Putins Angriffskrieg zerstört große Teile der Ukraine, die Antwort der westlichen Länder sind Waffenlierungen und Saktionen. Dennis Sokolow, Antikriegsaktivist und Sozialist, aus Russland sprach über die Antikriegsproteste im Land, den russischen Imperialismus und die Aufgaben der Linken.
Die Antikriegsbewegung organisiert trotz harter Repression des Regimes von Putin weiter Proteste, teilweise spektakulär, wie der Protest einer Journalistin während der Prime-Time-Nachrichten im russischen Fernsehen zeigt. Wie schätzt du die Stimmung im Land ein?
Die Stimmung in der russischen Gesellschaft unterscheidet sich stark von der Stimmung im Jahr 2014. Die Regierung versucht natürlich mit allen Mitteln, den Nationalismus zu entfachen, und es gibt auch immer noch viele, die Putin unterstützen, und ebenso Rechte und Faschistinnen, die Putins chauvinistische Fantasien von einer Großmacht teilen. Aber die patriotische Raserei hat sich im Vergleich zu früher eher verringert. Viele Menschen wollen keinen Krieg und lehnen den Überfall auf die Ukraine ab.
Die Antikriegsbewegung in Russland
Wer ist alles Teil der Antikriegsbewegung?
In Moskau, Nischni Nowgorod und St. Petersburg traten unterschiedliche Kräfte in Aktion. Leider dominieren die Liberalen, aber auch die Linke ist recht stark vertreten. Unter den Organisatorinnen und Orgaisatoren gibt es mehr Liberale. Es gibt auch Marxistinnen, Marxisten, Anarchisten und Anarchistinnen, aber sie stehen zumeist noch an der Seitenlinie.
Was kann die Linke tun, um die Liberalen herauszufordern?
Um die Initiative nicht nur den Liberalen zu überlassen, muss die Linke mit ihrer eigenen Agenda zu Antikriegsaktionen gehen. Es ist außerdem wichtig, die lohnabhängigen Menschen gegen den Krieg zu mobilisieren – also in den Gewerkschaften und Betrieben aktiv zu arbeiten.
Habt ihr Kontakt zu Linken in der Ukraine?
Ja, wir haben Kontakt zu Genossinnen und Genossen in Kiew und Lwiw. Wir müssen eine internationale antiimperialistische Front aufbauen und uns vernetzen! Viele Menschen in Russland lehnen den Krieg ab, es ist an der Zeit zu sagen: „Kein Krieg zwischen den Völkern, kein Frieden zwischen den Klassen!“
Ist es nicht sehr gefährlich, gegen den Krieg in Russland zu protestieren?
Derzeit riskieren Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner ihre Freiheit und ihre Gesundheit, denn das Regime führt immer mehr repressive und grausame Gesetze ein, nach denen 12 bis 20 Jahre Haft drohen. Internationale Solidarität mit unterdrückten Aktivistinnen, Aktivisten und Unterstützung bei der Beantragung von politischem Asyl sind deswegen hilfreich.
Wie ist die Stimmung der Demonstrantinnen und Demonstraten selbst im Zusammenhang mit den Festnahmen?
Trotz der Repression herrscht eine regelrechte Kampfstimmung. Putins Repressionsmaschinerie zieht die Schraube fester an, aber die Leute kommen trotzdem zu den Demonstrationen. Videos von den Kundgebungen sollten allen Ukrainerinnen und Ukrainer gezeigt werden, damit sie verstehen, dass der Feind nicht die russische Bevölkerung ist, sondern die Herrschenden im Kreml. Aber man muss zugeben, dass die Antikriegsbewegung innerhalb von etwa einem Monat von Putins Unterdrückungsmaschine hart getroffen wurde.
Inwiefern?
Verhaftungen, Geldstrafen, Schläge und Folter in Polizeiwachen sind in Russland zur Norm geworden. Die öffentliche Verwendung des Wortes „Krieg“ in Bezug auf diesen Konflikt wird mit einer hohen Geldstrafe oder Gefängnis geahndet. Facebook und Instagram werden als „extremistische Organisationen“ bezeichnet und ihre Aktivitäten sind in Russland verboten. Die Medien und das Internet werden streng kontrolliert. All das macht es sehr schwer die Opposition zu organisieren. Aber wir verzweifeln nicht und machen weiter.
Was ist die Aufgabe der Linken in Russland?
Wir müssen Informationen über die tatsächliche Lage in der Ukraine verbreiten. Es ist wichtig, die Massen darüber zu informieren, dass die russische Armee auf zivile Ziele und Zivilistinnen schießt. Es ist wichtig zu zeigen, dass die einfachen Menschen in der Ukraine den Einmarsch der russischen Armee nicht unterstützen. Es ist wichtig, die Ereignisse aus dem Blickwinkel der Arbeiterinnen, Arbeiter und ihrer Familien darzustellen. Ich sage das, weil die russische Propaganda voller Lügen und Unwahrheiten ist. Wir sollten versuchen, diese Lügen zu entlarven und den Menschen die Augen zu öffnen. Dann werden sie sich der Antikriegsbewegung anschließen.
