Es gibt kein Recht auf Sex – Im Gespräch mit Katharina Sass

Vor wenigen Wochen hat die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen beschlossen, dass sie für Deutschland ein Verbot des Sexkaufs möchte, auch Politikerinnen und Politiker der Union fordern ähnliche Schritte. In der LINKEN gibt es seit langem Diskussionen dazu, bisher jedoch keine klare Positionierung. Wir haben mit Katharina Sass, Aktivistin gegen Prostitution, über das nordische Modell und linke Positionen dazu gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Prostitution gilt als das älteste Gewerbe der Welt, doch in immer mehr Ländern gibt es eine Debatte, ob Sexkauf verboten werden sollte. Wie kommt es dazu?

Katharina Sass: Unter Linken war man schon früh der Meinung, dass Prostitution kein normales Gewerbe ist. Ich empfehle dazu August Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus“. Schon Bebel wusste, dass Prostituierte massive Gewalt erleben und einem krassen Machtgefälle ausgesetzt sind. Zuhälter und Menschenhändler schikanieren sie und beuten sie aus. Und die Freier missbrauchen und misshandeln sie. Morde von Prostituierten durch Freier sind sehr häufig. Dazu kommt das gesellschaftliche Stigma, das nur die Prostituierten trifft. Prostitution hat nichts mit sexueller Befreiung oder Lust zu tun; im Gegenteil. Prostituierte werden in der Prostitution mehrheitlich schwer traumatisiert. Auch sogenannte „nette“ Freier üben sexuelle Handlungen an Prostituierten aus, die letztere nicht wünschen, sondern nur des Geldes wegen ertragen. Das ist nur mit Dissoziation zu überleben und führt langfristig zu gravierenden psychischen und körperlichen Schäden. Prostitution ist nicht mit der Gleichstellung der Geschlechter zu vereinbaren, sondern ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Daher fordern immer mehr Feministinnen, Feministen, Politiker und Politikerinnen, Prostitution grundsätzlicher zu bekämpfen, kurzfristig einzudämmen und langfristig zu überwinden. In vielen nordeuropäischen Ländern ist man damit schon viel weiter.

Die Freiheitsliebe: Teile der SPD und der CDU fordern inzwischen ein Prostitutionsverbot. Wie sieht es im Rest der politischen Landschaft aus?

Katharina Sass: Kurz zur Sprache: Es geht in dieser Debatte nicht um ein „Prostitutionsverbot“, sondern um ein „Sexkaufverbot“, beziehungsweise allgemeiner um eine Politik, die Prostitution eindämmen soll, ohne die Prostituierten zu kriminalisieren. Das Thema ist in allen politischen Parteien umstritten. In der SPD gibt es Fortschritte. Die Grünen und die FDP sind von ihrer Ideologie her so liberal, dass dort wohl noch Mehrheiten Prostitution befürworten, aber auch dort gibt es Widerstand. In der LINKEN gibt es unser Netzwerk „LINKE für eine Welt ohne Prostitution“. Es gibt aber auch Leute wie die frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Cornelia Möhring, die in der Freiheitsliebe vor kurzem wieder betont, man müsse die Existenz von „Sexarbeit“ grundsätzlich akzeptieren. Sie hat ja auch Bordellbetreiber schon als „Arbeitgeber“ bezeichnet. Ich hoffe, dass wir in der LINKEN bald endlich eine Mehrheit dafür haben, Prostitution als das zu benennen, was sie ist: eine Menschenrechtsverletzung. Wir müssen aufhören, mit neoliberalen Phrasen wie „Sexarbeit“ den Gewaltcharakter der Prostitution zu kaschieren und zu legitimieren. Der Begriff „Sexarbeit“ verharmlost die Lebensrealität der großen Mehrheit der Prostituierten in Deutschland, die täglich massive sexualisierte Gewalt erfahren und die aus der Prostitution herauswollen. Mit Arbeit hat das nichts zu tun.

Die Freiheitsliebe: Mit eurem Netzwerk „LINKE für eine Welt ohne Prostitution“ unterstützt ihr die Forderung nach einem sogenannten nordischen Modell. Wie sieht das konkret aus?

