© Felix Wittmeier

Drei sind keine*r zu viel

Das Sachbuch „Lob der offenen Beziehung“ von Oliver Schott befasst sich mit Liebes- und Lebensentwürfen jenseits der Monogamie sowie ihrer Auswirkungen auf die Beteiligten. Dabei richtet es sich nicht nur an diejenigen, die persönlich betroffen oder bereits informiert sind, sondern auch an jene, die ein grundsätzliches Interesse am Thema haben, denen aber zu Begriffen wie „Polyamorie“ oder „monogamer Beziehungskultur“ nur wenig einfällt. Angesprochen gefühlt? Dann sollte man sich den notwendigen Nachmittag freihalten und den eigenen Tellerrand suchen.

Vorher muss man jedoch ein paar Schritte zurückgehen. Oliver Schott fängt ganz vorne mit der Frage an, warum wir überhaupt über Liebe und Beziehung sprechen, wie wir sprechen. Wer jemanden fragt, ob er oder sie mit ihm oder ihr zusammen sein möchte, drückt schließlich deutlich mehr aus als lediglich das Gesagte. Würde nach ein paar Dates der- oder diejenige sagen: „Ich möchte mit dir zusammen sein und das bedeutet, dass wir vom ersten Tag an so leben, als würden wir auch den letzten Tag zusammen verbringen.“, würde er oder sie nicht viel außer Unverständnis ernten. Komisch, oder? Obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung das monogame Beziehungsmodell favorisiert, erscheint es unnötig starr und doktrinär, sobald man seine Prämissen ausgesprochen hat. Woher kommt dieses selbstverständliche Streben nach einer Form des Zusammenlebens, die den Autonomiebedürfnissen vieler Menschen nicht mehr gerecht wird? Schott skizziert hierzu den Dreischritt aus Wirtschaftsgemeinschaft, Liebesehe und offener Beziehung, der den sozio-historischen Hintergrund für unser (westliches) Verständnis von Partnerschaft bildet. Interessant ist hierbei insbesondere der bereits revolutionäre Charakter der Liebesehe, welche „nicht stabiler als die […] Absichten [sich zu lieben]“[1] sein könne. Die (vielleicht auch nur temporäre) Liebe zur Grundlage der eigenen Beziehung zu machen, eröffnete den Menschen einen Gestaltungsraum, in dem sie mit ihrer eigenen Freiheit konfrontiert werden. Die Ewigkeit verschwand zunehmend aus dem Spektrum der lebensbestimmenden Kategorien und anti-normative Entscheidungen wurden denkbar.

Dass sich Schott auf diese geistige Entwicklungsgeschichte stützt, erscheint bei der Übertragung des Geschriebenen auf eine pauschal definierte, gegenwärtige Menschengruppe als seine größte Schwachstelle. Was bringt es, diese doch sehr europäisch-angloamerikanische Perspektive einzunehmen, wenn man mit Betroffenen aus dem globalen Süden in den Diskurs treten möchte? Genau hier setzt die argumentative Taktik des Buches an. Es geht dem Autor zwar auch um das Nachzeichnen einer gesellschaftlichen Veränderung, jedoch stehen am Ende keine universalen Schlüsse, sondern offene Fragen. So wie es gerade nicht darum geht, einen Standpunkt und seine Genese zu verteidigen, soll viel eher dargestellt werden, warum es schadet, „sich diese Fragen nicht selbst [zu] stellen“.[2] Die Frage nämlich, warum man so lebt wie man lebt und warum man die Person liebt, die man liebt.

Um auch jenen ihre Bedenken gegenüber besagten Gedankenexperimenten zu nehmen, die all diese Ausführungen für zu rational oder lebensfremd halten, erläutert Schott auf verständliche Art und Weise das Wesen des Graubereichs zwischen Vernunft und Gefühl. Er plädiert für einen reflektierten Umgang mit den eigenen Gefühlen, die Anerkennung ihrer „Fehlbarkeit“[3] und die Ablehnung jeglicher innerer „Autorität“.[4] Eifersucht und der Hass auf sexuelle Minderheiten seien schließlich auch Gefühle, die aus der jeweiligen subjektiven Perspektive vielleicht Sinn machen würden, aber einer selbstkritischen Revision durch den eigenen Verstand nicht standhalten könnten. Schließlich gehe den allermeisten Gefühlen eine Interpretation durch den Verstand voraus, die sich durch eine neue Erkenntnislage jederzeit ändern könne.[5]

Bemerkenswert sind insbesondere seine Ausführungen zum Thema Eifersucht. Diesem Gefühl wird eine hervorgehobene Rolle in dem Buch eingeräumt, denn häufig werden insbesondere polyamoröse Beziehungen als urtypisch von Eifersucht bedroht dargestellt. Schott differenziert zwischen Eifersucht im weiteren und „Eifersucht im engeren Sinne“.[6] Erstere sei die Projektionsfläche für eine Mischung aus ominösen negativen Gefühlen, während letztere durch die konkrete Beziehung des eigenen Partners mit einer anderen Person ausgelöst werde. Es wird herausgearbeitet, warum Eifersucht kein spezifisch polyamoröses Problem, sondern eine Folge des Setzens unehrlicher Exklusivitätsvorstellungen ist, und inwiefern die eigene Sozialisierung mit den individuellen Vorstellungen kollidieren kann.

Zum Schluss vielleicht noch ein paar persönliche Gedanken:

Als ich das Buch zum ersten Mal in die Hand genommen habe, war ich mir zweier Sachen sehr sicher: ich weiß, was Monogamie ist und ein Buch von 2010 kann mir bei einem solchen aktuellen Thema unmöglich gewinnbringende Einblicke eröffnen. Die erste Gewissheit ist zumindest in ihrer Klarheit nicht mehr haltbar und die zweite wurde gerade durch die Diskussion zur sogenannten „Verantwortungsgemeinschaft“ widerlegt. Über Liebe, Gefühle und die eigenen Wünsche nachzudenken, tut jeder Beziehung gut und manchmal braucht man – wenn man sich seiner Sache zu sicher ist – ein entgegengesetztes Beziehungsmodell, das einen wieder nach innen blicken lässt. Im Laufe des Buches wird deutlich, dass dies der eigentliche Auftrag des Buches „Lob der offenen Beziehung“ ist und keineswegs missionarischer Eifer.

Wenn die neue Bundesregierung mit ihren Plänen zur Verantwortungsgemeinschaft auch nonkonformistische Lebensentwürfe unterstützt, ist dies begrüßenswert, auch wenn viele Fragen der konkreten Ausgestaltung noch offen zu sein scheinen. Dass aber derart ernst und unaufgeregt mit dem Thema umgegangen wird, kann bereits als Teilerfolg gewertet werden.

Anscheinend haben in den letzten 12 Jahren doch einige „Lob der offenen Beziehung“ gelesen.

„Lob der offenen Beziehung“ von Oliver Schott ist im Bertz + Fischer Verlag als Taschenbuch erschienen und kostet 7,90 Euro.


[1] Schott, Lob der offenen Beziehung, 8. Aufl., S. 18.

[2] Schott, Lob der offenen Beziehung, 8. Aufl., S. 25.

[3] Schott, Lob der offenen Beziehung, 8. Aufl., S. 31.

[4] Schott, Lob der offenen Beziehung, 8. Aufl., S. 31.

[5] Schott, Lob der offenen Beziehung, 8. Aufl., S. 34 f.

[6] Schott, Lob der offenen Beziehung, 8. Aufl., S. 43.

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