Warum die Linke endlich konsequent für Klimagerechtigkeit stehen muss

Wir stehen am Beginn eines Superwahljahres. Ein Jahr, dass das Ende der Ära Merkel bringen wird. Ein Jahr, in dem sich die Grünen anschicken, Teil der kommenden Bundesregierung zu sein. Ein Jahr, in dem es bei den drei Landtagswahlen im Osten darum gehen wird, ob die konservativ-rechten Parteien weitere Dammbrüche und Kooperationen mit der AfD eingehen.

Neben der Bewältigung der Corona-Pandemie und der Debatte um die Verteilung der Krisenkosten wird die Bekämpfung der Klimakrise in diesem Jahr ein zentrales Wahlkampfthema sein. Zum einen, weil die Klimakatastrophe spürbar näherrückt und die Zeit davonrennt, das Ruder herum zu reißen. Zum anderen, weil Teile der Klimabewegung erklärt haben, die kommende Bundestagswahl zur „Klimawahl“ zu machen, und die Bewegung bereits in den letzten Jahren bewiesen hat, Themen setzen zu können.

Leider steht das Thema Klimapolitik für die Linke nach wie vor unter keinem guten Stern. Teile der Partei fremdeln weiterhin mit der Klimafrage als zentralem politischen Thema. Zwar gibt es in der Partei vielversprechende Ansätze für eine konsequente Politik für Klimagerechtigkeit, wie den Klimaaktionsplan der Bundestagsfraktion, [1] die Aktivitäten der Bundesarbeitsgemeinschaft Klimagerechtigkeit oder die Arbeit der hessischen Landtagsfraktion und anderer Abgeordneter rund um die schwarzgrünen Polizeigewaltfestspiele bei den Räumungen im Dannenröder Forst. [2] Auf der anderen Seite wird die Notwendigkeit einer konsequenten linken Klimapolitik immer wieder in Frage gestellt oder spielt bei realpolitischen Entscheidungen nur eine untergeordnete Rolle. Beispielsweise zeigte sich die fehlende klimapolitische Orientierung der Partei erst kürzlich bei der Entscheidung der Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, eine Stiftung zum Weiterbau der Gaspipeline Nord Stream II zu unterstützen. [3] Gleichzeitig erfährt Klimapolitik oder das Engagement für Klimagerechtigkeit in der Linken nach wie vor eine dauerhafte Abwertung durch bekannte Genossinnen der Partei.

Die strukturelle Ignoranz der Klimafrage beziehungsweise die Kritik an Aktivistinnen und Aktivisten von Teilen der Linken ist angesichts einer schlagkräftigen Klimagerechtigkeitsbewegung nicht nur wahltaktisch verantwortungslos, sondern fußt zudem auf einem antiquierten Verständnis des Kapitalismus: In Teilen der Linken wird der Kapitalismus noch immer zu einem rein ökonomischen Herrschaftsverhältnis verklärt. Dementsprechend sei der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit auch der vornehmlich von der Partei zu bearbeitende; andere Kämpfe werden zu Nebenwidersprüchen oder Problemen für Akademikerinnen und Akademikern degradiert. Dieses eindimensionale Verständnis von Kapitalismus ist einer modernen linken Partei unwürdig und verstellt den Weg für eine emanzipatorische politische Praxis. Vielmehr braucht es ein umfassenderes Bild des Kapitalismus als ein System, das unser gesamtes Leben sowie unsere „Beziehungsweise“ zu anderen Menschen und zur Natur determiniert. Der Kapitalismus ist vielmehr als Gesellschaftsordnung und nicht nur als Wirtschaftsordnung zu verstehen.

Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung

In dieser Gesellschaftsordnung sind verschiedene Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse direkt miteinander verbunden. Neben Klassenverhältnissen werden in ihr auch Geschlechterverhältnisse, das Verhältnis zur Natur sowie rassifizierte Verhältnisse strukturiert. All diese Herrschaftsverhältnisse sind dabei unmittelbare Folge, aber auch Bedingung für das Fortbestehen des Kapitalismus. Die Fokussierung auf nur eines dieser Herrschaftsverhältnisse, wie es von Teilen der Linken noch immer betrieben wird, verkennt die Komplexität der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und führt unweigerlich dazu, notwendige Kämpfe gegeneinander auszuspielen, anstatt sie zu verbinden. Die Kämpfe für eine feministische, klimagerechte und antirassistische Gesellschaft sind keine Nebenwidersprüche, sondern gleich dem Klassenkampf ein notweniger Teil linker Politik gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung. Diese Erkenntnis, die in weiten Teilen linker sozialer Bewegungen bereits seit langem selbstverständlich ist, scheint in Teilen der Linken noch nicht angekommen zu sein. Mit einem veralteten theoretischen Verständnis von Kapitalismus kann eine moderne linke Partei jedoch nicht bestehen. Stattdessen muss die Linke das Nebeneinanderstehen verschiedener Kämpfe in ihrer DNA verankern und in einer verbindenden Klassenpolitik sichtbar machen.

Es braucht dazu eine Partei, die nicht pauschal Abertausenden Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten Klassenblindheit unterstellt, sondern die solidarisch auf etwaige Leerstellen in der Bewegung hinweist und in der Bewegung verankert für eine stärkere klassenpolitische Ausrichtung streitet. Eine Partei, die nicht von oben herab über die Klimagerechtigkeitsbewegung urteilt, sondern mit der Bewegung für einen sozial-ökologischen Umbau streitet. Wer profitiert davon, wenn Teile der Linken die Interessen der Kohlekumpel gegen die der Klimagerechtigkeitsaktivistinnen und -aktivisten ausspielen? Weder Aktivistin und Aktivist noch Kohlekumpel noch Partei. Anstatt also weiter zu spalten, muss eine linke Partei einen Beitrag zur gegenseitigen Verständigung verschiedener progressiver Akteure leisten und Gräben schließen, anstatt sie zu vertiefen. Tut sie es nicht, macht sie sich überflüssig. Verbindende Klassenpolitik ist das Zauberwort der Stunde. Die Kooperation zwischen ver.di und Fridays for Future bei den Tarifauseinandersetzungen im vergangenen Jahr war ein gutes und nachahmenswertes Beispiel, wie ökologische Klassenpolitik funktionieren kann. [4]

Es ist unerträglich, dass Teile der Linken weiterhin einen Keil zwischen Klimabewegung und Arbeiterinnen und Arbeiter treiben. Während dies seit Jahren ständig aufs Neue geschieht, reiben sich die Konservativen die Hände. Sie müssen strategische Allianzen gar nicht zerreden, wenn Teile der Linken selbst verhindern, dass Allianzen überhaupt entstehen. Anstatt es sich in alten Grabenkämpfen bequem zu machen, muss die Linke aus ihrer inhaltlichen Lethargie aufwachen und Angebote schaffen, verschiedene Kämpfe zusammenzuführen. Auf den kommenden Parteivorstand wird die Aufgabe zukommen, sowohl in diesem Wahljahr als auch strategisch glaubhafte Angebote an die Klimagerechtigkeitsbewegung zu machen. Bisher hat noch keine Partei in Deutschland einen Plan vorgelegt, wie das Pariser 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann. Wäre es nicht erstrebenswert, dass die Linke die erste Partei wird, die sich dieses Projekts annimmt? Wäre es nicht an der Zeit, dass die Linke vorlebt, dass soziale und ökologische Frage nur gemeinsam gelöst werden können? Ein linker Plan für das 1,5-Grad-Ziel kann deutlich machen, dass die Linke die vielfältigen Problemlagen der modernen kapitalistischen Gesellschaft anerkennt und zu bekämpfen bereit ist. Mit einem solchen Plan kann es gelingen, langfristig eine ökologische Klassenpolitik zu etablieren und Arbeiterinnen, Arbeiter, Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen näher zusammenzubringen. Die Linke kann damit zeigen, dass sie die Partei der Zukunft ist, und sich auf den Weg machen, eine gesellschaftlich prominentere Rolle einzunehmen. In Zeiten der sich zuspitzenden Klimakrise und einer immer weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich ist dies schlichtweg notwendig.

Ein Beitrag von Maximilian Becker. Maximilian ist Aktivist für Klimagerechtigkeit, Mitglied der Partei die LINKE und zusammen mit Mathilda Reinicke u.A. Ko-Herausgeber des Buches Anders wachsen!.

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[1] Vgl. Linksfraktion.

[2] Vgl. Nachhaltig links.

[3] Vgl. NDR.

[4] Vgl. neues deutschland.

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