Die Linke und der Krieg
Was macht dieser Krieg mit der Linken?
Für die Linke besteht die reale Gefahr, sich für den Burgfrieden mit ihren eigenen Regierungen zu entscheiden und sich damit dem Spiel der Großmächte unterzuordnen. Schon heute können wir sehen, wie sich ein Teil der ukrainischen Linken und ein Teil der russischen Linken um ihre jeweilige Regierung versammeln, anstatt ihre Politik zu kritisieren. Einige Leute, die bis vor Kurzem den Klassenkampf befürwortet haben, rufen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj jetzt mit dem Kosakentitel „Batyka“ – ukrainisch für Vater. Russische „Kommunistinnen und Kommunisten“ hingegen gleiten zunehmend in noch krasseren Chauvinismus ab. Das ist der falsche Weg für die Linke.
In Deutschland unterstützen viele Linke Sanktionen gegen Russland. Ist das für euch hilfreich?
Nein.
Warum?
Die Sanktionen treffen vor allem die Zivilbevölkerung. In russischen Supermärkten gibt es zunehmend Versorgungsprobleme. Die Preise für Lebensmittel, Wohnungen und wichtige Dienstleistungen sind um 20 bis 40 Prozent gestiegen. In vielen Läden sind die Regale leer. Es fehlt an Nudeln, Mehl, Reis und anderen Grundnahrungsmitteln. Die Oligarchen können aber weiter in Saus und Braus leben.
Viele erhoffen sich von den Sanktionen die Trockenlegung der Finanzierung des Kriegs.
Aber die Kanäle zur Finanzierung des Kriegs werden gar nicht getroffen, denn die Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft sprudeln weiterhin kräftig. Die Sanktionen helfen Putin innenpolitisch, weil er seine nationalistische Propaganda vom Feind im Westen glaubhaft untermauern kann. Die meisten verarmten Menschen lassen sich von dieser Propaganda stark beeinflussen. Die Sanktionen helfen Putin also, die Bevölkerung hinter sich zu sammeln, anstatt die Antikriegsbewegung in Russland zu stärken.
Was hat dich motiviert,dich an Aktionen gegen den Krieg in der Ukraine zu beteiligen?
Ich lehne die militärische Aggression des russischen Staats ab. Putin versucht, wie der westliche Block auch, seine Vorherrschaft auszubauen.
Inwiefern?
Der Krieg beginnt nicht erst 2022 und auch nicht 2014. Wenn wir nur darauf blicken, wer den ersten Schuss abgegeben hat, werden wir die Situation nicht verstehen.
Russland und der Imperialismus
Welche Strategie verfolgt Russland?
Spiegelbildlich zur westlichen Blockbildung betreibt auch Russland die Anbindung benachbarter Staaten. Über die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) bindet Moskau sie militärisch an sich und über die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG) auch ökonomisch.
Seit wann läuft das?
Nach dem politischen Durcheinander der 1990er Jahre haben Putin und sein langjähriger Wegbegleiter Dmitri Medwedew seit Anfang des neuen Jahrtausends die Konsolidierung ihres Landes erreicht. Seither versuchen sie, Russland mindestens als Regionalmacht, am liebsten aber wieder zu „einem der führenden Staaten“ der Welt aufzubauen.
Wie stellen sie sich das vor?
Russland soll nach Putins Vorstellungen einer „Agenda 2020“ zu einem wesentlichen Knotenpunkt in der eurasischen Energiepolitik werden. Diese nationale Sicherheitsstrategie stammt aus dem Jahr 2008. Sie zielt im Bereich der „strategischen Waffen“ auf ein Gleichziehen Russlands mit den USA. Außerdem soll das russische Militär international einsatzfähig werden.
Was hat das mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?
Diese Einsatzfähigkeit hat Putin sowohl im Syrien-Krieg als auch bei der Niederschlagung des Aufstands in Kasachstan und eben jetzt in der Ukraine gezeigt.
Warum ist die Ukraine für Putin so wichtig?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen geostrategische, weil das Land mit Häfen am Schwarzen Meer über wichtige Zugänge zu Handelswegen verfügt. Militärisch ist besonders die Krim wichtig, weil dort der Standort der russischen Schwarzmeerflotte ist. Vor der russischen Annexion gab es deshalb Pachtverträge mit der Ukraine, die auch immer wieder zu Konflikten führten. Gleichzeitig ist die Ukraine wichtiges Transitland für die Gasexporte Russlands, und da hat der russische Imperialismus ein Problem.
Welches?
