SPD unter Bedingungen für Drohnenbewaffnung?

Ist die Vorentscheidung für eine Bewaffnung der Bundeswehrdrohnen gefallen?

Nachdem die SPD in der vergangenen Legislaturperiode die Beschaffung von Drohnen des Typs G-Heron TP noch hat platzen lassen, wurde sich in den Koalitionsverhandlungen 2018 mit den Unionsparteien CDU und CSU darauf geeinigt, zunächst zu Aufklärungszwecken diese Drohnen zu leasen und zu einem späteren Zeitpunkt die Entscheidung über eine Bewaffnung zu treffen. Die SPD hatte folgende Bedingung in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt: „Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden“.[1]

Von Marius Pletsch

Unter dem Hashtag #DrohnenDebatte2020 startete das Bundesverteidigungsministerium am 11. Mai 2020 nach Verzögerung durch die COVID-19-Pandemie die Debatte. Es gab eine Paneldiskussion am Starttag sowie einen Live-Chat mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Peter Tauber und dem Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn. Dazu kamen dann noch Informationsveranstaltungen für Bundestagsabgeordnete, eine davon wurde live im Internet übertragen. Staatssekretär Tauber hat außerdem auch an zwei Universitäten Vorträge gehalten und danach Fragen von Studierenden und Interessierten beantwortet. In den Werbeveranstaltungen ging man teils überraschend freigiebig mit Informationen um. So wurden Videos von Heron 1 Drohneneinsätzen gezeigt, Anforderungen an die einzusetzende Munition (wobei die konkrete gewünschte Munition weiter geheim bleibt) und die favorisierte Bewaffnung des Ministeriums für die Eurodrohne bekannt gegeben.

Wirklich neue Argumente wurden hier aber nicht ausgetauscht, Kritiker*innen waren auch zumindest bei den BMVg-Veranstaltungen unterrepräsentiert. Das verwundert auch wenig, schließlich wollte man für den Schritt der Bewaffnung werben, man maßte sich auch nicht an, als neutraler Akteur aufzutreten. Außerdem wollte das BMVg, so versicherte Tauber wiederholt, die Diskussion anschieben. Doch eine klare Richtung wurde bereits 2018 eingeschlagen, als der Leasingvertrag unterschrieben wurde (wobei die Vorbereitung für die Bewaffnung bereits für 50 Millionen Euro mit abgedeckt war) und 2019 die Ausbildung des Bedienpersonals in Israel begann, wo die bis zu sieben Drohnen auch stationiert werden. Da günstigere Überwachungsdrohnen zur Verfügung gestanden hätten, hat man mit der Entscheidung bereits eine Pfadabhängigkeit geschaffen.

Aufgrund der bestehenden Pandemiesituation gab es bislang darüber hinaus nur wenige Veranstaltungen, die eine vergleichbare Reichweite hatten. Auf zwei Beispiele sei aber hier hingewiesen: Stattgefunden hat ein Gespräch mit dem Physiker und Friedensforscher Götz Neuneck und der Regisseurin Karin Jurschick, moderiert von der Journalistin Carolin Emcke,[2] und eine Veranstaltung des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht,[3] in der völkerrechtliche Aspekte beleuchtet wurden. Weitere Veranstaltungen auch von Seiten der Friedensbewegung werden über den Sommer stattfinden. Eine Vorlage des BMVg wird frühestens nach der parlamentarischen Sommerpause erwartet.

Die „strengen Bedingungen“ der SPD

Am 28. Juni 2020 drang schließlich an die Öffentlichkeit, die SPD sei nun unter bestimmten Bedingungen bereit, einer Bewaffnung der Heron-TP-Drohnen zuzustimmen. Die Fachpolitiker*innen der SPD hätten gemeinsam einen Katalog erarbeitet, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich. Zitiert wird sie wie folgt: „Wir sind offen in der Frage der Bewaffnung von Drohnen. Aber nur, wenn strenge Bedingungen erfüllt werden, werden wir die Entscheidung mittragen“. Die Bedingungen seien Voraussetzung dafür, „dass wir eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für diese neue Waffe der Bundeswehr schaffen können“.[4]

Der Forderungskatalog wurde mittlerweile auch etwas ausführlicher in einem Brief von Heinrich, Fritz Felgentreu und Karl-Heinz Brunner an die Bundestagsabgeordneten der SPD ausgebreitet, relevante Auszüge wurden bei Augengeradeaus veröffentlicht.[5] Um die folgenden „strengen Bedingungen“ geht es:

