Der Verteilungskampf um die Kosten der Krise wird nicht bis zur nächsten Bundestagswahl warten. Er hat bereits begonnen. Die Stiftung Marktwirtschaft und das Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg stellten kürzlich bei einer Präsentation in Berlin fest, dass die deutsche Verschuldung das Krisenniveau von 2010 erreichen könnte. Sie sprechen von einer dramatischen Ausweitung der Nachhaltigkeitslücke, die vor allem die jungen Generationen belaste.
Wieder einmal bemühen die Neoliberalen den Solidaritätsbegriff für ihre Politik der Individualisierung: Nachdem sich die junge Generation auf dem Höhepunkt der Pandemie solidarisch mit den Älteren gezeigt habe, müssten die Älteren nun etwas an die nachfolgenden Generationen zurückgeben. Die Tilgung der Schulden müsse möglichst bald beginnen und der Sozialstaat „generationsgerechter“ gemacht werden. Die ideologische Wegbereitung scheint in vollem Gange.
Was sind die Gründe für die Verschuldung?
Im Zuge der Corona-Krise wurde weltweit auch die Produktion in Industrie- und Dienstleistungsbetrieben eingeschränkt oder ganz heruntergefahren. So auch in Deutschland. Die Dynamiken und Zwänge des kapitalistischen Wirtschaftssystems verstärken dabei diese Krise. Sie führte nicht nur dazu, dass keine neuen Waren produziert oder Dienstleistungen zeitweise eingestellt wurden, sondern Menschen verloren ihre Jobs und damit neben ihrem Einkommen auch die Sicherheit, in Zukunft ein Einkommen zu haben. Andere landen in Kurzarbeit und verlieren mit einem Teil ihres Gehalts auch die Möglichkeit Produkte zu kaufen, die trotz der Krise weiterhin im Überfluss vorhanden sind. Kleine und mittelständige Unternehmen gehen Pleite oder werden von großen Konzernen geschluckt.
Für viele Konzerne war die Corona-Pandemie und der anschließende Lockdown ein schwerer Schlag. Und es gab andere, die davon profitierten. Die Automobilindustrie, die bereits vor der Coronakrise auf eine Überproduktionskrise zusteuerte, nutzte die Möglichkeit der staatlichen Beihilfen und des vereinfachten Zugangs zu Kurzarbeitergeld für die eigene Restrukturierung: Auf Staatskosten versuchen Automobilkonzerne ihre Überproduktion abzubauen und Personalkosten einzusparen. Für die Beschäftigten in Kurzarbeit ist der vereinfachte Zugang zu Kurzarbeitergeld eine begrüßenswerte Maßnahme, die zumindest einen Teil des Einkommens sichert. Für die Konzerne hat es jedoch gleich zwei Funktionen: Es hilft den Unternehmen, die auch ohne Pandemie in eine Krise gestürzt wären, und es lässt den Binnenmarkt nicht einbrechen.
Sind alle diese Maßnahmen richtig?
Dass die Bundesregierung mit einem Konjunkturpaket auf den Wirtschaftseinbruch reagiert, ist grundsätzlich richtig. Doch die Maßnahmen haben eine klassenpolitische Schlagseite, denn ein Großteil hilft nicht den Betroffenen, sondern den Konzernen. Was passiert mit denjenigen, die durch Jobverlust ihre Existenzgrundlage verloren haben? Sie brauchen schnelle Unterstützung und stabile Sozialsysteme, die sie nicht nur kurzfristig auffangen, sondern ihnen vielmehr Perspektiven für die Zukunft eröffnen.
Doch während Konzerne wie die Lufthansa und die Profite ihrer Hauptaktionäre mit Milliarden „gerettet“ werden, gibt es in der Pflege ein neoliberales Weiter so. In Deutschland arbeiten knapp 400.000 Menschen, die den Pflegeberuf einmal erlernt haben, ihn aber wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht mehr ausüben. Doch anstatt die Arbeitszeiten zu verkürzen und in öffentliche Krankenhäuser zu investieren und den Pflegeberuf dadurch wieder attraktiver zu machen, hält Gesundheitsminister Spahn am Status quo fest und versucht, den Personalmangel über Anwerbungen aus dem Ausland zu beheben. Es ist mehr als augenfällig, dass die Bundesregierung den großen Automobilkonzernen und Luftverkehrsunternehmen finanziell unter die Arme greift, und den Pflegenotstand durch bloßes Klatschen zu beseitigen versucht.
Wer soll das bezahlen?
All diese Krisenkosten müssen am Ende bezahlt werden: Die Unterstützung für diejenigen, die sie dringend benötigen, die Rettungs- und die Konjunkturpakete. Um all das zu finanzieren, muss die Bundesregierung sich an den Kapitalmärkten Geld leihen. Doch auch staatliche Kredite müssen irgendwann zurückgezahlt werden – die staatlichen Mittel ebenso wie die Zinsen. Sie schränken den Spielraum für staatliche Ausgaben in der Zukunft ein.
Wer soll das bezahlen? Darauf gibt die Bundesregierung keine Antwort. Dabei läge eine Antwort so nahe: Kosten, die aus der Dynamik eines Wirtschaftssystems entstehen, welches einige wenige Gewinner und ansonsten niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, Konkurrenzdruck und eine immer schlechter werdende (soziale) Infrastruktur produziert, müssen eben von den wenigen Gewinnern getragen werden. Jene, die seit Jahren und Jahrzehnten profitieren, die sich sogar in der Krise dicke Dividenden auszahlen lassen – während andere um ihre Existenzgrundlagen ringen – müssen zahlen. Eine Abgabe von zehn Prozent auf die Privatvermögen des einen Prozents der reichsten Deutschen würde die Richtigen in die Verantwortung nehmen.
Doch der Blick zurück zur letzten Krise zeigt: Umverteilung von oben nach unten geschieht nicht von allein. Und zugleich ist es alles andere als einfach, den neoliberalen Umbau der Gesellschaft aufzuhalten. Es braucht dafür politische Allianzen. Deshalb wäre es jetzt an der Zeit, vielerorts Krisenbündnisse zu gründen, um die beginnenden Verteilungskämpfe auf der kommunalen Ebene, auf der Länderebene und vermutlich nach der nächsten Bundestagswahl auch auf der Bundesebene abzuwehren. Diese Bündnisse könnten zu Pfeilern einer Bewegung werden, die Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände und soziale Initiativen bündelt und die Auseinandersetzung um die Ausstattung von Kindertagesstätten, die Anzahl von Frauenhäusern, die Personalbemessung in Krankenhäusern, den Zustand unserer Schulen und den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs führt.
Nach dreißig Jahren Neoliberalismus entstehen solche Bündnisse jedoch nicht von allein, sondern müssen aufgebaut werden. Die Linke könnte hier eine zentrale Rolle spielen. Die Kosten für die Krise dürfen nicht auf die Mehrheit abgewälzt werden, die durch erhöhte Steuern, sinkende Renten, schlechtere Sozialsysteme und Einsparungen an der städtischen Infrastruktur, die Zeche zahlen sollen. Die Krise stellt uns vor handfeste Klassenauseinandersetzungen: Werden endlich einmal die Vermögen der Reichen und Superreichen herangezogen oder zahlen am Ende wieder wir deren Dividenden?
Ein Beitrag von Igor Gvozden, Mitglied des Landesvorstands der Linken.NRW, Ulrike Eifler, Bundessprecherin der Arbeitsgemeinschaft Betrieb und &Gewerkschaft, Adrian Scheffels, Oberbürgermeisterkandidat der Linken in Solingen
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