Aufstände, Rassismus und die Krise

Im Sommer 2011 gingen nicht nur in der arabischen Welt junge Menschen auf die Straße, auch in London explodierte der angestaute Zorn junger Erwachsener und Jugendlicher nach einem Mord an einem migrantischen Engländer durch die englische Polizei. Während die Aufstände in der arabischen Welt richtgerweise als demokratische Kämpfe bezeichnet wurden, wurden die Jugendlichen in Englands als Kriminelle und Verbrecher dargestellt.

Moritz Altenrieds Werk “Aufstände, Rassismus und die Krise des Kapitalismus” wirft einen tieferen Blick auf die Ereignisse, deren Hintergründe und die mediale Wahrnehmung. Altenried, der schon im Prolog deutlich macht, dass es sich bei diesem Buch um eine linke kritische Sichtweise auf die Ereignisse handelt, beschreibt in vier Kapiteln, eines für jeden Tag der Riots, vier Probleme des neoliberalen Englands. Die Riots sind aus seiner Sicht Aufstände gegen die Politik, wie er auf Seite 12 deutlich macht, deren politischen Inhalt will er mit diesem Buch verdeutlichen, wohl wissend, dass auf 80 Seiten keine umfangreiche Darstellung möglich ist. Das erste Kapitel, welches sich mit dem Auslöser der Riots, dem Mord der englischen Polizei an einem dunkelhäutigen Mann im Londoner Stadtteil Tottenham, beschreibt nicht nur den ersten Tag, es beschäftig sich auf mit dem institutionellen Rassismus, der zu 333 Opfern von Polizeigewalt geführt hat. Er erklärt wie sich die soziale Konstruktion „schwarzer Kriminalität“ zu einem „wirkmächtigen Topos im Alltagsverstand der weißen Mehrheitsgesellschaft“ (S. 16) entwickelt und unter anderem zu einem „racial profiling“ und zu rassialisierenden gebietsorientierten Strategien der Polizei geführt. Zutreffend und schlagend wird festgestellt, dass in den letzten Jahrzehnten am Anfang fast aller größeren Riots in England die Tötung eines Schwarzen Menschen durch die Polizei stand. Altenried zitiert den Schwarzen Bürgerrechtler und Autor Darcus Howe, der die Grundlage für die Riots zusammenfasst: “Das ist ein Massenaufstand. Ich spreche hier nicht von Krawallen, ich spreche über einen Aufstand aus den Tiefen der Gesellschaft, aus dem kollektiven Bewusstsein von nicht ausschließlich aber mehrheitlichen jungen Schwarze, als ein Resultat des ständigen grundlosen stop-and-search.” Altenried erkennt dies als richtigen Schluss und zieht Vergleiche zu den Aufständen in den französischen Banlieues

Konsumpflicht und Diebstahl

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Ausgrenzung von denjenigen, die nicht die Möglichkeiten haben sich moderne Konsummittel zu besorgen. Die Beschreibung des zweiten Tages endet mit dem Zitat eines Rioters: “So viel, wie die uns gestohlen haben, können wir gar nicht plündern.” (S.30) Ein Zitat, dass wohl für die meisten Menschen gelten dürfte, die sich nicht auf der vom Kapitalismus profitierenden Seite befinden, allerdings nur von den wenigsten so erkannt wird. Altenried bezeichnet die Plünderungen “als Form der kollektiven Aneignung von Waren,” die eine durchaus fundamentale Kritik formulieren, “die sich weniger in ihrem appellativen Charakter als in ihrer Unvermittelheit äußert.” (S. 36) Er zieht in dem Kapitel den Zusammenhang von Armut und Aufständen, lässt allerdings diejenigen außer Acht, die trotz Armut und Ausgrenzung nicht zu Riotern werden. “„Die Plünderungen (sind) als kollektive Aneignung von Gütern nicht nur eine zwangsläufige Reaktion auf Armut, sondern als kollektive Aneignung auch ein Eingriff in die symbolische Ordnung. Damit sind als sie direkt politisch zu verstehen.“ (S. 41) Sie sind somit ein politisches Statement, ein politischer Akt ohne jegliche Worte, ohne jegliche Organisation.

Das dritte Kapitel wird zur Besprechung von Verdrängung und Entrechtung im urbanen Raum mit Fokus auf die Wohnräume genutzt. In Londen gibt es zwar keine Ghettos wie in US-amerikanischen Metropolen oder in Frankreich, doch gleichzeitig sei London die Großstadt mit der höchsten ökonomischen Ungleichheit in Europa. Er zitiert eine Frau, die die Plünderung nicht nur auf die fehlenden Konsummittel bezieht, sondern auch als Kampf gegen die Verdrängung erkennt. Ein Kampf, der auch in Deutschland immer mehr an Fahrt gewinnt, wobei die Verdrängung aus den Stadtteilen führt.

Sicherheit und Säuberung

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit den am letzten Tagen folgenden Kämpfen und den massiven Strafen gegen die beteiligten Jugendlichen, die von Knast für die Beteiligten über Sippenhaft, Eltern wurden aus ihren Wohnungen geschmissen, reichten. Er berichtet über die Mobilisierung von asiatischen Communities gegen die “schwarzen Plünderer”, dass sich die türkisch/arabisch/kurdischen Vereine nicht instrumentalisieren lassen wollten, auch wenn der Presse sehr an diesem Versuch gelegen war, zeigt das Zitat eines Jugendlichen: ” Wenn man uns des Terrorismus beschuldigt, sind wir Muslime, wenn wir von Plünderern getötet werden, werden wir asiatisch.” (S. 61) Altenried zeigt deutlich wie die Rioter an die Rande der Menschlichkeit gestellt werden. Anstelle der Erforschung und der Lösung der sozialen Gründe für die Riots “radikalisiert sich damit eine Logik der Exklusion und Repression gegenüber den vermeintlich ‚kranken Teilen‘ der Bevölkerung, sodass zunehmend von einer autoritären Wende des Neoliberalismus gesprochen werden kann.” (S. 64)

Altenried macht das Versagen der herrschenden Politik, wie auch großer Teile der radikalen Linken deutlich, wenn sie die Aufstände als nicht politisch abtun, weil sie sich nicht durch Forderungen, sondern durch Handlungen hervortun. Das politische der Aufstände wird abschließend durch ein Zitat von Negri deutlich: ” Diese Bewegungen sind politisch, da sie sich auf einem konstruierenden Terrain positionieren und nicht im Bereich der Forderungen. Sie greifen Privateigentum an, weil sie es Form ihrer Unterdrückung kennen.” (S.72)

Altenried hat mit “Aufstände, Rassismus und die Krise des Kapitalismus” ein gutes Werk abgeliefert für das Verständnis von Aufständen und den Folgen der sozialen Spaltung, größter Makel bleibt die von Altenried erkannte eigene Position im System als weißer Akademiker, da sich der Sprachstil eines solchen durch das Buch zieht und es somit für Menschen aus bildungsferneren Haushalten nahezu unlesbar macht.
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