Das Problem ist aus russischer Sicht: Ein großer Anteil des Gases muss über Pipelines in der Ukraine, die ihrerseits selbst von Gasimporten abhängig ist, transportiert werden. Über Preise und Gebühren gab es deshalb immer wieder Streit. Die Pipelines Nord Stream 1 und 2 sind unter anderem ein Versuch Russlands, unabhängiger von den ukrainischen Pipelines zu werden. Die Ukraine und ihre inzwischen verbündeten Mächte wie die USA sind gegen diese Entwicklung. Aber es gibt auch weitere handfeste Interessen.
Warum Putin die Ukraine im Fadenkreuz hat
Und die wären?
Die Ukraine ist eines der bevölkerungsreichsten Länder Europas mit reichhaltigen Bodenschätzen.
Welche Bodenschätze?
In der Ukraine gibt es große Vorkommen von Kohle und Eisenerz, aber auch Grafit, Titan, Nickel, Lithium bis hin zu seltenen Erden sowie Erdöl und Erdgas. Beispielsweise schlummern dort noch unerschlossene Schiefergasvorkommen unter der Erde. Die Regierung in Kiew beziffert die Menge auf 1,2 Billionen Kubikmeter Schiefergas.
Was?
Ja, wenn das alles stimmt, wäre dies das drittgrößte Vorkommen ganz Europas. Zudem gilt die Ukraine aber auch als die Kornkammer Europas.
Aber lässt sich damit wirklich viel Geld verdienen?
Natürlich. Das Land ist einer der größten Weizenexporteure der Welt. Etwa ein Viertel der besonders ertragreichen sogenannten Chernozem-Böden (Schwarzerde) weltweit befindet sich auf dem Staatsgebiet der Ukraine. Das ukrainische Ackerland insgesamt entspricht gut einem Viertel der Flächen, die es in der gesamten EU gibt. Auch um diese fruchtbaren Böden – das schwarze Gold – ist im letzten Jahrzehnt ein heftiger Konkurrenzkampf entbrannt. Beim Wettrennen um diese Ressourcen kam es in den letzten Jahren vermehrt zu Landgrabbing durch ukrainische Oligarchen, russische Konzerne und westliche Unternehmen.
Die Ursachen des Krieges
Wie ordnest du diesen Krieg, seine Ursachen und Folgen ein?
Dies ist vor allem ein imperialistischer Konflikt zwischen Russland und dem Westen, in dem leider die Ukraine zu einem Verhandlungsgegenstand geworden ist. Zweifelsfrei ist die Ukraine in dieser Konfrontation die unterdrückte Seite und kein Unterdrücker. Das Land ist eine Halbkolonie, als solche müssen wir ihr Recht anerkennen, sich gegen beide Lager der imperialistischen Räuber zu wehren. Es tut uns sehr leid, dass die Menschen in der Ukraine all dies durchmachen müssen.
Ist Putin einfach nur verrückt?
Kriege entspringen nicht der Irrationalität einzelner Politikerinnen und Politiker. Den Irak-Krieg 2003 gab es nicht, weil Bush ein Spinner war und den Ukraine-Krieg 2021 gibt es nicht, weil Putin verrückt oder ein narzisstischer Mafiaboss oder was auch immer ist. Auch wenn manche Politikerinnen und Politiker sicher Spinner mit narzisstischen Störungen sind, kommen diese Leute an die Macht, weil das kapitalistische System genau nach diesen Führerinnen und Führer verlangt.
Internationale Solidarität gegen den Krieg
Was kann die Linke dagegen tun?
Die Kriegstrommlerinnen dieser Welt sprechen für ein System, und wenn sie die Wörter „Frieden“, „Wohlstand“, „Menschenrechte“ oder „Demokratie“ in den Mund nehmen, beginnt die große Lügerei. Das ist bei Putin so, aber das ist auch im Westen so. Weder im Irak noch in der Ukraine geht es um all das. Sie verstehen unter „nationalen Interessen“ vor allem eines: Zugang zu Märkten, Rohstoffen und billigen Arbeitskräften. Die Menschen in der Ukraine werden weder durch Washington noch durch Moskau Freiheit und Gerechtigkeit erlangen. Sie können es nur selber tun. Linke müssen das Recht auf Selbstbestimmung und den bewaffneten Widerstand der Menschen in der Ukraine verteidigen. Aber als Linke sollten wir uns nicht auf eine Seite des Imperialismus schlagen. Der Hauptfeind steht im eigenen Land.
Wie können Linke die russische Antikriegsbewegung unterstützen?
Natürlich helfen uns Spenden, damit wir unsere Arbeit verbessern können. Die beste Unterstützung ist aber der Aufbau der Antikriegsbewegung in Deutschland und in ganz Europa. Wir müssen eine internationale Bewegung sein. Hoch die internationale Solidarität!
Der Beitrag erschien im neuen Magazin von Marx21.
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