Der erste Punkt: Es sollen keine „extralegalen Tötungen“ durchgeführt werden, die „strikte Einhaltung des Völkerrechts [sei ] zu gewährleisten“.[6] Im Tagesspiegel Artikel heißt es dazu, dass es hier keinen Dissens geben dürfte.[7] Und in der Tat findet man die Formulierung „Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen“ im aktuellen Koalitionsvertrag. Aber das Problem ist, dass es keine Definition der Bundesregierung gibt, was sie darunter genau versteht. Ernstzunehmende Kritik an völkerrechtswidrigen Tötungen durch Drohnen von Verbündeten (hervorgehoben wird hier stets die USA, doch zum Beispiel auch Großbritannien und Frankreich führen Kill-Listen) vernahm man erst in der aktuellen Debatte über die Drohnenbewaffnung, um sich scheinbar abzugrenzen – insbesondere von der US-Praxis –, um den deutschen Entscheidungsträger*innen eine Zustimmung einfacher zu machen. Doch es ist unklar, was für die Bundesregierung eine extralegale, sprich völkerrechtswidrige Tötung darstellen oder was sie als zulässig ansehen würde. Würde man beispielsweise die Tötung einer Person, die Logistik- oder Finanzierung bereitstellt, also nicht direkt an Kampfhandlungen teilnimmt, als ein legitimes Ziel ansehen? Die Interpretationen des Völkerrechts gehen hier weit auseinander. Solange hier keine eigene Interpretation vorliegt, bleibt die Äußerung nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Zumal in den Veranstaltungen zum Teil auf Szenarien eingegangen wurde, die einen mit mehr Fragen als Antworten zurückgelassen haben.[8]

Der zweite Punkt ist die „[k]ategorische Ablehnung von vollautomatisierten Drohnen und anderen Waffensystemen, um die finale Entscheidung über den Einsatz von Waffengewalt stets auf einem menschlichen Urteil begründen zu können“. Dies hat eine Grundlage im bestehenden Koalitionsvertrag. Bei der konkreten Entscheidung spielt dieser Punkt keine Rolle, wird aber bei zukünftigen Beschaffungen wichtiger, je komplexer die Systeme werden. So ist etwa die Entwicklung von autonomen Subsystemen für das Kampfflugzeug der nächsten Generation ein Grund zur Besorgnis.

Punkte drei und vier lassen sich unter dem Oberbegriff Transparenzmaßnahmen zusammenfassen. Zum einen soll ein verbindliches Einsatzkonzept erstellt und offengelegt werden und zumindest das Parlament bei Änderungen der allgemeinen Einsatzregeln informiert werden. Anfangs hieß es, hier könnten die sogenannten „Rules of Engagement“ gemeint sein, doch die waren bislang stets geheim und dies wird so bleiben, denn diese sind nicht gemeint. Die Formulierung eines Papiers mit groben Eckpunkten, wozu die Bundeswehr bewaffnete Drohnen einsetzen möchte und welche allgemeinen Regeln für den Einsatz gelten sollen, sollte für das BMVg recht einfach zu erstellen sein. Und tatsächlich, eine erste Version wurde noch am 3. Juli, am letzten Tag vor der Sommerpause, dem Verteidigungsausschuss übergeben, mitsamt einem Bericht des Verteidigungsministeriums über die #DrohnenDebatte2020. Zum Waffeneinsatz heißt es in den Grundsätzen für den Einsatz bewaffneter Drohnen: „Der Waffeneinsatz mittels eines UAS bedarf außer in Selbstverteidigungssituationen grundsätzlich der ebenengerechten Freigabe durch einen militärischen Entscheidungsträger (in der Regel Stabsoffizier aufwärts) unter Hinzuziehung eines Rechtsberaters. Es gilt der Grundsatz, je wahrscheinlicher zivile Kollateralschäden sind, desto höher die Entscheidungsebene“.[9] Außerdem soll der Einsatz der Drohnen nach dem Willen der SPD nur erfolgen, wenn dieser explizit im jeweiligen Mandat erwähnt wird. Bei diesem Punkt wird sich das Ministerium sträuben, da bislang Praxis ist, dass die zulässigen Fähigkeiten (in diesem Fall „Luftnahunterstützung“) im Mandat erwähnt werden, nicht jedoch konkrete Waffensysteme. So ein Micromanagement seitens der Politik wäre eine bittere Pille, die man im Zweifel aber schlucken wird. Darauf deuten auch schon die dem Verteidigungsausschuss vorgelegten Grundsätze hin.

Punkt fünf der SPD-Kriterien ist die Stationierung der Bodenkontrollstationen im Einsatzland. Dabei handelt es sich allerdings um eine Bedingung, die zurzeit schon erfüllt wird und eine Absicht, diese Praxis zu ändern, wird zumindest bislang weder von der Politik noch von dem Bedienpersonal der Bundeswehr öffentlich kommuniziert. Auf den ersten Blick dürfte das BMVg sich mit der Bedingung einverstanden erklären. Aber: Was ist bei grenzüberschreitenden beziehungsweise benachbarten Einsätzen? Denn wenn die Bodenkontrollstationen etwa in Mali stationiert würden, dürften die Drohnen nicht im benachbarten Niger zum Einsatz kommen, wo die Bundeswehr derzeit auch Soldat*innen stationiert hat? Es würde also nicht verwundern, wenn die Bundeswehr versuchen würde, für diese Fälle eine Lösung zu finden. Diese Forderung wird übrigens begründet mit befürchteten völkerrechtlichen Verwerfungen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Heinrich führte gegenüber dem Tagesspiegel aus, ein Waffeneinsatz, der von einer aus Deutschland (oder einem anderen Drittstaat) gesteuerten Drohne durchgeführt wird, könnte vom Einsatzland als Angriffskrieg gewertet werden.

Die sechste Bedingung ist die psychologische Betreuung des Bedienpersonals der Drohnen. Da die Bundeswehr auch Psycholog*innen in die Einsatzgebiete entsendet, wird das BMVg auch hier kaum eine große Hürde sehen. Die Zivilbevölkerung des Einsatzlandes kann dabei selbst zusehen, wie sie mit der Dauerpräsenz von bewaffneten Drohnen am Himmel zurechtkommt.

Debatte vorbei?

Also was bleibt von den „strengen Bedingungen“ der SPD: Einige wird das BMVg bereits als erfüllt ansehen, andere leicht erfüllen können. Auch sind die Bedingungen zumindest bisher noch teilweise so allgemein oder ungenau formuliert, dass eine Konkretisierung nötig wäre. Von dem, was vorliegt, bleiben zwei Punkte, wo besonders hingeschaut werden muss, wenn das BMVg auf den Katalog antwortet:

1) Wird eine belastbare Definition von dem geliefert, was als „extralegale“ beziehungsweise völkerrechtswidrige Tötung bezeichnet wird und werden Szenarien geschildert, die das BMVg noch als zulässigen Waffeneinsatz ansehen würde?

2) Wie wird die Bedingung mit der Stationierung im Einsatzland bei grenzüberschreitenden/angrenzenden Einsätzen ausgelegt?

Dass die SPD jetzt schon laut über eine Zustimmung nachdenkt und überwiegend leicht erfüllbare Bedingungen stellt, weist in keine gute Richtung in der Frage der Bewaffnung der Drohnen. Aber eine Zustimmung der SPD ist noch nicht ausgemacht. Schließlich wäre dies ein widersprüchliches Signal, wenn man einer Bewaffnung von Drohnen zustimmen würde, wo die Fraktions- und Parteiführung seit etwa einem halben Jahr versucht, die SPD stärker als Friedenspartei zu positionieren. Die Parteivorsitzende Saskia Esken schrieb zu dem Thema auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Es bleiben grundsätzliche Fragen zu klären, bevor wir debattieren können, ob die durchaus sehr strengen Bedingungen, die die Kollegin Gabriela Heinrichs da beschreibt, am Ende für eine Zustimmung ausreichen. Ich sehe uns jedenfalls nicht am Ende dieser Debatte“.[10] Und auch in der Nachricht von den drei Abgeordneten an ihre Fraktion heißt es: „Das Bundesverteidigungsministerium wird einen Entwurf eines sogenannten Fachkonzeptes erstellen, in dem sich unsere Forderungen wiederfinden müssen. Sobald das Konzept vorliegt, wird die politische und öffentliche Debatte über die Bewaffnung von Drohnen in die entscheidende Phase gehen. […] Dazu beabsichtigen wir, eine öffentliche Anhörung mit Expertinnen und Experten im Deutschen Bundestag durchzuführen und das Fachkonzept auf Herz und Nieren zu prüfen. […] Die Entscheidung für oder gegen die Bewaffnung von Drohnen kann nur auf einer soliden fachlichen und politischen Grundlage getroffen werden“.[11]

