Migrantische Konferenzen, multikulturelle Vereine, politische Musik und Proteste durch Kunst sind aus vielen Nicht-Deutschen Communities kaum noch wegzudenken. Wohl wissen wir (die hier in Deutschland-Lebenden) um die politische Lage in der Türkei, in Iran und Afghanistan Bescheid, und das nicht zuletzt, weil Teile der türkischen und iranischen Communities in Deutschland unter kontinuierlicher Ausbeutung der Arbeitern leiden.
Sie sind seit jeher auch ausgrenzenden, rassistischen und entmündigenden Klischees ausgesetzt. Diese Erfahrungen machten vietnamesische Communities im Laufe der Geschichte gleichermaßen. Doch gibt es einen wesentlichen Unterschied und der liegt in der politischen Teilhabe. Ein oberflächlicher Vergleich der politischen Stimmlosigkeit und dem öffentlichen Auftreten zwischen ehemaligen vietnamesischen, iranischen und türkischen Vertragsarbeitern/Geflüchteten ist angebracht, denn es verdeutlicht die verschiedenen politischen Konjunkturen der Communities.
Wir erinnern uns wie Türken und Nicht-Türken gemeinsam gegen die Diktatur Erdogans protestierten, sich Iranern wie auch Nicht-Iranern gemeinsam gegen die Unterdrückung durch die Islamische Republik stark machten und Muslime und Nicht-Muslime gegen die Verbrechen vermeintlicher Glaubensbrüder demonstrierten. Zwar vereinzelt vorhanden, aber weitaus weniger lautstark sieht es in und um Deutsch-Vietnamesische Communities aus, denn nur schleppend verschafft sich die Geschichte vietnamesischer Einwanderen wahrnehmbares Gehör. Was allerdings dominant bleibt ist Kulturarbeit und das damit verbundene Schweigen zum politischen Status quo in Vietnam. Ein Schweigen, welches sich hinter Kulturarbeit versteckt und damit gleichzeitig die Zustimmung zu einem autoritären politischen System bedeutet.
Vietnam – ein autoritäres politisches System.
Vielen Menschen in Deutschland ist nicht klar, dass Journalisten in Vietnam unter menschenrechtswidrigen Bedingungen und unter einer autoritären Regierung zu leben haben. In der jährlich veröffentlichten „Rangliste der Pressefreiheit“ der Reporter ohne Grenzen aus dem Jahr 2016 belegte Vietnam Platz 175 von 180 und liegt damit noch hinter Iran und China. Ausschlaggebend für das Resultat in diesem Ranking sind die Verhängungen der Todesstrafe an Hunderten von Gefangenen und die staatlich gesteuerte körperliche und psychische Gewalt gegen Dissidenten. Hinzu kommt der hohe Grad an staatlicher Kontrolle und Zensur der Medien sowie die gewalttätigen Zerschlagungen öffentlicher Versammlungen mit nur mehr als 20 Demonstranten. Dass die Regierung und regierungsnahe Institutionen weitreichend durch Korruption unterwandert sind, ist auch jeder Vietnamese bekannt.
Obwohl die am 1. Januar 2014 eingetretene geänderte Verfassung formal Grundrechte wie Meinungs-, Glaubens-, Versammlungs- und Pressefreiheit gewährt, werden konkrete Forderungen nach demokratischen Reformen, Religionsfreiheit oder Landbesitz schwerwiegend unterdrückt und zahlreiche unrechtmäßige Verhaftungen durch willkürliche Vorwürfe wie „Umsturz des Staates“ oder „Anti-Regierungs-Propaganda“ begründet. Im November 2015 korrigierte und verabschiedete die Nationalversammlung gar ein Gesetz, welches der Regierung erlaubt mit noch härteren Maßnahmen gegen vermeintliche Straftatbestände vorzugehen. In Artikel 109, 117 und 118 (vorher Artikel 79, 88, 89) heißt es: “người nào chuẩn bị phạm tội này sẽ bị phạt tù từ một đến năm năm.” (Personen, die sich an der Vorbereitung eines Straftatbestandes beteiligen werden mit 1-5 Jahren Haft verurteilt). Noch schärfer erklärt der berühmt berüchtigte Artikel 88 potentielle Anti-Regierungs-Propaganda mit einem Strafurteil von bis zu 20 Jahren Haft als gerechtfertigt. Trotz der drastischen Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit und der menschenrechtswidrigen Verhältnisse für Aktivisten und anderen zivilen Akteuren finden diese Ereignisse weder in der internationalen Öffentlichkeit, noch im Mainstream-Diskurs der Deutsch-Vietnamesischen Communities zureichend Beachtung.
