Nach Jahrzehnten scheint der Rap endgültig einer Ökonomisierung ausgeliefert zu sein. Das hat auch Auswirkungen auf gesellschaftskritische Inhalte sagt Yusuf K.
Hip-Hop und Rap den ärmeren Bevölkerungsgruppen zuzuschreiben hat Tradition. Doch der Neoliberalismus hat im Deutschrap stark eingeschlagen. Wie Rapper im Geflecht von Bertelsmann (als früherer Zusammenschluss bei Sony BMG) Karriere machen und welche Inhalte zunehmend dominieren, sind spannende Forschungsfelder (Musiktipp: MC Pan – Die Gegendarstellung). Nicht zu verneinen ist die fortschreitende ideologische Ausbreitung des Neoliberalismus beim Großteil der Raplyrics. Wo Rap sich früher viel eher mit Klassenwidersprüchen, Armut und Ausschluss von sozialer Teilhabe auseinandergesetzt hat, bestimmen heute bei den meisten Chart-Künstler*innen andere Inhalte: Statussymbole, Drogenhandel als unternehmerische Leistung, eigene Shisha-Tabak-Marken, „Ich trag‘ nur noch Gucci“-Songs bis hin zu Künstlernamen wie „Capital Bra“. Obwohl solche Inhalte schon vorher existierten, findet man sie immer weniger eingebettet in einer Art Klassenbewusstsein, wo vorher Arm-Reich Konflikte deutlicher wurden (Tipp: „Animus – Malcolm X“ oder „Azad – Blind“). Dabei herrschte Klarheit über die gesellschaftliche Stellung, Abstammung aus Armenvierteln, sowie die Erkenntnis, dass die Schere zwischen Reich und Arm wächst, die Reichen dicke Limousinen fahren usw. Vor dem Neoliberalismus war die Sensibilität stärker geprägt dafür, wie Drogenkonsum und -verkauf, der Drang nach Wohlstandsteilhabe aus bitterer Armut resultieren, anstatt einem platten postmodernen Konsumgeist zu verfallen.
Veränderungen in der Musikproduktion
Dass die wöchentlichen Chartplatzierungen immer mehr von Rap dominiert werden, hat viel mit der Produktions- und Handelsweise dieser Kunst zu tun. Das Verschwinden von gesellschaftskritischen Texten geht einher mit den veränderten Lebensverhältnissen der meisten bekannten Rapper. Trotzdem sind die Veränderungen im Musikmarkt zentral, um die Ökonomisierung von Rap zu einem Kunstbetrieb zu verstehen – und die damit verbundenen Folgen für die Kunst selbst. Die Monopolstellung der großen Musikkonzerne Warner, Universal und Sony ist der Grund, dass erfolgreiche Musikkünstler*innen durch vorhandene Produktionsbeziehungen und Handelsverträge nicht ohne weiteres an ihnen vorbeikommen. Das hat auch seinen Charme: Hohe Gagen, professionelles Management, externe Vermarktung, hohe Vorschüsse usw. Das alles geht mit einer Beschleunigung der Produktion einher: Fristvorgaben in Verträgen für Projekte führen zur Reduzierung der Albenlänge, etwa von18 auf 12 Songs, gekürzten Songlängen etc. Neu sind auch die unsäglichen Musikboxen, wo neben der CD kleinere Give-Aways, T-Shirts in Übergrößen und sonstiger Müll mitverkauft werden. Oftmals zu einem hohen Preis (nie unter 40€), um die Musikumsätze in der ersten Woche des Erscheinens eines Albums in die Höhe zu treiben und einen höheren Chart-Platz zu ergattern. Auch der Wegfall von Free-EPs, Mixtapes oder Freetracks sind Auswüchse der Ökonomisierung. Kostenlose Musik beschränkt sich auf Singles, die einen Albumkauf nahelegen. Zudem entstand ein gigantischer Interview-Markt, wo Künstler*innen stundenlang über sich und andere reden, was nichts mit der Musik zu tun hat. Die Kunstfigur verselbstständigt sich häufig in den Interviews und entwickelt eigene Dynamiken abseits von Musik (Stichwort: „Bosstransformation“).
Wieso Rap trotzdem progressiv sein kann Trotz veränderter Produktionsbedingungen im Musikbetrieb gibt es weiterhin Künstler*innen mit progressiven Inhalten. Allerdings darf man sich keine sozialistische Rapwelt herbeifantasieren, wo jede Person ein „Disarstar“ sein kann (Tipps: „Kein Glück“ oder „Kapitalismus“). Zu glauben, dass alle Künstler*innen die Systemfrage in ihren Texten stellen, ist auch etwas viel verlangt. Oftmals bewegen sich die Texte zwischen Zustandsbeschreibungen und orientierungsloser Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Die Kritik kann auch schnell nach zwei bis drei Verschwörungsvideos auf YouTube in einem ganz anderen Weltbild eingebettet werden. Dennoch werden die Friedensfrage und die soziale Frage immer wieder thematisiert, wenn auch ohne Klassenbegriff (z.B. Vega&Bosca – Alle Kameras an? Oder: Warheit – Hölle auf Erden). Oftmals ist das sogar klarer in der Aussage als sich politisch links verstehender Rap, der allzu häufig schnell ins pseudointellektuelle oder chauvinistische abrutscht – wenn etwa die Blockupy- oder Stuttgart 21-Proteste verunglimpft werden.
Der Beitrag erschien in gedruckter Form in der Critica.