Der Gegensatz zwischen Rechts und Grünliberal ist genauso erklärbar wie die Schwäche der Linken. Mit diesem Versprechen schaffte es Cornelia Koppetschs Buch „Die Gesellschaft des Zorns“ in diesem Sommer in vielen Beststellerlisten nach ganz oben.
Die neuen Konfliktlinien des 21. Jahrhundert sind nach Koppetsch ethnisch-nationalistisch oder religiös-fundamentalistisch. Die Opposition zu beidem bilden heute die Liberalen. Ausgehend davon sieht sie hierzulande eine aufsteigende Rechte und eine grüne Anti-Rechte. Linke Antworten? Fehlanzeige! Auch Koppetsch gibt den liberalen/linken Kosmopoliten eine Mitschuld am Aufstieg der Rechten – ihr Buch ist zwar eines der spannendsten Bücher des Jahres, aber politisch auf dem Holzweg.
Das Klassenbündnis der Rechten
Koppetsch prüft verdienstvoll die verschiedenen Theorien und Untersuchungen über den Aufstieg der Rechten ab. Der Aufstieg der Rechten fällt auch für sie mit der Globalisierung zusammen. Die Globalisierung produziert viele Gewinner im Norden – hierzulande vor allem die oberen Mittelschichten – aber global und hierzulande auch Verlierer. Diese Globalisierungsverlierer im Norden setzen ganz auf nationale Lösungen, sind gegen Migration und internationale Organisationen. Sie wählen auch aus einem rationalen Kalkül – das ist Koppetsch wichtig – rechts.
Doch lässt sich die Wahl der AfD nicht nur mit ökonomischen Interessen erklären. Koppetsch weist darauf hin, dass in den Unterschichten nur etwas mehr AfD gewählt wird als in den Mittelschichten. Immerhin ein Drittel der AfD-Wähler kommt zudem aus den obersten 20% der Gesellschaft. Wie im Nationalsozialismus tendiert vor allem die untere Mittelschicht nach rechts: kleine Selbstständige, Handwerker und Einzelhändler im ländlichen Raum. Sie halten nichts von kultureller Vielfalt, Emanzipation der Frauen und fühlen sich von den neuen liberalen Eliten kulturell ausgegrenzt.
Doch nicht nur die Abgehängten fühlen sich herabgesetzt, auch Teile der Eliten. Mit Bourdieu analysiert Koppetsch hier wie sich die oberen Klassen nach unten abgrenzen. In Deutschland zeigten die Eliten durch feine Unterschiede und ihre Kenntnis der Hochkultur von Goethe bis Wagner, dass sie zur Elite gehörten. Die neuen Eliten aber haben andere Erkennungszeichen. Sie sind enthusiastisch wie Steve Jobs und pflegen einen Lifestyle der ständigen Selbstoptimierung und betonter Lässigkeit. Ein Teil der klassischen Eliten fühlt sich so zurückgesetzt und wählt rechts. Die Rechte vereint deshalb heute viele Schichten. Cornelia Koppetsch spricht daher von einem vertikalen rechten Klassenbündnis.
Sind die Linken/Liberalen Schuld am Aufstieg der Rechten?
Trotzdem ärgert man sich beim Lesen des Buches immer wieder. Wirklich brilliante und spannende Passagen etwa über die Konjunkturen von Mauern als kulturelles Theater werden abgelöst von ärgerlichen Ungenauigkeiten. Auch Koppetsch gibt den Linken/Liberalen eine Mitschuld am Aufstieg der Rechten. Sie spricht oft von der Abwendung der Linken/Liberalen von den unteren Schichten. Wenn es genau wird, spricht sie meist nur von den Liberalen. Kosmopolitische Meinungsmacher sind dann „Banker, Politiker und Gewerkschafter.“ Klassische Anwälte der Mitte sind bei ihr Volksparteien und Gewerkschaften. Sie macht da keine Unterschiede. Pauschal spricht sie dann von den akademischen Mittelschichten, die sich durch Gated Communities und Privatschulen von den unteren Schichten abgrenzen. Permanent vermischt sie Eliten, akademische Mittelschichten und Kosmopolitismus. Geht es um die Auswertung von Studien, spricht sie plötzlich von kosmopolitischen Unterschichten, ohne das weiter zu beachten. All das könnte man für Unachtsamkeit halten, aber diese Ungenauigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Buch.
Richtig ärgerlich wird es, wenn sie sagt, dass die AfD seit den Grünen in den 80ern die erste Protestpartei ist. Koppetsch blendet Die Linke und alle weiteren wirklich linken Organisationen und Bewegungen systematisch aus. Erst zum Ende wird klar, dass Koppetsch selbst von einer liberalen Position spricht und vor allem die liberale Linke kritisiert. Wer genau diese liberale Linke ist, bleibt ihr Geheimnis. So gerät leicht aus dem Fokus, welche Parteien eigentlich die Arbeiter und Lohnabhängigen in der Regierung verraten haben (die Sozialdemokratie). Wer aber so allgemein spricht, hat dann auch keine linken Lösungsvorschläge.