Katharina Sass: Das nordische Modell besteht aus einem umfangreichen Maßnahmenpaket. Zunächst mal gibt es Beispielweise in Norwegen, Schweden und Frankreich einen konsequenten Zuhältereiparagraphen, der jeden Profit aus der Prostitution anderer Menschen unter Strafe stellt. So eine Gesetzeslage würde der deutschen Bordellwirtschaft das Wasser abgraben und den Menschenhandel nach Deutschland verringern. Dazu kommen umfangreiche Ausstiegshilfen und sonstige Hilfsangebote für Menschen in der Prostitution. Wichtig sind eine gesicherte Gesundheitsversorgung und ein Recht auf einen Aufenthaltstitel für die mehrheitlich ausländischen Prostituierten. Im nordischen Modell sind Prostituierte völlig entkriminalisiert, sie erhalten also nicht wie in Deutschland Bußgelder. Sperrgebiete und Anmeldepflichten gibt es nicht. Schlussendlich gehört zum nordischen Modell das Sexkaufverbot, mit welchem Freier kriminalisiert werden; in Schweden seit 1998 und in Norwegen und Island seit 2008. Sexkauf wird als Gewalthandlung erkannt. Freier riskieren Geldstrafen und in schweren Fällen Gefängnisstrafen. In Schweden gibt es auch Hilfsangebote für Freier, die keine Freier mehr sein wollen. Das Ziel ist, die Nachfrage zu verringern, Prostitution und Menschenhandel einzudämmen und die Einstellung in der Bevölkerung zu verändern. All dies wurde mit den Sexkaufverboten in Norwegen und Schweden erreicht. Übrigens: Die Sexkaufverbote wurden in beiden Fällen von links durchgesetzt, gegen den Widerstand der Konservativen und Rechtspopulisten.

Die Freiheitsliebe: Eine konkrete Folge ist, dass keine Räume mehr für Bordelle genutzt werden. In Deutschland wird dagegen argumentiert, dass es auch viele Frauen gibt, die freiwillig dieser Arbeit nachgehen. Warum sollte man ihnen das untersagen?

Katharina Sass: Im nordischen Modell wird niemandem untersagt, sich zu prostituieren. Es ist aber natürlich richtig, dass es verboten ist, an der Prostitution anderer zu verdienen und Sex zu kaufen. Eine Folge davon ist, dass es keine Großbordelle gibt wie bei uns. NorwegerInnen und SchwedInnen können, wenn sie wollen, auf eigene Faust Sex verkaufen. Sie müssten dann damit rechnen, dass die Freier etwas ängstlich sind, erwischt zu werden. Persönlich riskieren sie keine Verfolgung durch den Staat. Allerdings kommt solche wirklich „freie“ Prostitution faktisch so gut wie nicht vor, weil Frauen, gelinde gesagt, bessere Alternativen haben, da es gut bezahlte Arbeitsplätze und einen Wohlfahrtsstaat gibt. Viel wichtiger ist aber doch, was mit der überwältigenden Zahl der Prostituierten ist, die nicht freiwillig in der Prostitution sind. Sollen wir deren Leid ignorieren, weil es möglicherweise zwei oder drei Leute gibt, denen Prostitution wirklich nichts ausmacht? Und, noch grundsätzlicher, wollen wir wirklich für immer Prostitution in unserer Gesellschaft haben? Ich will das nicht. Ich will sexuelle Befreiung, echte Lust und Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Warenförmigkeit der Sexualität, also Bezahlsex, ist damit unvereinbar.

Die Freiheitsliebe: Werden Frauen, die der Arbeit nachgehen, nicht durch ein Sexkaufverbot in die Illegalität gedrängt?

Katharina Sass: In Deutschland werden Prostituierte vom Finanzamt, durch Sperrgebietsordnungen und Anmeldepflichten in die Illegalität gedrängt. Das gibt es im nordischen Modell alles nicht. Prostituierte werden bedingungslos als Opfer anerkannt. Die Prostitution hat seit Einführung des Sexkaufverbots in Schweden und Norwegen abgenommen, sowohl auf dem Strich als auch in Wohnungen. Der Menschenhandel geht zurück. Die Gewalt in der Prostitution hat nicht zugenommen. Die Freier sind eher etwas vorsichtiger. Ich empfehle, dazu die Evaluationen der dortigen Gesetze zu lesen. Ein Übersetzung des norwegischen Evaluationsberichtes gibt es auf unserer Webseite. In Deutschland werden hierzu viele Märchen erzählt, vor allem von den Lobbyverbänden der Sexindustrie. Auch Cornelia Möhring zitiert in der Freiheitsliebe vor kurzem wieder einen Text von Östergren und Dodillet, der angeblich beweisen soll, dass das Sexkaufverbot nichts gebracht habe. Östergren und Dodillet werden dauernd als Kronzeuginnen gegen das nordische Modell vorgebracht. Dazu sollte man wissen, dass sie nichts zum Thema in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht haben und dass ihre Arbeiten, auch Dodillets Doktorarbeit, wissenschaftlich sehr umstritten sind und wegen der schlechten Methodik kritisiert wurden. Es ist wirklich ein Armutszeugnis, dass jemand wie Möhring nicht bereit ist, die Evaluationsberichte zur Kenntnis zu nehmen, die von namhaften Forschern in jahrelanger Arbeit erstellt wurden und auf zahlreichen Quellen basieren. Auch die Forschung von Melissa Farley, Sven-Axel Månsson oder Said Bouamama zum Thema Sexkäufer sollte man sich anschauen. Wenn wir es in unserer Partei nicht bald mehrheitlich schaffen, uns mit den tatsächlichen Fakten vertraut zu machen, wird diese Rückständigkeit als historische Peinlichkeit für die deutsche Linke in die Geschichtsbücher eingehen.

