„Es gibt nicht mehr viel kritischen Geist in der Polizei“

Teil 2 des Interviews mit Thomas Wüppesahl, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten. Wüppesahl war Anfang der 90er „als die Grünen noch grün waren“  innenpolitischer Sprechers der Grünen Bundestagsfraktion. Das Interview führte Alexander Hummel.

Critica: Bei G20 wurde wieder mal intensiv Pfefferspray eingesetzt. Wie bewerten Sie generell den Einsatz von Pfefferspray? Welche Gefahren sind damit verbunden?

Wüppesahl: Pfefferspray liegt knapp unter dem Schusswaffeneinsatz. Nach Pfefferspray kommt nur noch die Schusswaffe. Die Erfahrungen bei Stuttgart 21, Blockupy in Frankfurt, später auch in anderen Städten, G20 oder anderen Einsätzen haben gezeigt, dass die Polizeien den Einsatz dieses Hilfsmittels körperlicher Gewalt nicht verhältnismäßig anwenden können und dies auch nicht wollen. Es gibt hier ganz krasse Vorgänge, wo ohne Rechtsgrundlage flächendeckend Pfefferspray versprüht wurde oder auch Einzelpersonen gezielt mit einer großen Menge an Pfefferspray gefährdet und verletzt wurden. Selbst wenn wir hier von einer 40-mal so hohen Dunkelziffer ausgehen, ist das noch eine konservative Schätzung. Das Pfefferspray muss den PolizeibeamtInnen wieder weggenommen werden.

In den letzten Jahren ist die Anzahl an Toten durch Polizeiwaffengebrauch kontinuierlich gestiegen. 2014 gab es 7 Tote, 2015 10 Tote und 13 im Jahr 2016. Wie erklären Sie sich diese Zahlen?

Wir werden noch weitere Steigerungen erleben, weil die sozialen Konflikte in diesem Land noch weiter zunehmen werden und zudem die binnenkulturelle Verrohung in den Polizeien galoppierend voranschreitet. Die Aufrüstung unserer Polizei und das Fehlen negativer Sanktionen führen dazu, dass auch die Schusswaffe lockerer sitzt, zumal das Kaliber 7,65 den Polizeimuseen übergeben ist und alle mit 9mm-Munition, die auch noch tendenziell einem DumDum-Geschoß nahekommen, arbeiten [ein DumDum-Geschoß meint eine Patrone mit Teilmantelgeschoss, die sich beim Aufprall im Ziel verformt. Echte DumDum-Geschosse sind als Kriegswaffen geächtet, die Redaktion]. Die Verletzungen sind dadurch immer gravierender und auch eher tödlich.

Da lässt sich raushören, dass Sie allgemein einen Anstieg der Polizeigewalt in den letzten Jahren und Jahrzehnten beobachten. Wie würden Sie diese Entwicklung erklären?

Entscheidend für die Frage ist, wer hierfür die politische Verantwortung trägt. So lange immer nur SPD und CDU und in Bayern natürlich die CSU die Innenministerien besetzen, wird sich daran nichts zum Positiven ändern. Zwar gab es früher gelegentlich FDP-Innenminister, Burkhard Hirsch als NRW-Innenminister von der FDP in den 80er Jahren oder auch von der FDP Baum und Genscher als Bundesinnenminister, das waren noch ganz andere Zeiten. Die Grünen verweigern dogmatisch dieses Ressort zu übernehmen; schon peinsam.

