Als die Parteien der Ampel im November 2021 ihren Koalitionsvertrag vorstellten, war von Sparpolitik noch nicht die Rede. Im Koalitionsvertrag wurden Steuererhöhungen für Reiche kategorisch ausgeschlossen. Im Vertrag selbst wurden als Vorhaben auch einige Verbesserungen genannt wie das Bürgergeld und die Kindergrundsicherung. Das war zwar im Vergleich zu dem, was erforderlich wäre, viel zu wenig. Allerdings war das zumindest keine Sparpolitik.
Finanzminister Christian Lindner arbeitete aber gezielt in diese Richtung. Spätestens seit Mitte 2022 spricht er von der Notwendigkeit einer „Zeitenwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“. Im Jahr 2023 gelang es ihm schon, einige seiner Vorstellungen im Kabinett bei den anderen Ampelpartnern durchzubringen. Schon der vor dem Karlsruher Urteil aufgelegte Haushalt 2024sah eineganze Reihe von Kürzungen im sozialen Bereich vor: Bundesfreiwilligendienste minus 26 Prozent, Wohngeld minus 16 Prozent, Freie Jugendhilfe minus 19 Prozent, psychosoziale Zentren minus 60 Prozent, Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer minus 30 Prozent, Asylverfahrensberatung sowie besondere Rechtsberatung für queere und sonstige verwundbare Geflüchtete minus 50 Prozent.
Lindner sah den ursprünglichen Entwurf für einen Bundeshaushalts 2024 lediglich als Einstieg in umfassendere „Konsolidierungsmaßnahmen“. Die Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 sollten aber „nur ein erster Schritt zu einer strukturelleren Lösung sein“, um „die Steigerung der Sozialausgaben unter Kontrolle zu bringen“. Einer der Lieblingssprüche von Lindner war damals bereits: „Die fetten Jahre sind vorbei.“
Das Urteil der Karlsruher Richter zur Schuldenbremse war einerseits eine Ohrfeige für Lindners schlampige Arbeit bei der inhaltlichen Begründung. Andererseits waren in einer Situation, wo es galt, das Thema Sparen in aller Munde zu haben. Lindner versuchte, dieses für ihn günstige Klima, nicht ohne Erfolg, für seine Ziele zu nutzen.
Lindners Welt
Mit scheinbar sachlichen, nüchternen, etwas technokratisch klingenden Worten präsentiert sich Lindner als Ratgeber für alle Lebenslagen. Seine neoliberalen Zumutungen kleidet er in scheinbar harmlose Formulierungen:„Wir haben kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem“, säuselt Lindner, wenn er Forderungen nach höheren Steuern für Reiche abbügeln will. Lindner weiß natürlich, was „gute Ausgaben“ und was „schlechte Ausgaben“ sind. Gute Ausgaben sind solche, die geeignet sind, „Investoren“ eine Erhöhung ihrer Rendite zu bescheren. (Mit Investoren sind dabei sowohl Industrieunternehmen als auch Finanzanleger gemeint.) „Schlechte Ausgaben“ sind „konsumptive Ausgaben“. Gemeint sind damit Ausgaben für Soziales, die Lohnabhängigen zumindest einen gewissen Schutz bieten wie Krankenversicherung, Rentenversicherung oder eben das Bürgergeld. Gerade hier will Lindner kräftig auf die Bremse treten.
Angesichts zurückgehender Wachstumsraten reklamierten jetzt die Unternehmerverbände verstärkt das, was sie im Grunde ständig fordern: Deutliche Absenkungen der Unternehmenssteuern. Dafür fanden sie beim Wirtschaftsminister Habeck offene Ohren: „Auch ich sehe, dass wir in der Summe eine Unternehmensbesteuerung haben, die international nicht mehr wettbewerbsfähig und investitionsfreundlich genug ist.“ So grundsätzlich sieht das Lindner ähnlich. Das Anliegen, Unternehmenssteuern zu senken, teilt Lindner mit Habeck. Ihm missfällt allerdings am Vorschlag von Habeck, dass dieser dafür ein milliardenschweres Sondervermögen schaffen möchte, aus dem die Geschenke für die Unternehmer finanziert werden sollen. Er will, dass die Wohltaten direkt an die Empfänger durchgereicht werden. Er verlangt die Abschaffung des Solis, denn seit 2021 müssen ihn nur noch Spitzenverdiener und Körperschaften zahlen. Da hat er natürlich den geballten unternehmernahen „Sachverstand“, den Chef des „Instituts der deutschen Wirtschaft“, Michael Hüther, Veronika Grimm vom Sachverständigenrat, den Steuerzahlerbund und den „Deutsche Industrie- und Handelskammertag“ (DIHK) auf seiner Seite. Der geballte unternehmernahe Sachverstand verliert natürlich kein Wort dazu, wie viel diese Wohltat für die Reichen den Staatshaushalt kostet. Sie vermeiden es damit, auf die Frage einzugehen, wie die durch das Steuergeschenk gerissene Lücke gefüllt werden sollte. Sie halten sich an das Motto: Erst mal Fakten schaffen und dann sehen wir weiter. Irgendwann entdeckt man/frau ganz plötzlich, dass sich da eine Finanzierunglücke auftut, die Habeck mit 30 Milliarden Euro veranschlagt. Wir alle wissen, wie da der Vorschlag von Lindner aussehen wird.
