass wir die eingeleitete Modernisierung und den Aufwuchs der Marine weiter konsequent und mit vollem Einsatz verfolgen, um das breiter gewordene Aufgabenspektrum im vollen Umfang erfüllen zu können.“
Maritime Russland-Prioritäten
Seit Jahren baut die Marine ihre Präsenz aus, wobei ein Schwerpunkt aufgrund der Konflikte mit Russland die „Nasse Nordflanke“ darstellt, wie sie im Marinejargon genannt wird. Die Bundeswehr müsse für „Randmeerkriege“ gerüstet sein, hieß es bereits in der Konzeption der Bundeswehr vom Juli 2018: „[Die] Befähigung zur Randmeerkriegführung […] bleibt unverändertes Ziel für die Ausgestaltung der deutschen SeeSK [Seestreitkräfte]. Im Rahmen der LV/BV spielen dabei der Nordflankenraum der NATO und die Ostsee […] zunehmend eine wichtige Rolle.“
In ihrer bereits eingangs zitierten Rede über Deutschlands maritime Interessen vom 12. März 2020 fokussierte sich Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer zunächst einmal auf den geographisch näherliegenden neuen Großmachtkonkurrenten:
„Blicken wir zunächst auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Da ist klar, dass Russland unsere zentrale militärische Herausforderung bleibt. Das betrifft gleich drei maritime Räume:
Erstens die Ostsee. Sie ist eine wichtige Nachschubroute ins Baltikum. Und was oft vergessen wird: Unter den NATO/EU-Anrainern der Ostsee hat Deutschland die größte Marine. Daraus erwächst uns eine besondere Verantwortung zu führen und zu koordinieren. Das tun wir auch schon, zum Beispiel mit unserer Initiative zur Baltic Commanders Conference.
Der zweite maritime Raum ist der Nordatlantik. Hier beschäftigt mich vor allem die GIUK-Lücke, die gedachte Linie zwischen Grönland, Island und Großbritannien. Ihr kommt hohe strategische Bedeutung zu, da sie über den Zugang zu den nordatlantischen Versorgungslinien entscheidet. Hier geht es um die Verbindung zwischen Nordamerika – also unseren Verbündeten USA und Kanada – und Europa. Deswegen brauchen wir an dieser Stelle mehr Präsenz und Wirkmöglichkeit. Denn, was vielen nicht bewusst ist: Hier geht es auch um den Schutz der Tiefseekabel zwischen Europa und Amerika, die für die digitale Kommunikation und die digitale Wirtschaft enorm wichtig sind.
Und zum Dritten – oft vernachlässigt – das Schwarze Meer. Ein maritimer Raum, in den Russland verstärkt wirkt, wo Russland Druck ausübt. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere NATO- und EU-Partner in der Region stärken.“
Marinekommando und Rüstungsvorhaben
Insbesondere mit Blick auf die Ostsee wurde bereits 2018 die Einrichtung eines NATO-Marinekommandos („Baltic Maritime Component Command“, BMCC) in Rostock beschlossen, das sich augenblicklich im Aufbau befindet. Es soll laut einer Pressemitteilung der Marine in diesem Zusammenhang künftig eine zentrale Rolle spielen: „Das BMCC kann der NATO dabei als maritimes Führungskommando für Operationen in der Ostsee und an der Nordflanke des Bündnisses, aber auch in anderen Regionen, zum Zwecke der Landes- und Bündnisverteidigung zur Verfügung gestellt werden.“
Vor allem sei es erforderlich, für die „Baltischen Staaten“, falls nötig, eine „Nachversorgung über die Ostsee“ sicherzustellen, heißt es in einer weiteren Bundeswehr-Presseerklärung:
„Die Ostsee verlängert die Nordflanke bis zu unseren östlichen NATO-Partnern Estland, Lettland, Litauen und Polen. Sie fungiert als nasse Flanke, über die Nachschub organisiert werden muss. Es ist deswegen essentiell, dass die Seeverbindungen nach Osten offenbleiben. Vor dem Hintergrund der seit 2014 signifikant veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen verstärken wir gemeinsam mit unseren Alliierten und Partnern die Präsenz sowie die Manövertätigkeit in der Ostsee, um zu zeigen, dass jeder im Rahmen der geltenden Vereinbarungen und Regelungen die Hohe See nutzen darf – auch in der Ostsee und ganz gleich vor wessen Küste (außerhalb der territorialen Gewässer). Letztlich dient dies der Vorbereitung auf die Landes- und Bündnisverteidigung und setzt ein Zeichen der Solidarität gegenüber unseren östlichen Verbündeten.“