Rechte akzeptieren und alles gut?
Erst ganz am Ende macht Koppetsch selber ein paar Vorschläge. Sie wirbt für mehr Verständnis für nationale Identitäten und kritisiert die kosmopolitische Arrogranz. Die Rechten sollen als normaler Teil des politischen Systems anerkannt werden. Ihre Herleitung dafür ist spannend. Das liberale Bürgertum hat lange vom Ende der Politik geträumt. Mit dieser Vorstellung räumen die Rechten nun auf. Sie haben die liberale Fortschrittsidee scheinbar an ihr Ende und die Liberalen haben heute keine Erzählung für eine bessere Zukunft mehr.
Letztlich wirbt sie nur für etwas Verständnis für die Legitimität rechter Forderungen innerhalb der liberalen Demokratie.[i] Politische Bewegungen sind heute eben rechts und die Liberalen müssen wieder lernen politischen Pluralismus auszuhalten. Obwohl Koppetsch sich selber auch zu den Kosmopoliten zählt, bietet sie selber keinerlei Zukunfts- oder Fortschrittsidee an. Damit ist ihr Buch nur ein (sehr interessanter) Teil der liberalen Endzeitstimmung angesichts des Aufstiegs der Rechten.
Ein Beitrag zum Kampf gegen Rechts?
Ein Beitrag gegen Rechts ist das Buch damit nur bedingt. Die spannenden Schlaglichter und Fragen werden durch die fehlende politische Perspektive konterkariert. Letztlich wird alles schlechter – Nationalismus und religiöser Fundamentalismus kommen unausweichlich – und als Gegenentwurf gibt es nur die liberalen Kosmopoliten, die die Rechten eher noch stärken.
Nur warum macht sie angesichts dieser Perspektivlosigkeit eine derart falsche gesellschaftliche Kampflinie zwischen rechts und liberal auf? Warum blendet sie linke Antworten systematisch aus?
Klassenblindheit, Sektierertum und linke Arroganz an den Universitäten sind zu Recht zu kritisieren – nur das Label des Kosmopolitismus trifft es nicht. Marktradikale, Kulturlinke, Eliten und linke Bewegungen, echte Sozialdemokraten und SozialistInnen unterscheiden sich politisch. Statt diese Unterschiede analytisch permanent zu verwischen, wäre es besser zu untersuchen wie Lohnabhängige und prekäre oder einfach solidarische AkademikerInnen zusammenfinden können. Anders als die anderen Kritiker des Kosmopolitismus wirbt für Koppetsch zum Beispiel dafür, nicht nur den Rassismus eines Höcke, sondern auch den Alltagsrassismus zu kritisieren.
Letztlich verharrt Koppetsch in der liberalen Blase, die sie selbst im ganzen Buch scharf kritisiert. Die merkwürdige Schlagseite des Buches erklärt sich deshalb vielleicht – ähnlich wie bei Bernd Stegemann und anderen – damit ihrem (links-)liberalen kulturellen und akademischen Umfeld mal ihre Widersprüchlichkeit vorhalten zu wollen. Die Klassenblindheit und Arroganz sämtlicher liberaler Schattierungen von links bis Mitte hat alle Kritik verdient, aber darüber sollte die politische Perspektive nicht aus dem Bild geraten. Ihr Buch ist unterm Strich eines der klügsten und lesenswertesten Bücher des Jahres – vor allem wegen der vielen spannenden soziologischen Ausführungen. Politisch aber ist dieses Buch aus linker Sicht ein großes Ärgernis.[ii]
[i] AfD-Versteher scheint eine populäre Textgattung dieser Tage zu sein. Ganz unironisch ist Thomas Wagners Buch Die Angstmacher: 1968 und die Neuen Rechten aber konsequenter und spannender geschrieben – was Koppetschs Ausführungen keinesfalls schmälern soll, haben sie doch einen weiteren Fokus.
[ii] Wer eine wesentlich ausführlichere Kritik lesen will, die Koppetschs Argumente auch wissenschaftlich abklopft, sei Floris Biskamps großartige Rezension empfohlen. Biskamp interessiert sich dabei vor allem für Koppetschs soziologische Ausführungen zur AfD. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Koppetsch zwar einerseits nirgends Falschbehauptungen aufstellt, aber andrerseits viele ihrer Thesen zu Kosmopoliten und Rechten eben nicht mit wissenschaftlichen Studien nicht untermauern kann. Sie dazu: