Der Tarifkonflikt im Bauhauptgewerbe spitzt sich zu. Das erste Mal seit 2002 droht ein bundesweiter Arbeitskampf und somit Streiks auf Baustellen in allen Teilen Deutschlands. Doch wie kommt es dazu?
Die Baubranche boomt, in vielen Gegenden Deutschlands sind die Auftragsbücher voll und die Unternehmen auf der Suche nach Beschäftigten. In dieser Situation fordert die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt für die rund 890.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe eine Erhöhung der Entgelte um 5,3 Prozent, die Angleichung der Ost-Einkommen an den Westen und eine Entschädigung für die Fahrzeiten zur Baustelle. Vor allem der Letzte Punkt ist in den mit zunehmender Härte geführten Verhandlungen Stein des Anstoßes: Die Arbeitgeber wollen nicht, dass sie für jene Strecken aufkommen müssen, die die Beschäftigten momentan noch selbst bezahlen.
Lange Fahrzeiten – ohne Entschädigung
Bereits in den Tarifverhandlungen 2018 tauchte diese Forderung das erste Mal auf. Eine Studie, die von der IG BAU 2020 in Auftrag gegeben wurde, machte klar, dass sich etwas ändern muss. Die Kolleginnen und Kollegen, die auf den Baustellen arbeiten, legen durchschnittlich 64 Kilometer auf den Weg zur Baustelle zurück. Das entspricht etwa einer Stunde Fahrzeit. Dass sind zwei Stunden pro Tag, die nicht bezahlt werden!
Den meisten anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist es möglich, in die Nähe ihrer Arbeitsstätte zu ziehen und so den Weg zur Arbeit zu verkürzen. Diese Möglichkeit ist den Kolleginnen und Kollegen, die auf den Baustellen arbeiten, jedoch verwehrt. Durch diese nicht mehr zeitgemäße Regelung und der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ergibt sich eine faktische Arbeitszeit von 50 Wochenstunden und mehr – Überstunden, die in der Branche an der Tagesordnung sind nicht, noch nicht einmal mitgezählt. Die Folge: Die Beschäftigten haben kaum Freizeit und Zeit für Erholung und Ruhe.
Diese Tatsache ist auch einer der wichtigsten Gründe dafür, dass es immer schwerer ist, junge Menschen für die Arbeit und eine Ausbildung in diesem Sektor zu gewinnen. Die Folge ist, dass der Fachkräftemangel weiter zunimmt – ebenso der Stress für die Beschäftigten sowie die Wartezeit für die Auftraggeberinnen und Auftraggeber. In den regulären Verhandlungen konnte keine Einigung erzielt werden. Am Montag, den 27. September 2021 erklärte die Bundestarifkommission der IG BAU die Verhandlungen für gescheitert.
Aufgrund eines Schlichtungsabkommens zwischen der IG BAU und den Arbeitgeberverbänden, den Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie muss eine Schlichtung durchgeführt werden. Als Vermittler dient hier der Präsident des Bundessozialgerichts, Prof. Dr. Rainer Schlegel. Die Schlichtung fand am 6. und 7. Oktober in Berlin statt und wurde dann vom Schlichter unterbrochen. Am heutigen 13. und 14. Oktober werden diese fortgesetzt. Sollte es dann zu keiner Einigung kommen, endet die Friedenspflicht und es kommt zum Arbeitskampf.
Ein Beitrag von Hauke Kuster, Gewerkschaftssekretär der IG BAU.