In diesem Zusammenhang ist auch der Beschluss zum Ankauf fünf weiterer Korvetten der Klasse K130 zu sehen, die bis 2022 beschafft sein sollen. Aufgrund ihrer kleinen und wendigen Bauart sind sie „bestens“ für besagte „Randmeerkriege“, wie der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, angab, der erklärte, sie würden es künftig ermöglichen, sich „stärker um den vernachlässigten Raum der Nordflanke zu kümmern“. Und auch ein Level darüber, bei den Fregatten, gerät Russland wieder zunehmend ins Rüstungsvisier: Während die bisherige Fregattenklasse 125 vor allem auch als Unterstützung für Militäreinsätze im Globalen Süden „nützlich“ sein sollte, soll die künftige Generation wieder primär Großmächte und hier vor allem Russland ins Visier nehmen. In der Februar-Ausgabe des Marineforums erläutert Fregattenkapitän Andreas Uhl, bevollmächtigter Vertreter F 127 im Marinekommando Rostock in der Abteilung Planung, das Anforderungsprofil an die nächste Fregattenklasse – einer „Next Generation Fregate“, die er als „Rückgrat der Flotte zur Mitte dieses Jahrhunderts“ bezeichnet: „Die Klasse 125 wurde zu Beginn des Jahrhunderts als Stabilisierungseinheit […] konzipiert. Die Grundidee für F 127 basiert dagegen auf der Wiederausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung und repräsentiert den dazugehörigen maritimen Anteil.“
Doch wie eingangs bereits angedeutet, nicht nur Russland, auch eine weitere Großmacht rückt mittlerweile in den Fokus der Marine.
China: Zwischen Rivalität, Neid und Bewunderung
In Ostasien spielt zunehmend die macht- und geopolitische Musik: Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich zusehends dorthin und die etablierten Westmächte geraten dabei zunehmend in Konflikt mit dem aufstrebenden China, das eingedämmt werden soll. Schon länger streben deshalb die USA, Großbritannien und Frankreich eine Ausweitung ihrer dortigen maritimen Militärpräsenz an, während Deutschland sich zumindest in dieser Region lange militärisch ziemlich bedeckt hielt. Doch spätestens ab Sommer letzten Jahres drehte sich der Wind, nachdem die Rufe nach der Entsendung deutscher Kriegsschiffe immer lauter wurden.
Im November 2019 veröffentlichte das Marinekommando seinen Jahresbericht „Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland 2019“. Mit einer Mischung aus Neid, Bewunderung und Rivalität beschreibt der Bericht, die chinesische Marine verfüge heute „über mehr als 300 Kriegsschiffe, während die Zahl der US-Schiffe mit weltweiten Einsatzaufgaben in den letzten Jahren zwischen 270 und 290 lag“. Damit sei China eine „außergewöhnliche Transformation“ gelungen, es sei in der modernen Geschichte das einzige „Beispiel dafür, wie eine Landmacht zu einer hybriden Land- und Seemacht wird“.
Äußerst kritisch werden in dem Bericht die chinesischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und die seit einiger Zeit gemeinsam mit Russland abgehaltenen Militärmanöver in der Region beschrieben. Interessant ist dabei aber die Einschätzung, dass die chinesischen Aktivitäten vor allem wirtschafts- beziehungsweise handelspolitisch motiviert seien: „Moskau und Peking nutzen die gemeinsamen Marineübungen, um geopolitische Signale zu setzen. Vorrangig will China seine Seewege sichern, weil seine kommerziellen Interessen weltweit zunehmen. Über 90 % des globalen Ferngüterhandels werden über den Seeweg abgewickelt, zudem ist China der weltweit größte Rohölimporteur.“
Was der Jahresbericht hier aber für China kritisiert, ist so ziemlich genau das, was einige Seiten weiter vorne für Deutschland in Anspruch genommen wurde: „Mehr als 90 % der weltweit gehandelten Güter werden über den Seeweg transportiert, der maritime Weltmarkt steigt jedes Jahr um fast 5 %. […] Als eine der führenden Exportnationen und als Hochtechnologiestandort ist Deutschland auf die freie und ungehinderte Nutzung der See angewiesen.“
Schritt für Schritt gen Osten
Seit Jahren schiebt die deutsche Marine ihre Präsenz Schritt für Schritt in Richtung Osten. Den Anfang machte der EU-Einsatz ATALANTA am Horn von Afrika, an dem sich die Marine seit seinem Beginn im Jahr 2008 beteiligt. Der Einsatz vor der Küste Somalias zielt auf die Kontrolle des Golfs von Aden ab, eines der weltweit wichtigsten Nadelöhre der Handels- und Tankerschifffahrt. Aus diesem Grund wird ATALANTA seither nahezu routinemäßig weiter verlängert, wodurch sich eine Art militärische Dauerpräsenz zur Absicherung dieses zentralen Handelsweges ergibt.
