Frauen und Fußball passen nicht zusammen – so das gängige Vorurteil, das hierzulande am deutlichsten vom DFB vertreten wurde. Nun hofft der Verband auf den dritten Weltmeistertitel seiner »Mädels«.
»Unsere Wahnsinns-Mädels«, titelte »Bild« zum Auftakt der Frauenfußball-WM in Kanada. 10:0 hatte die deutsche Nationalmannschaft gegen die Elfenbeinküste gewonnen. Mehr als fünf Millionen verfolgten das Spiel vor dem Fernseher.
Ein derart großes Interesse an den Kickerinnen war vor wenigen Jahren noch kaum denkbar. Frauenfußball galt als Randsportart, spielte in einer Liga mit Unterwasserrugby und Sportschießen. Hartnäckig hielt sich das Vorurteil, die weibliche Variante des Männersports Nr. 1 sei langsam, langweilig und lesbisch. Überhaupt sei Fußball eigentlich nichts für Frauen. Mit großer Selbstverständlichkeit reproduzierten auch männliche Fußballer diese Vorurteile. »Bundesliga ist kein Mädchensport«, soll der ehemalige Bayern-München-Profi Klaus Augenthaler einmal gesagt haben.
Auch der Deutsche Fußballbund (DFB) war in der Vergangenheit keineswegs ein Freund des weiblichen Kickens. Eine Stellungnahme des Verbandes aus dem Jahr 1976 zu Trikotwerbung im Damenfußball gehört da noch zu den harmlosen Verlautbarungen: »Die Anatomie der Frau ist für Trikotwerbung nicht geeignet. Die Reklame verzerrt.«
Das »Wunder von Bern« inspiriert auch Frauen
Noch ablehnender war die Haltung des Verbandes gegen Fußball spielende Frauen in den Jahrzehnten zuvor. Als im Jahr 1954 die Fußballherren zum ersten Mal Weltmeister geworden waren, löste das einen regelrechten Boom aus. Das »Wunder von Bern« regte auch viele Frauen zum aktiven Kick an. So gründeten sich vor allem im Ruhrgebiet mehrere Frauenteams, deren Spiele teils vor erstaunlich hoher Zuschauerzahl stattfanden.
Doch der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens war der Meinung, dass Fußball kein Frauensport sei. Dementsprechend wurde im Juli 1955 beim Verbands-Bundestag in Berlin der Antrag eingereicht, den Frauenfußball zu verbieten. Die ausschließlich männlichen Delegierten nahmen ihn ohne eine einzige Gegenstimme an. Den Vereinen war es fortan untersagt, Frauenteams aufzunehmen oder kickenden Frauen Fußballplätze zur Verfügung zu stellen. Den Schieds- und Linienrichtern verbot der DFB, Fußballspiele von Frauen zu leiten. Bei Zuwiderhandlung drohten harte Strafen bis hin zum Verbandsausschluss.
Hubert Claessen, damals Delegierter und später DFB-Vorstandsmitglied, begründete die Maßnahme damit, dass »der Körper der Frau für den Kampfsport Fußball weder physisch noch seelisch geeignet« sei. Von Verbandsseite hieß es: »Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Sittlichkeit und Anstand.« Auch noch zehn Jahre später verteidigte der DFB seine Entscheidung in einem Schreiben an den Weltfußballverband Fifa. Dort hieß es, dass man in Deutschland »wegen ärztlicher Gutachten über die Schäden des Fußballspiels für den weiblichen Organismus den Frauenfußball verboten habe«.
Polizei räumt den Platz
Dass es den Verbandsangehörigen ernst war, bewiesen sie umgehend nach Verhängung des Verbots. Ende Juli 1955 beendete ein Überfallkommando der Polizei die Partie der Frauen vom DFC Duisburg-Hamborn und Gruga Essen nach nur zwanzig Minuten Spielzeit. »Dann wurde der Damen-Fußball liquidiert. Es war diesmal nichts mit der Gleichberechtigung«, witzelte die »WAZ« am Tag danach. Die Beamten gerufen hatte der zweite Vorsitzende des Platzeigentümers Hertha Hamborn.
