Sie müssen hören, wenn sie uns nicht sehen

Samstag, 15:00 Uhr, eine Fahrraddemo für den Ausbau der Grünflächen fährt durch die Stadt. Annalena sitzt auf ihrem Rennrad und unterhält sich mit Zoe, die auf ihrem E-Fahrrad gemütlich mitfährt. Auf einmal wird es lauter, denn neben der Demo fährt ein schwarzer Mercedes E 280 vorbei.

Aus dessen Fenster dröhnt Deutschrap, während sich der aus dem Fenster gelehnte Arm im Takt bewegt. Annalena und Zoe empören sich über die Machoprolls, die mit ihrer lauten Mucke das Gespräch stören und mit ihrem Auto sowieso nur angeben wollen und nebenbei die Umwelt zerstören. Sie haben vielleicht nicht unrecht, dass der 13 Jahre alte Benz die Umwelt gefährdet und dass die Jungs im Auto doch nur angeben wollen.

Doch einer linken Bewegung wird diese Feststellung nicht weiterhelfen. Dass der Kanacke im dicken Benz dabei zum Symbol geworden ist, einem Symbol für Egoismus, Machotum und Ignoranz, ist auch auf der Fahrraddemo unbestritten.

Abgehängt sein

Während Teile der Linken auf die Prolls im Benz schimpfen und Verbote fordern, wird kaum Energie darauf verwendet zu verstehen, warum gerade junge migrantische Männer häufig solche Autos fahren: In bildungsbürgerlichen Kreisen wächst man mit dem Wissen auf, dass man die Uni besucht, was Gutes lernt und sich irgendwann ein Reihenhaus kauft. Später kommt möglicherweise noch das Sammeln von guten Rotweinen und der Wunsch, in den Pyrenäen wandern zu gehen, hinzu.

In den sozialen Brennpunkten jedoch sieht die Vorstellung anders aus, besonders bei Migrantinnen und Migranten – denn schon von früh auf lernt man, dass man es eh zu nichts zu bringen wird. Eine Gewissheit, die geschaffen wird durch Film und Fernsehen, Mainstreampresse, diffamierenden Sprüchen in der Schule und durch die Politik.

Dabei ist klar: Wer in solchen Verhältnissen aufwächst, hat ein anderes Ziel. Man möchte es raus schaffen, raus aus dem Block, raus aus Verwahrlosung, und der ganzen Welt zeigen, dass man es zu etwas gebracht hat. Man möchte Mama und Papa ein Auto kaufen, bei dem nicht die Sorge vorherrscht, dass es an der nächsten Ecke kaputt geht. Umziehen, am besten in ein Haus weg vom Grau und dem Beton, man möchte einfach zur Gesellschaft dazugehören. Doch das Glücksversprechen des Kapitalismus ist trügerisch, die wenigsten schaffen es raus. Die Vorstellung, es durch Fleiß und Arbeit zu erreichen, wird durch Diskriminierungen im Alltag und ein undurchlässiges Bildungssystem erschwert. Dabei lernen vor allem junge Männer in unserer Gesellschaft, wie wichtig es ist, all das nicht an sich heranzulassen: Sie sollen hart und erfolgreich sein.

Die Realität ist aber eine andere. Sie ist nicht geprägt von Aufstieg, sondern von Hoffnungslosigkeit und zunehmenden Unterschieden zwischen Armen und Reichen. So wird für viele junge Migranten aus dem Wunsch, das begehrte Haus und den Neuwagen zu besitzen, eben der Kauf eines 15 Jahre alten Mercedes oder BMW, der damals viel kostete, heute aber weniger kostet als ein neues Elektrofahrrad.

Es geht um Anerkennung

Doch während es einem klar ist, dass das Glücksversprechen sich nicht erfüllt hat, ist der Wunsch, dass es einem besser geht und man anerkannt wird, immer noch da. Dieser Wunsch nach Anerkennung spiegelt sich wider im Umgang mit Autos, mit denen man durch die Stadt rast.

Der Rapper und YouTuber „Slavik“ bringt das auf den Punkt: „Der deutsche Thomas hat 20 Millionen auf dem Konto und fährt Fahrrad, der Umwelt zuliebe. Aber wenn der Slavik sich ein Nissan-Mikra kauft, denkst du, jemand denkt dran, dass er es der Umwelt zuliebe tat? Dieser Slavik, dieser Underdog mit 20 Millionen! Nein, sie denken dann, ah, der Domino‘s Pizzafahrer.“

Wer auf diesen Wunsch nach Anerkennung, und als Einzelner gesehen zu werden, nur mit Abwertung reagiert und Benz-Fahrer als Macho und Proll stigmatisiert, der wird die (migrantische) Unterschicht weder verstehen noch erreichen.

Denn die lebenslange Sehnsucht, zu einer Gesellschaft dazuzugehören, in der der Status sich über Materielles offenbart, wird nicht dadurch verändert, Menschen zu erklären, dass man keine Statussymbole braucht und der Benz doch nur eine Penisverlängerung sei oder die Umwelt zerstört. Diesen Wunsch nach Anerkennung kann man nur befriedigen, wenn man soziale Verbesserungen schafft und die Stigmatisierung von Migranten als ewige, dummbleibende Unterschicht beendet.

Die linke Bewegung muss daher verstehen: Laute Mucke aus dem Mercedes mag nach außen hin ein Zeichen des Machotums sein. In Wahrheit ist es aber vor allem die Selbstvergewisserung, dass man den eigenen Aufstieg doch noch nicht ganz aufgegeben hat. Ob Annalena und Zoe diese Sehnsucht irgendwann nachvollziehen können, wird auch darüber entscheiden, ob linke und Umweltbegungen Menschen außerhalb der urbanen Mittelschicht zu erreichen.

Bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz und dem eigenen Aufstieg wird der Wunsch nach Anerkennung und gesellschaftlicher Teilhabe sich wohl auch weiterhin in dicken Autos manifestieren, und dies bringt niemand besser auf den Punkt als der Rapper „Credibil“: „Der ganze Randbezirk will AMGs! Sie sollen hören, wenn sie uns nicht seh’n“.

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