Seither wird immer wieder gefordert, die Fühler weiter nach Osten auszustrecken. Eine zentrale Figur ist hier unter anderem Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München. Bereits 2015 schrieb er in einem Papier für die Konrad-Adenauer-Stiftung:
„Nach dem Mittelmeer in Antike und Mittelalter und dem Atlantik in der Neuzeit, gilt der indische Ozean als das wichtigste Weltmeer des 21. Jahrhunderts. Die Bedeutung des Indischen Ozeans leitet sich von seinen engen Zufahrtswegen und seiner Rolle als Transitozean der Weltwirtschaft ab. Mit dem Golf von Aden, dem Bab el-Mandeb, dem Suez-Kanal, der Straße von Hormuz, der Straße von Malakka, der Sundastraße und der Straße von Lombok befinden sich die global wichtigsten maritimen Nadelöhre in dieser Region. […] Deutschlands Wohlstand hängt vom freien, internationalen Seehandel und vom ungehinderten Zugang zu den Rohstoffmärkten ab. Die Gewährleistung maritimer Sicherheit im Indischen Ozean ist daher essentielles Interesse Deutschlands. Berlin muss sich – viel stärker als bisher – in der Region engagieren.“
Weiter führte Masala aus, es gehe zwar darum, sich auf ganz verschiedene Arten einzubringen, ein „militärisches Engagement“ solle dabei aber auch „nicht ausgeschlossen werden“.
Masala war dann auch ein wichtiger Akteur, als im Sommer des vergangenen Jahres die Debatte um eine Entsendung deutscher Kriegsschiffe an den Persischen Golf Fahrt aufnahm. Mit einem Handelsblatt-Artikel, der provokativ mit „Kein Blut für Öl?“ betitelt war, sowie mit einem in viel diskutierten Optionspapier, wie eine deutsche Militärpräsenz am Golf konkret aussehen könnte, brachte sich der Bundeswehr-Professor hier mit dementsprechenden Forderungen ein. Die Debatte mündete bislang zwar (noch) nicht in eine konkrete deutsche Militärpräsenz am Golf, sie führte aber unter anderem zum Beschluss der „Europäischen Marine-Überwachungsmission in der Meerenge von Hormus“ („European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz“, EMASOH) im Januar 2020. In ihrem Rahmen entsenden nun Frankreich, Dänemark und die Niederlanden Kriegsschiffe in die Region und werden dabei von fünf weiteren europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, politisch unterstützt (siehe Telepolis 21. Januar 2020).
Auf Kurs nach Ostasien?
Ungefähr um dieselbe Zeit, wie die Debatte um deutsche Kriegsschiffe am Persischen Golf losgetreten wurde, tauchten auch erste Berichte auf, im Verteidigungsministerium werde darüber nachgedacht, sich mit eigenen Kriegsschiffen an Manövern für die Freiheit der Schifffahrt („Freedom of Navigation Operations“, FONOPS) in Ostasien zu beteiligen. Dabei geht es darum, etwaige chinesische Ansprüche auf die Kontrolle von Schifffahrtswegen zu konterkarieren beziehungsweise ihnen mit einer eigenen Präsenz zur Kontrolle der besagten Nadelöhre entgegenzutreten. Zwar sind hier derzeit westlicherseits primär die USA (und in etwas abgeschwächter Form Großbritannien und Frankreich) aktiv, doch aus den Reihen des sicherheitspolitischen Establishments wurde zu diesem Zeitpunkt vermehrt nach einer deutschen Beteiligung gerufen, um die Verbündeten in ihren Bestrebungen zur Eindämmung Chinas zu unterstützen und damit gleich auch als eine Art Kollateralnutzen das eigene militär- und machtpolitische Profil zu stärken (siehe Telepolis, 17. Juni 2019).