Eine Weile sah es so aus, als würde die Debatte um Steuersenkungen über längere Zeit zum Dauerbrenner werden. Das haute aber nicht hin, weil sich das als Hoffnungsträger und Türöffner für weitere Steuersenkungen konzipierte „Wachstumschancengesetz“ vom Hoffnungsträger des Kapitallagers zum Rohrkrepierer entwickelte. Dass das so kam, haben wir dem Polit-Ränkespiel von Friedrich Merz zu verdanken, der zum Ärger des Unternehmerlagers seine Zustimmung zu diesem Gesetz von der Rücknahme der Kürzungen bei den Dieselsubventionen für Landwirte abhängig machte. Der Fall zeigt, dass sich bisweilen nicht nur die Linken, sondern auch Teile der Herrschenden dumm anstellen und sich damit bisweilen sich selbst ein Bein stellen.
Militär: Mehr als genug geht immer
Bei allen möglichen Posten hat die Bundesregierung nach dem Schuldenbremsen-Urteil des Verfassungsgerichts den Rotstift angesetzt. Ausgespart wurde der Rüstungsetat. Bundeskanzler Scholz hat der Hochrüstung der Bundeswehr dauerhaft hohe Zuwendungen zugesichert. Jetzt meldeten die Medien stolz: Deutschland erreicht das 2-Prozent-Ziel der NATO. Das ist ein Anstieg der Verteidigungsausgaben von mehr als 20 Prozent. Im aktuellen Haushalt werden noch viele Ausgaben für die Rüstung aus dem 100 Milliarden „Sondervermögen“ finanziert. Dieser Topf wird aber bald leer sein. Weil ein Gutteil des Zuwachses aus dem „Sondervermögen“ kam, konnten bisher noch tiefe Einsparungen vermieden werden. Das wird sich ändern, wenn alsbald der 100-Milliarden-Topf leer sein wird. Scholz dazu: „Mein Ziel ist es, dass wir nach dem Auslaufen des Sondervermögens die Ausgaben für die Bundeswehr aus dem allgemeinen Haushalt finanzieren.“ Nach Berechnungen des Spiegel würde das im Jahr 2028 Ausgaben von 107,8 Milliarden Euro bedeuten. Zum Vergleich: Der aktuelle Verteidigungsetat des Bundes beträgt 51,9 Milliarden Euro. Um diese Ausgaben zu decken, müsste also an anderer Stelle gekürzt werden – und zwar gewaltig. Scholz räumte bereits ein, dass Kürzungen bei Renten und Sozialausgaben nötig sein könnten, um die Verteidigungsausgaben langfristig zu erhöhen.
Damit nicht genug. Auf das Erreichen des 2-Prozent-Ziels brach in der Gemeinde der Rüstungsfanatiker ein wahrer Begeisterungssturm aus, der darin gipfelte, dass man nun noch mehr Geld für noch mehr Waffen verlangt. In der Schar der Scharfmacher tut sich Roderich Kiesewetter, Oberst a. D. der Bundeswehr, besonders hervor. Er fordert eine Verdreifachung des als „Sondervermögen“ bezeichneten Schuldenbergs für die Aufrüstung von 100 auf 300 Milliarden Euro. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nennt keine Zahl, betont aber, dass der Verteidigungsetat im regulären Haushalt weiter steigen muss. Er hält das längerfristig nicht für ausreichend. Er betonte anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz, zwei Prozent seien damals nur als Untergrenze gedacht gewesen.