Die Freiheitsliebe: Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Frauen durch das Gesetz die Einreise nach Schweden untersagt werden kann und es zu Abschiebungen kommt. Ist das nicht ebenfalls gegen linke Ideale, wenn Frauen die Einreise untersagt wird?

Katharina Sass: Abschiebungen sind sicherlich gegen linke Ideale. In Norwegen haben Menschenhandelsopfer zwar einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, allerdings müssen sie dafür, wie in Deutschland, im Gerichtsverfahren aussagen. Linke fordern daher auch im Norden bedingungslose Aufenthaltstitel für alle Opfer von Zuhälterei oder Menschenhandel. In Frankreich gibt es das jetzt. Das französische Gesetz von 2016 ist generell sehr gut. Zu dem anderen Punkt: Ich habe noch nie davon gehört, dass Prostituierten die Einreise verweigert wurde. Allerdings frage ich mich, um welche Fälle es hier gehen soll? Es gibt sicherlich nur sehr wenige Frauen, die auf eigene Faust zum Beispiel aus Nigeria aufbrechen, um sich in Norwegen zu prostituierten. Das ist hauptsächlich organisierter Menschenhandel. Und der gehört bekämpft, weil diese Frauen es eben nicht freiwillig machen. Es gibt in Skandinavien wie auch in Deutschland ansonsten auch viele Prostituierte aus Ländern wie Bulgarien und Rumänien. Die haben zwar ein Recht auf Aufenthalt, aber keine ausreichende Gesundheitsversorgung und Sozialversicherung. Diese Probleme sind in Deutschland noch viel gravierender als in Norwegen oder Schweden.

Die Freiheitsliebe: Wäre das nordische Modell also eins zu eins auf Deutschland zu übertragen oder bräuchte es Veränderungen?

Katharina Sass: Es bräuchte auf jeden Fall bedingungslose Aufenthaltstitel für Prostituierte aus Nicht-EU-Staaten. Das Problem ist auch in Norwegen noch nicht gelöst. Abgesehen davon sind die Regelungen dort aber viel fortschrittlicher als in Deutschland. Das wirkt sich auf die gesamte Gesellschaft aus. Die Menschen leben ihre Sexualität gleichberechtigter, freier und lustvoller. Es gibt kein „Recht auf Sex“, aber ein Recht auf ein gewaltfreies Leben für alle. Erst unter dieser Voraussetzung wird sexuelle Befreiung überhaupt möglich. So lange hingegen deutsche Männer das Recht haben, sich Penetration von Frauenkörpern zu kaufen, und so lange Zuhälter das Recht haben, das zu vermarkten und daran zu verdienen, kann es keine sexuelle Befreiung geben. Nebenbei bemerkt: Prostitution ist für Prostituierte jeden Geschlechts hochgradig gefährlich und traumatisierend. Männliche und transsexuelle Prostituierte meine ich also hier immer mit. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn Deutschland in der Prostitutionspolitik endlich umsteuert. Aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns, denn die deutsche Bordelllobby ist immer noch stark. Wir werden also noch eine Weile weiterkämpfen müssen gegen die Profiteure der Prostitution und für eine Politik, die echte sexuelle Befreiung und ein Leben ohne sexualisierte Gewalt für alle ermöglicht.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

Katharina Sass, Jahrgang 1986, ist promovierte Soziologin und arbeitet als Postdoktorandin am Soziologischen Institut der Uni Bergen. Sie ist gebürtige Kölnerin und war als Studentin im SDS und bei der Kölner LINKEN aktiv. Seit 2012 lebt sie in Norwegen, wo sie sich der radikalfeministischen Frauenfront angeschlossen hat. Sie setzt ihr Engagement in der LINKEN über das Netzwerk „LINKE für eine Welt ohne Prostitution“ fort (siehe www.linke-gegen-prostitution.de), auch mit Veranstaltungen in Deutschland. Sie ist Herausgeberin des Buches „Mythos ‚Sexarbeit‘. Argumente gegen Prostitution und Sexkauf“ (Papyrossa Verlag, 2017), in welchem die Debatte in der LINKEN und darüber hinaus dokumentiert wird und die wichtigsten Argumente zusammengetragen werden. Das Buch enthält auch Erfahrungsberichte und Kommentare von Prostitutionsaussteigerinnen, die sich in Deutschland heute beispielsweise bei Ella e.V. oder SPACE International organisieren.

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