Der nächste sicherheitspolitische Meilenstein für eine deutsche Militärpräsenz in Ostasien war dann die Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang November 2019, in der sie ganz generell forderte, Deutschland müsse (noch) mehr militärische „Verantwortung“ übernehmen. Ganz konkret äußerte sie sich aber mit Blick auf Ostasien:
„Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen. Weil wir ein Interesse daran haben, dass bestehendes Recht respektiert wird. Und weil wir nur dann auf die Solidarität anderer zählen können, wenn wir selbst solidarisch sind.“
Ungeachtet der Tatsache, dass „bestehendes Recht“ keineswegs respektiert wird, wenn es westlichen Interessen zuwiderläuft (siehe Telepolis, 26. Februar 2019), ist entscheidend, dass diesen Worten nun anscheinend Taten folgen sollen.
Fregatte für das Mare Nostrum
Am 12. März 2020 wurden dann die Früchte der seit Monaten geführten Debatte geerntet, indem die Marine in einer Pressemitteilung Vollzug meldete: Ab 7. Mai 2020 werde sich die Fregatte „Hamburg“ auf eine fünfmonatige Reise „um den halben Globus“ in Richtung Indopazifik begeben:
„Diese umfasst insbesondere die Teilnahme am Indian Ocean Naval Symposium (IONS, unter französischer Führung) in Réunion Ende Juni. […] Nach der Teilnahme am IONS fügt sich die Fregatte in das Deutsch-Französische Manöver DEFRAM ein. Dort wird die Zusammenarbeit mit der französischen Marine trainiert bzw. gefestigt. Nach Beendigung des Verbandes macht sich die ‚Hamburg‘ auf den Weg Richtung Australien und wird voraussichtlich von dort aus verschiedene Häfen im Indischen Ozean besuchen. Neben den Hafenbesuchen sind jeweils Übungsabschnitte mit den Marinen der jeweiligen Gastländer geplant.“
Damit schließt sich der Kreis: Bereits in seiner „Jährlichen Weisung Marine 2020“ griff der Marineinspekteur Andreas Krause Anfang des Jahres nicht nur explizit die bereits erwähnte Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf, sondern wertete die darin artikulierte Forderung, deutsche Interessen künftig „besser“ zu „schützen“, gleich auch als Auftrag, der nicht zuletzt den Indopazifik einschließe:
„‚Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen.‘ Mit diesen Worten hat die Bundesministerin der Verteidigung die Situation in Deutschland in ihrer Grundsatzrede im November 2019 beschrieben. Wenngleich diese Aussage die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik adressiert und die Notwendigkeit für ein stärkeres Engagement unseres Landes formuliert, so bestimmt sie auch den Kurs der Deutschen Marine. […] Als führende Handelsnation ist Deutschland auf freie und sichere Seewege angewiesen, um den Wohlstand unseres Landes zu gewährleisten. Daraus erwächst für die Deutsche Marine die Aufgabe, diese für unser Land so wichtigen Routen bereits in Friedenszeiten zu schützen. Wenngleich Atlantik und Mittelmeer sowie Nord- und Ostsee nichts von ihrer strategischen Relevanz eingebüßt haben – das neue ,Mare Nostrum‘ der Welt ist der Indische Ozean. 35 Prozent aller Exporte der EU durchqueren diesen Ozean auf ihrem Weg Richtung Ostasien, Tendenz steigend. Insgesamt passieren heute 50 Prozent des weltweiten Containerverkehrs und 70 Prozent des weltweiten Handels mit Öl die Seewege des Indischen Ozeans.“
Mit ihrer bereits mehrfach zitierten Rede vom 12. März betätigte Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer einmal mehr den Indo-Pazifik-Kurs der Marine, der durch die von ihr explizit begrüßte und zeitgleich verkündete Entsendung der Fregatte Hamburg in die Region untermauert werden soll, sofern die Corona-Krise hier nicht noch einen Strich durch die Marinerechnung machen sollte.
Dieser Text von Jürgen Wagner erschien auf der Informationsstelle Militarisierung e.V.
Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung Tübingen (IMI e.V.). Er forscht und schreibt vor allem zu den Themen Bundeswehr, EU-Militarisierung, NATO, Globalisierung und Krieg sowie über US-Außen- und Militärpolitik. Jürgens aktuelles Buch – welches er zusammen mit Claudia Haydt verfasst hat – heißt: Die Militarisierung der EU – Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur militärischen Großmacht