Solche Zwischenfälle habe es häufiger gegeben, erinnert sich die ehemalige Dortmunder Spielerin Christa Kleinhans gegenüber der Zeitschrift »11 Freundinnen«: »Ständig wurde ich mit meinen Kolleginnen von Fortuna Dortmund von den Trainingsplätzen vertrieben, und wir mussten auf irgendwelche Wiesen oder in größere Privatgärten ausweichen, wo wir vorher noch die Maulwurfshügel plattmachen mussten.« Gelegentlich besetzten die Kickerinnen abends heimlich Fußballplätze. Ihre Partner mussten dann mit ihren Autoscheinwerfern das Spielgeschehen ausleuchten.
Unter falschem Namen gespielt
Das Verbot konnte den Aufschwung des Frauenfußballs jedoch nicht verhindern. In den 1950er Jahren gründeten sich zahlreiche Frauenvereine wie Fortuna Dortmund oder Rhenania Essen, die sich außerhalb des DFB organisierten. So entstand 1956 in Essen der Westdeutsche Damen-Fußball-Verband, wenig später eröffnete in München eine Abteilung Süddeutschland. Sogar erste Länderspiele wurden ausgetragen. Als die deutsche Elf am 23. September 1956 in Essen die niederländische Auswahl besiegte, wohnten dem Spiel immerhin 18.000 Zuschauer bei. Dennoch blieben die Spielerinnen vorsichtig. Nationalspielerin Anne Droste erinnerte sich später: »Ich wollte nicht, dass in der Firma bekannt wurde, dass ich Fußball spiele. Ja, und da hab ich beim ersten Länderspiel unter falschem Namen gespielt.«
Häufig wichen die Fußballerinnen auf städtische Sportplätze aus. Die Kommunen erhielten im Gegenzug einen Teil der Einnahmen, was sie in Konflikt mit dem DFB brachte. Als im Jahr 1957 das zweite Länderspiel der Damen in München stattfand, beschwerte sich der Verbandsfunktionär Georg Xandry in einem Brief beim sozialdemokratischen Oberbürgermeister: »Mit der in Frage stehenden Veranstaltung sind Sie uns in unserem Kampf gegen den Damenfußball gleichsam in den Rücken gefallen, was dem bisher guten Verhältnis zwischen der Stadt München und uns nicht dienlich sein kann.«
Trotz aller Widrigkeiten entwickelte sich der illegale Frauenfußball weiter. Bis 1965 fanden knapp 150 Länderspiele statt, die von tausenden Zuschauern verfolgt wurden. Ende der 1960er Jahre waren etwa 40.000 bis 60.000 Frauen auf den Bolzplätzen der Republik aktiv – einige von ihnen sogar »subversiv« in DFB-Vereinen. So trafen sich beim badischen FV Daxlanden regelmäßig Frauen mittleren Alters zum Kicken. Der Verein führte sie offiziell als »Alte Herren«.
Verbot aufgehoben
Im Zuge der 68er-Rebellion und der aufkommenden Frauenbewegung veränderte sich Anfang der 1970er Jahre das Frauenbild in der Bundesrepublik. In dieser Zeit kamen Überlegungen auf, einen eigenen Frauenfußballverband unter dem Dach des Deutschen Turner-Bundes zu gründen. Diesem Druck gaben schließlich die konservativen alten Männer des DFB nach. Nach 15 Jahren hob der Verband am 31. Oktober 1970 das Damenfußballverbot auf.
Doch die Schikanen gingen zunächst weiter. Die Funktionäre verordneten den Frauen ein gesondertes Regelwerk. Die Spielzeit wurde auf zwei mal 30 Minuten verkürzt. Außerdem mussten die Kickerinnen sich mit einem kleineren Spielball begnügen und durften keine Stollenschuhe tragen. Im Jahr 1971 untersagte der DFB zudem der Frauennationalmannschaft die Teilnahme an der inoffiziellen Weltmeisterschaft in Mexiko. Als Begründung gab der Verband versicherungstechnische Hindernisse an. Es sollte noch weitere Jahre dauern, bis die Frauen im DFB auch formal gleichberechtigt waren. Zwar wurde ab 1974 eine deutsche Meisterschaft ausgetragen, aber erst 1981 der DFB-Pokal eingeführt. Ein Jahr später wurde schließlich eine Nationalmannschaft gegründet.