Es handelt sich also nicht um das Ende der Debatte. Diese wird so lange geführt werden, bis sich die SPD zu einer Position in der Frage durchringt, an ihr hängt die Entscheidung dieser Koalition. Durch die Vorlage eines Kriterienkatalogs ist eine Zustimmung wahrscheinlicher geworden, denn streng sind die gestellten Bedingungen an das BMVg und die Bundeswehr leider nicht. Andererseits neigt sich die Legislaturperiode dem Ende entgegen. Eine Wiederauflage der Großen Koalition möchte (mal wieder) keine der Parteien. Warum also jetzt noch eine unliebsame Entscheidung treffen? Gerade, wenn man sich wieder mehr als Friedenspartei profilieren möchte. In den nächsten Monaten wird es weitere Veranstaltungen zu dem Thema geben, diese werden auch den bislang eher unterrepräsentierten Gegner*innen mehr Raum geben. Es bleiben also noch Zeit und auch genug Stimmen innerhalb der SPD-Fraktion und der Parteibasis, die einer Bewaffnung weiterhin kritisch gegenüberstehen.


Dieser Text von Marius Pletsch erschien zuerst auf der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Wir bedanken uns recht herzlich für das Recht zur Übernahme.


Subscribe to our newsletter!

Anmerkungen

[1] Bundesregierung (bundesregierung.de, 14.3.2018): Ein neuer Auf-bruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 159.

[2] Streitraum: Drohnenkriege oder: Automatisierung des Tötens.

[3] Heidelberger Salon digital: Bewaffnete Drohnen und das Völkerrecht.

[4] Monath, Hans (Tagesspiegel, 28.6.2020): SPD unter „strengen Bedingungen“ für Einsatz bewaffneter Drohnen.

[5] Wiegold, Thomas (Augengeradeaus, 2.7.2020): Dokumentation: Kriterien der SPD für Entscheidung über Drohnen-Bewaffnung (m. Nachtrag).

[6] Wiegold, Thomas (Augengeradeaus, 2.7.2020): Dokumentation: Kriterien der SPD für Entscheidung über Drohnen-Bewaffnung (m. Nachtrag).

[7] Monath, Hans (Tagesspiegel, 28.6.2020): SPD unter „strengen Bedingungen“ für Einsatz bewaffneter Drohnen.

[8] Die Szenarien wurden in der „Präsentation zu militärisch-operativen Aspekten bewaffneter Drohnen“ geschildert. Hier kann man sich die Präsentation anschauen: https://www.bmvg.de/de/mediathek/livestream-drohnendebatte-praesentation-261026.

[9] Wiegold, Thomas (Augengeradeaus, 3.7.2020): DroneWatch: Verteidigungsministerium legt Regeln für bewaffnete deutsche Drohnen vor.

[10] Esken, Saskia (Twitter, 28.6.2020).

[11] Wiegold, Thomas (Augengeradeaus, 2.7.2020): Dokumentation: Kriterien der SPD für Entscheidung über Drohnen-Bewaffnung (m. Nachtrag).

Dir gefällt der Artikel? Dann unterstütze doch unsere Arbeit, indem Du unseren unabhängigen Journalismus mit einer kleinen Spende per Überweisung oder Paypal stärkst. Oder indem Du Freunden, Familie, Feinden von diesem Artikel erzählst und der Freiheitsliebe auf Facebook oder Twitter folgst.

Teilen:

Facebook
Twitter
Pinterest
LinkedIn
Freiheitsliebe Newsletter

Artikel und News direkt ins Postfach

Kein Spam, aktuell und informativ. Hinterlasse uns deine E-Mail, um regelmäßig Post von Freiheitsliebe zu erhalten.

Neuste Artikel

Abstimmung

Sollte Deutschland die Waffenlieferungen an Israel stoppen?

Ergebnis

Wird geladen ... Wird geladen ...

Dossiers

Weiterelesen

Ähnliche Artikel