Hingegen haben wir ein ganz anderes Verhältnis zu beispielsweise der Türkei und dem Iran. Intensiv beschäftigen wir (oder besser: unsere Medien) uns mit den jahrelangen EU-Beitragsverhandlungen und dem Flüchtlingspakt mit der Türkei und dem Atom-Deal in Iran. Aber auch Diskussionen um ein Kopftuchverbot, Islam und anti-muslimischen Rassismus sind Themen die vielen von uns geläufig sind. Es ist wichtig und richtig zu erkennen, dass ebenjene Gruppierungen sich neben ihrer wirtschaftspolitischen Relevanz aber auch selbst für ihre individuellen politischen Forderungen und gegen ihre Stimmlosigkeit stark machen. Dies war allerdings nicht durch den reinen Erfolg von einzelnen Aktivisten möglich, sondern durch den aktiven und passiven Rückhalt der Communities und der gegenseitigen, generationsübergreifenden Aktivierung als politische Subjekte. Zweifelsohne gibt es auch politische Vietnamesen in Deutschland. Allerdings können sich diese Einzelpersonen zu keiner gemeinsamen politischen Stimme ermächtigen, solange die deutsch-vietnamesischen Communities kein Interesse an jedweder politischen Stellungnahme haben.
Kulturelle Arbeit ist wichtig, Kulturkritisches Auftreten eine Verantwortung
Nun entstehen vor allem in der Zivilgesellschaft Vietnams seit mehreren Jahren immer lautstärkere politische Kämpfe, die zumindest von den in der Diaspora lebenden Vietnamesen ernst genommen und mit höchstem Anspruch vertreten werden müssten. Dies ist aber nicht der Fall, stattdessen wird sich hinter unpolitischer Kulturarbeit versteckt. Anders formuliert: Warum akzeptieren wir, dass viele Kulturvereine in ihrer Arbeit nicht über die politischen Gefangenen, der desolaten Menschenrechtslage, der starken Umweltverschmutzung und Korruption in Vietnam aufklären?
Die Antwort: Wir leben in einem Zeitalter in den Kulturen getrennt von politischen Programmen daherkommen und nicht als solche kritisiert werden dürfen. Wenn Kulturschaffende doch den Anspruch haben Menschen aus verschiedenen Kulturen zu vertreten und Austausch zu fördern, müssen sie sich dieser politischen Notwendigkeit gewahr werden. Sich stattdessen einer kulturstärkenden Rhetorik zu bedienen verschleiert die Dringlichkeit einer internationalen Solidarität. Eine ebenso wichtige internationale Kritik an der vietnamesischen Regierung muss entwickelt, statt gehemmt werden. Kultur und Politik sind eben nicht immer trennbar.
Das Einverständnis mit Kulturarbeit und kultureller Vielfalt muss deshalb einhergehen mit einem Bewusstsein für migrantische Forderungen. Vielmehr noch handelt es sich um ein notwendiges Verantwortungsbewusstsein sich politisch zu positionieren. Diese Verantwortung ist dabei stets eine zweifache, nämlich die gegenüber der zivilen Bewegungen in Vietnam und deren Mitstreitern in Deutschland und der restlichen Diaspora. Vor allem ist Ersteres Teil des globalen Befreiungskampfes aus kolonialen Abhängigkeiten, kapitalistischen Zwängen und autoritären, menschenrechtsfeindlichen Systemen. Stattdessen sind politische Unsichtbarkeit, Leistungsdruck zum Zwecke der positiven Abgrenzung, sowie das abgesprochene Recht auf Widerstand und Rebellion Elemente, die durch Resignation und Akzeptanz zur politischen Stille aufrufen. Resultat ist die Entpolitisierung einer jungen Generation und die Kommerzialisierung von Kulturen.
Wohlgemerkt, bedeutet die hier ausgeübte Kritik eben nicht die Ablehnung von kulturellen Veranstaltungen und Institutionen, sondern fordert die allumfassenden Aspekte und Verantwortungen kultureller Arbeit anzuerkennen und sich nicht hinter der praktischen Ästhetik ebenjener Kulturarbeit zu verstecken.
Unpolitische Kulturarbeit ist demnach nicht nur eine Erscheinung oder ein Symptom das uns auf politisches Schweigen hinweist, sondern auch das Mittel um dieses Schweigen zu brechen. Mit anderen Worten, schließt kulturelle Arbeit politische Arbeit nicht aus, sondern ist gegenteilig sogar eines der Ausdrucksmittel politischer Allgegenwärtigkeit. Noch einmal: Sich in Bezug auf Vietnam und andere unterdrückte Völker nicht politisch zu positionieren, aber Kulturarbeit mit Bezug auf diese Länder zu leisten, bedeutet im Umkehrschluss die stillschweigende Zustimmung zu repressiven Regimen und das im Stich lassen der darunter leidenden Menschen.
Ein Beitrag von Susann Pham Thi