An all das will sich der DFB heute freilich nicht mehr erinnern. Auf seiner Website ignoriert der Verbandes unter dem Punkt »Historie« die Zeit vor 1981 schlichtweg. »Frauenfussball? Ja, klar!«, heißt es stattdessen. »In Deutschland erfreut er sich großer Bekanntheit und Beliebtheit. Vor allen Dingen, weil er in der Frauen-Nationalmannschaft einen außergewöhnlichen Botschafter besitzt.«
Frauenfußball in den USA
Doch trotz des jüngsten Zuspruchs: Bis heute stehen die DFB-Damen im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Ganz anders sieht es dagegen in den USA aus. Im Land des zweifachen Weltmeisters ist Frauenfußball eine etablierte Sportart. Nach Schätzungen treten dort rund 18 Millionen Mädchen und Frauen regelmäßig gegen das runde Leder – so viele wie in keinem anderen Land der Welt. In den späten 1990er Jahren zog es zahlreiche europäische Fußballerinnen in die US-Profiliga, weil sie dort Geld mit ihrer Leidenschaft verdienen konnten.
Doch so selbstverständlich war auch der Siegeszug des US-Frauen-Soccers nicht. Der amerikanische Sozialist und Sportjournalist Dave Zirin meint, dass der Boom ohne die Bürger- und Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre nicht denkbar gewesen sei. Tatsächlich war Frauenfußball auch in den USA lange eine Randerscheinung. Als typische Frauensportarten galten stattdessen Tennis und Golf. Noch im Jahr 1977 boten lediglich 2,8 Prozent der Colleges Fußball für Mädchen an. Heute sind es 88 Prozent.
Den Ausschlag gab, so Zirin, eine Auseinandersetzung im Vorfeld der Olympischen Spiele in Atlanta 1996. Damals erklärte das nationale Olympische Komitee, dass die Frauen erst eine Sonderprämie erhielten, wenn sie Gold holen würden. Den männlichen Fußballern wurde hingegen schon ein Bonus zugesagt, wenn sie überhaupt eine Medaille gewännen.
Die empörten Spielerinnen holten sich daraufhin Rat bei einer Frau, die sich mit dem Kampf für gleiche Rechte und gleiche Bezahlung auskannte: der ehemaligen Tennisspielerin Billie Jean King. King hatte in der Vergangenheit die erste Gewerkschaft für Sportlerinnen gegründet. »Ich riet ihnen, nicht zu spielen«, erinnert sie sich. »Das ist der einzige Hebel, den ihr habt.« Die Kickerinnen befolgten den Rat. Sie veranstalteten einen »wilden Streik«, indem sie sich weigerten, am Training teilzunehmen. Der Verband versuchte dem zwar zu entgehen, indem er andere Spielerinnen nachnominierte. Doch letztendlich waren die Fußballerinnen erfolgreich – und das nicht nur außerhalb des Platzes. Sie gewannen die Auseinandersetzung um die Prämie und holten anschließend olympisches Gold. Damit begann der Aufschwung des Frauenfußballs in den USA. Seinen Höhepunkt erlebte er drei Jahre später, als die Spielerinnen im eigenen Land Weltmeisterinnen wurden. Das Finale gegen China verfolgten im Stadion von Los Angeles über 90.000 Menschen.
Zu Werbeikonen stilisiert
Mittlerweile möchte der DFB seine Frauen ebenfalls groß rausbringen. Als die WM im Jahr 2011 in Deutschland stattfand, versuchte der Verband das Ereignis als »Sommermärchen reloaded« zu vermarkten. Der Plan ging durchaus auf: Die großen Konzerne standen Schlange, um sich im Glanze der Fußballerinnen zu sonnen. Unternehmen wie Telekom, Commerzbank, Allianz, Rewe, Deutsche Post und Deutsche Bahn unterstützen die Weltmeisterschaft als »nationale Förderer« mit etwa 24 Millionen Euro.