Mehr Geld für Panzer und Kampfjets, deutlich weniger Geld für Arbeitslose, für Kinder, für Schulen und Schiene sowie für Klimaschutz. Mehr Aufrüstung bedeutet immer mehr Armut für die Mehrheit der Bevölkerung! Das wird auf dramatische Einschnitte bei den sozialen Leistungen hinauslaufen, wie sie dieses Land noch nicht gesehen hat.
Weil das ins Geld geht, führt für Finanzminister Christian Lindner kein Weg an Sozialkürzungen vorbei. Ein „mehrjähriges Moratorium bei Sozialausgaben und Subventionen“ sei nötig, um mehr in die Aufrüstung investieren zu können, erklärte der FDP-Politiker bei Maybrit Illner. Bei dem Ausmaß an geplanten Mehrausgaben für das Militär wird es mit einem dreijährigen Moratorium nicht getan sein. Das weiß Lindner natürlich. Wir dürfen davon ausgehen, dass der relativ moderate Vorschlag des Moratoriums als Testballon dafür dient auszutesten, wie die Reaktionen in der Bevölkerung auf die geplanten Zumutungen ausfallen.
Clemens Fuest, Präsident des kapitalnahen Ifo-Instituts, wirft Begriffe in den Raum, die keinen Zweifel daran lassen, dass die geplanten Maßnahmen brutal sein werden. Er führt dazu zwei Begriffe in die Debatte wieder ein, die von Rudolf Hess, dem Stellvertreter des „Führers“, erfundenen wurden: „Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.“ Der Sozialstaat werde noch nicht abgeschafft, „aber er wird kleiner“, so Fuest
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge verurteilte die „sozialpolitische Zeitenwende“ der Ampelkoalition. „Was von Christian Lindner als Moratorium erklärt wird, läuft in Wahrheit auf eine Demontage des Wohlfahrtsstaates hinaus. Denn wenn die sozialen Probleme wie bereits seit geraumer Zeit deutlich zunehmen, die Ausgaben aber nicht mehr mitwachsen dürfen, handelt es sich um reale Kürzungen in diesem Bereich“, so Butterwegge. Deutschland stehe vor der Alternative: Rüstungs- oder Sozialstaat. „Setzen sich Bum-Bum Boris Pistorius, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und Co. mit ihren Hochrüstungsplänen durch, wird sich die schon jetzt auf einem Rekordstand befindliche Armut noch verschärfen.“
Nachbetrachtung und Vorausschau
Uns stehen ruppige Zeiten, soziale und gesellschaftliche Verwerfungen völlig neuer Qualität ins Haus. Von Seiten der herrschenden Kreise wird eine „wirtschafts- und sozialpolitische Wende“ (Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA) eingefordert. CDU Generalsekretär Casten Linnemann geht es um das Gleiche, wenn er von der Notwendigkeit einer „Agenda 2030“ spricht. Welche Bereiche das genau treffen wird, wird wohl gerade vom politischen Führungspersonal hinter den Kulissen ausbaldowert. Bestimmte Themen zeichnen sich allerdings schon ab. Beispielsweis das Thema Zwangsarbeit für Geflüchtete zu einem Stundenlohn von 80 Cent pro Stunde. Auch bei der Rente werden Forderungen nach sozialen Einschränkungen lauter. Aus den Reihen der „Wirtschaftsweisen“ kommen verstärkt Forderung nach Erhöhung des Renteneintrittsalters und der Abschaffung der Rente mit 63.
Wir müssen damit rechnen, dass die Herrschenden auch diesmal wieder auf eine alte Masche zurückgreifen, die sie schon unzählige Male – leider mit Erfolg – praktiziert haben: Immer, wenn Sparkommissare großes im Schilde führen, brechen sie eine Ablenkungsdebatte vom Zaun mit dem Ziel, Menschen unterschiedlicher Gruppen, die alle Leidtragende der von ihnen verantworteten Politik sind, gegeneinander auszuspielen und aufzuhetzen. Sündenböcke werden gesucht und gefunden. Angesichts der in der Gesellschaft grassierenden rassistischen und antisozialen Ressentiments müssen fast immer „die Ausländer“, die Geflüchteten, die Muslime als Blitzableiter herhalten. Das steht uns wohl auch diesmal ins Haus.
Wenn es uns nicht gelingt, effektiven Widerstand zu entwickeln, drohen uns nicht nur tiefgehende Verschlechterung sozialer Standards, sondern auch eine schlimme Verrohung des gesellschaftlichen Klimas im Lande.