Seit der Wende haben wir einen massiven Rechtsruck in diesem Land und die InnenministerInnen stellen sich hinter jede Vorgehensweise ihrer Polizei – egal was sie machen: ob bei solchen Versammlungslagen oder beim NSU-Komplex, ob bei den Hassanschlägen auf Flüchtlingsheime und Asylbewerberunterkünfte, ob das Chaos inklusive dem Missachten diverser Gesetze bei der Flüchtlingswelle 2015/16 oder dem Komplettversagen bei Anis Amris vielfach angekündigtem Terroranschlag bei der Vorbereitung, Durchführung und auf seiner Flucht mit auch noch frisierten Akten im LKA Berlin – Sie hören keine Kritik durch einen Innenminister an „ihrer“ Polizei. Solange wir dort eine solche Hilflosigkeit agieren sehen, solange wird sich auch in den Polizeien nichts verändern. Das ist die entscheidende Stellgröße, die politische Führung und deren politischer Wille. Dort will man in der Polizei keine kritischen Köpfe haben, diese wurden alle rausgeschmissen oder anderswie kalt gestellt. In Hamburg sind inzwischen alle relevanten Stellen der Sicherheitsarchitektur, ob Verfassungsschutz, Polizeipräsident oder sonst was durch ehemalige PolizeibeamtInnen besetzt, selbst die entscheidenden Abteilungen der Innenbehörde wie dem Amt für Sicherheit und Ordnung. Es fehlt nur noch, dass der Innensenator ehemaliger Polizeibeamter ist. Das waren früher JuristInnen, SoziologInnen oder andere Berufsgruppen. Dafür muss man nicht PolizeibeamtInnen nehmen. Wenn man aber nur noch PolizeibeamtInnen um sich hat, dann hat man nur diese polizeiliche Denke.

Was würden Sie sagen, sind Gründe, warum nicht mehr Polizistinnen und Polizisten wie Sie sich öffentlich über die Verfehlungen der Polizei äußern?

Mit Verlaub, aber das ist fast eine rhetorische Frage. Also dazu gehört der Korpsgeist, die Mauer des Schweigens, jeder der sich so äußert, wird exkludiert, gemobbt oder sogar aus dem Dienst entfernt. Das geschieht vor allem informell aber manchmal auch formal mit an den Haaren herbeigezogenen Disziplinar- oder Strafverfahren. Denn genauso wie man relevante Sachverhalte gegenüber PolizeibeamtInnen runterfahren kann – also wenn die Staatsanwaltschaft wie am Fließband einstellt, denn dann ist der Sachverhalt eingestellt und gelangt nicht vor Gericht – kann man umgekehrt aus einem Furz eine Giftgaswolke machen. Das geschieht mit solchen KollegInnen. Aus der Bielefelder Sozialforschung aus den 90ern wissen wir, dass die größte Angst der KollegInnen darin liegt informell ausgegrenzt zu werden, nicht die Sorge vor Disziplinar- und Strafermittlungsverfahren, die in der Regel bei PolizeibeamtInnen eingestellt werden. Wenn man erstmal das Label ‚Kameraden-’ oder ‚Kollegenschwein’ hat, ist es vorbei. Dann bekommt man keinen Fuß mehr auf den Boden. Damit ist dann bei den meisten PolizeibeamtInnen, weil sie nichts anderes gelernt oder studiert haben, die berufliche Existenz verbunden, Familienabsicherung und und und.

Würden Sie sagen, dass es aber durchaus mehr kritisches Potential bei den PolizistInnen gäbe, dass sich dieses aber wegen des Korpsgeist nicht äußern kann?

Nein, es gibt nicht mehr viel kritischen Geist. Für Hamburg können wir das definitiv sagen. Das wurde alles weggeschmirgelt oder ist jetzt in Pension. Schon zwischen 2001 und 2009 wurden unter Roland Schill und Ole von Beust auch im höheren Dienst die relevanten Leute alle weggeschickt: das betraf den Leiter des Landeskriminalamtes, den Leiter Wirtschaftskriminalität, den Leiter organisierte Kriminalität et cetera, die wurden alle an die Landespolizeischule geschickt. Landespolizeischulen und Fachhochschulen sind bei den Polizeien eben bundesweit die Mülleimer. Deswegen müssen die Leute, die dort landen, nicht schlecht sein, aber sie passen nicht in die Praxis oder den Vollzug. Solange das so wie derzeit gesteuert ist, können Sie nicht von noch relevantem kritischem Potential in den Polizeien ausgehen, zumal die Auszubildenden an den Landespolizeischulen und Polizeiakademien ja auch darüber schon früh sehen was einem widerfährt, wenn man seine Korpsgeist-Strophen missachtet. Kritisches Potential gab es aus den 80er Jahren heraus, als die Fachhochschulen für die Polizeien neu gebildet waren. Doch diese sind inzwischen längst zu gehobenen Berufsschulen verkommen und werden wieder von der Polizei und den Innenministerien beherrscht. Da gibt es keine unabhängige, also wissenschaftliche oder akademische Ausbildung. Da können wir im Moment nicht viel Hoffnung machen. Aber das ist alles keine Naturgesetzlichkeit. Wenn es ganz oben, also in den Innenministerien, andere Kräfte gäbe, ließe sich das ändern.