Vor allem aber wurden und werden die Spielerinnen zu Werbeikonen stilisiert. Auffällig ist, dass der DFB hauptsächlich die jungen Fußballerinnen als Interview- und Werbepartnerinnen anbietet, die über ein ausgeprägtes »weibliches« Auftreten verfügen und den gängigen Schönheitsideal entsprechen. Eine ältere Spielerin wie die 36-jährige Torhüterin und ehemalige Weltfußballerin Nadine Angerer, die sich offen zu ihrer Bisexualität bekennt und auch mal am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg demonstriert, spielte lange Zeit in den Marketingkampagnen nur eine untergeordnete Rolle.
Exemplarisch für den neuen Umgang der Medien mit den Fußballerinnen ist eine Fotostrecke, die »Focus Online« im Vorfeld der diesjährigen WM veröffentlichte. »Diese schönen Fußballerinnen versüßen uns die Weltmeisterschaft«, heißt es dort. »Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen: Diese Frauen sind Models. In Wirklichkeit aber sind sie die Fußballerinnen bei der Frauen-WM in Kanada.« Aus dem DFB-Team wird die 22-jährige Jennifer Cramer von Turbine Potsdam hervorgehoben. Auch sie habe »Model-Potential«.
Kapitalistische Vereinnahmung
Möglicherweise löst Cramer demnächst Fatmire »Lira« Alushi ab, die wegen ihrer Schwangerschaft nicht an der Weltmeisterschaft teilnimmt. Lange galt die gutaussehende, junge Frau kosovo-albanischer Abstammung als ideale Werbeträgerin. »Sponsoren schauen nicht nur auf das Talent, sondern auf den Gesamteindruck«, sagte die Sportwissenschaftlerin Christa Kleindienst-Cachay vor einigen Jahren gegenüber der Zeitschrift »Missy Magazine«. Alushi, die damals noch Bajramaj hieß, beherrsche »diese Klaviatur perfekt: Einerseits Spitzensportlerin, anderseits Frau, die auch als Geschlechtswesen attraktiv ist. Außerdem ist sie Migrantin und Muslima, also exotisch.« Auch die Kommunikationswissenschaftlerin Daniela Schaaf von der Deutschen Sporthochschule in Köln warnt, dass »die Spielerinnen potenziellen Sponsoren neben der sportlichen Leistung einen Zusatznutzen anbieten« müssten, „der oftmals in einem sexuell-attraktiven Körper besteht.“
Deutlich wird dies in einem Werbespot, den der Schuhhersteller Nike im Vorfeld der WM 2011 mit Balushi gedreht hat. »Liras Manifest« heißt das Video. Vordergründig geht es um die Emanzipation des Frauenfußballs. Die Bilder zeigen Bajramaj abwechselnd auf dem Hinterhof und im WM-Stadion kickend. Zu Elektrobeats dichtet eine Frauenstimme: »Offiziell noch illegal bis vor 40 Jahren / Aber dann haben wir gut vorgelegt / Auf immer mehr Plätzen / Schließen uns zusammen auf der Straße, in Clubs und Netzen.« Doch immer wieder liefert der Spot auch Einstellungen, die Balushis Attraktivität ins Zentrum stellen: Sie erneuert ihr Make-up, läuft auf High Heels und präsentiert der Kamera ihren halbnackten Oberkörper.
Diese Kombination aus zur Schau gestellter Weiblichkeit und Befreiungsästhetik steht exemplarisch für eine Entwicklung vieler Subkulturen und Randsportarten, die aus ihrer Nische treten. Nicht selten verwandelt sich gesellschaftliche Ausgrenzung in kapitalistische Vereinnahmung. Das droht nun auch dem Frauenfußball. Mit einem Sommermärchen hat das freilich nichts zu tun.