Als Außenstehender ist der polizeiliche Korpsgeist nur schwer nachzuvollziehen. Wie kommt es zu diesem?

Es gibt einen Korpsgeist, der völlig legitim und notwendig ist. Bei der Polizei gibt es Situationen, wo man in einer Gefahrengemeinschaft agiert wie bei bestimmten Einsatzlagen, gegen irgendwelche Kapitalstraftäter. Das ist bei Raubmord, Terrorismus, Drogenhandel und organisierter Kriminalität schlechthin der Fall. Da kommen Sie auch aus dem Streifenwagen  in Situationen, wo Sie sich bedingungslos auf den Kollegen oder die Kollegin verlassen können müssen. Das ist der gesunde Korpsgeist. Wie beim Soldaten. Dabei geht es dann um die Gesundheit der beteiligten BeamtInnen oder sogar ums Leben. Das Problem ist aber, dass wir den ungesunden Korpsgeist längst als Alltagsroutine haben. Das betrifft sämtliche Bereiche: etwa bei verbalen Konfliktlagen mit BürgerInnen – da werden sie es nicht erleben, dass ein Kollege einem Bürger gegen seinen anderen Kollegen Recht gibt. Genauso ist es bei Strafverfahren gegen PolizeibeamtInnen oder wenn KollegInnen selbst sehen, dass ein Beamter oder eine Beamtin eine Straftat begangen hat. So gut wie nie werden PolizeibeamtInnen dies melden. Alle BeamtInnen haben dann in der Situation Hörprobleme, gerade woanders hingeguckt und wissen was von ihnen erwartet wird. Das ist der negative Korpsgeist.

Außerdem gibt es noch die Dimension, dass wenn PolizeibeamtInnen eine Straftat sehen und nichts tun, sie später automatisch noch mit einem anderen Straftatbestand des Strafgesetzbuches konfrontiert sind, nämlich Strafvereitelung im Amt. Das heißt, wenn sie nicht auf der Stelle was tun, dann müssen sie sich nach aktueller Gesetzeslage später, wenn sie die KollegInnen doch noch anzeigen, dafür rechtfertigen. Aber das ist natürlich keine Rechtfertigung, nicht einmal eine Entschuldigung, zumal die Staatsanwaltschaften und Gerichte solche Konstellationen entsprechend würdigen. Sie haben es jetzt auch beim G20-Einsatz. Ich kenne nicht eine Remonstration, obwohl dutzende rechtswidrige Handlungen durch Polizeibeamte stattgefunden haben. [Eine Remonstration ist im deutschen Beamtenrecht ein schriftlicher oder verbaler Widerspruch gegen eine Weisung durch einen Vorgesetzten, die zu einer Überprüfung der Weisung und gegebenenfalls zu einer Entbindung von der Gehorsamspflicht führt, critica-Redaktion].

Man kann das auch nicht gleichsetzen mit Straftaten, die von Autonomen oder wem auch immer dort begangen wurden, weil das BürgerInnen sind. Die handeln privat, auf eigene Rechnung. Hier handeln PolizeibeamtInnen aus der Rolle des staatlichen Gewaltmonopols. Das ist eine ganz andere Qualität.

Wenn der Staat sagt, wir haben das Gewaltmonopol, ihr Bürger habt das nicht selbst zu regeln und sich dann mal eben um 10.000 oder 8.000 Polizeibeamte bei der Öffentlichkeitsarbeit vertut, während nicht eine der Straftaten, die jetzt PolizeibeamtInnen vorgeworfen werden durch eingesetzte Polizeibeamte angezeigt wurde, dann war es das für den Rechtsstaat. Dann darf man ihn langsam als Potemkinsches Dorf bezeichnen.

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