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Pokémon Go und die falsche Panikmache

Pokémon Go würde die Verkindlichung von Erwachsenen befördern, die totale Überwachung vorantreiben und eine neue Stufe der totalitären Gesellschaft unter Kontrolle des Silicon-Valley einleiten. Völlig übertrieben. Pokémon Go ist ein Spiel wie viele andere und hat durch seine mobile Spielweise durchaus Vorteile.

Menschen spielen seit tausenden von Jahren Spiele: Sei es Mehen im alten Ägypten vor 5.000 Jahren, Mikado, Schach, Dame oder Monopoly: Die Menschheit spielt und sucht Zerstreuung vom zu meist entfremdeten Alltag, versucht ihre Konzentration zu steigern, will bestimmte Bewegungsabläufe trainieren oder übt sich im abstrakten Denken: infantil ist daran nichts. Doch bei Pokémon Go soll alles anders sein?

Wiederstehe Pokémon Go“, „Der Profit des PokéStops“ und „Googles Lemminge“ sind nur einige wenige Titel von kritischen Beiträgen zum neuen Spielehit von Niantic und Nintendo. Doch trotz aller Kritik wurde das Spiel innerhalb von nur drei Wochen bereits mehr als 75 Millionen Mal heruntergeladen und zählt damit zu den erfolgreichsten Android und iOS Apps aller Zeiten. Nintendos und Niantics Aktien legten an der Börse kurzzeitig gewaltig zu. Dabei sind der Download und das Spielen völlig kostenlos.

Viele Mitzwanziger und -dreißiger spielen das Game bereits, denn es versetzt sie in die Zeit, als sie Kinder und Jugendliche waren. Das erste Pokémon Game erschien 1997 in Japan und 1999 weltweit und war damals ein voller Erfolg. Auf dem Gameboy konnte man sich für das Team Rot oder Blau entscheiden und danach begann das Rollenspiel in dem man die kleinen „Pocké(t) Mon(ster)“ jagen, fangen und trainieren konnte, um sie im Anschluss in Arenen oder gegen andere Spieler im Kampf einzusetzen. Der Charakter will im Spiel und in der gleichnamigen Serie der „beste Pokémon Trainer“ aller Zeiten werden. Doch was sind diese kleinen und zumeist knuffigen Wesen überhaupt? Pokémon sind kleine tierähnliche Monster, die jedoch die menschliche Sprache verstehen und sehr menschaffin sind. Sie gehören unterschiedlichen Typen wie Wasser, Pflanzen, Donner oder Flug an und sind auf Krawall gebürstet. Ihre Namen sind häufig Anlehnungen an real existierendes tierisches Pendants oder haben japanische Bedeutungen.

Pokémania

Wenn man sich die Anzahl der Spieler vor Augen führt die einem beim spielen und spazieren gehen in Deutschland über den Weg laufen oder die Downloadrekorde anschaut, könnte man meinen, die Pokémania sei ausgebrochen. Aber ist das so? Spiele wie Wii Sports, Mario Kart, Tetris oder Pokémon Rot/Blau wurden weltweit über 80 Millionen Mal verkauft. Eine gesellschaftliche Hysterie haben sie jedoch nicht ausgelöst. Minecraft konnte sogar über 100 Millionen Verkäufe verzeichnen. World of Warcraft, das wohl bekannteste Onlinespiel aller Zeiten, ist mit 23 Millionen verkauften Kopien das zweit erfolgreichste PC-Spiel der Geschichte. Seit über 12 Jahren spielten dort zeitweise über zwölf Millionen Menschen monatlich um virtuelle Werte. Neu ist also der Run auf ein Videospiel nicht, ebenso wenig der Suchtfaktor oder virtuelle Werte.

Das Spielprinzip von Pokémon Go

Das Spiel ist ein so genanntes Augmented Reality Spiel (AR), zu Deutsch erweiterte Realität. Dabei wird die echte Welt um computergestützte Inhalte ergänzt. Beim AR-Spiel Pokémon Go handelt es sich um eine leicht modifizierte Version eines Rollenspiels: Der Charakter steigt im Level auf und hat gewisse Gestaltungsmöglichkeiten. Das Ziel des Mobilegames ist es so viele starke Pokémon wie möglich zu fangen und gleichzeitig schnell im Level aufzusteigen. Dabei gibt es für das Fangen der kleinen Pokémon, den Besuch von sogenannten PokéStops und das kämpfen in Pokémon Arenen Erfahrungspunkte. Alles keine neuen Erfindungen, sondern klassische Online- und Rollenspielelemente. Wer steckt hinter dem Spiel?

Ingress – Niantics Pokémonvorgänger

Hinter dem Spielerfolg steckt nicht nur Nintendo, sondern vor allem Niantic. Niantic war ein Startup das sich urpsprünglich unter dem Dach von Google gründete. Im Zuge der Umwandlung des Google-Konzerns zu Alphabet verselbstständigte sich Niantic. Die Besitzverhältnisse sind seit dem ein wenig intransparent: Vor der Pokémon Go Entwicklung gab es mehrere Investments von Nintendos und Alphabet, die eventuell zu stillen Teilhabern wurden. Warum das wichtig ist? Weil Niantic vor PG ein Spiel entwickelte, dass prinzipiell das gleiche Spiel wie PG ist, nur thematisch anders gelagert: Anstatt PokéStops gibt es Netzwerknoten und die Spieler sind keine Pokémontrainer, sondern Hacker und reisen um die Welt, um für ihr Team die Knoten zu erobern. Daher kommen auch die bereits vorhanden PokéStops mit unbekannten Graffitis und „Sehenswürdigkeiten.“ Das Spielprinzip von Pokémon Go, die erweiterte Realität und vieles mehr ist bereits erprobt und seit Jahren auf dem Markt, inklusive Micropayments, anders als viele Kritiker behaupten. Höchstens der Erfolg lässt sich nicht mit bisherigen Veröffentlichungen vergleichen.

Datenschutz existiert nicht

Der größte Kritikpunkt am Spiel ist mangelnde Datensicherheit: Niantic erhält mit der App Zugriff auf Kamera, Mikrofon, GPS Daten und vieles mehr und kann damit theoretisch das Smartphone total überwachen. Laut BasicThinking haben zudem Folgende Drittunternehmen durch das akzeptieren der AGBs Zugriff auf eure Daten:

Quelle: BasicThinking
Quelle: BasicThinking

Sie erhalten nicht nur Bewegungsprofile, sondern auch Daten über euer gesamtes Handy. Niantic erlaubt es sich sogar, diese Daten ungefragt an Strafverfolgungsbehörden und weitere Dritte weiterzugeben, wie die oben bereits erwähnten. Daher: Datenschutz existiert beim Spiel nicht. Vielmehr hat sich der Entwickler dazu entschlossen, den schlechten Sammelwut-Praktiken der Branchengrößen wie Apple, Microsoft, Google, Facebook und Co. zu folgen. Schade! Wenn ihr das Game trotzdem zocken wollt ohne zum Beispiel euren Wohnort preis zugeben oder eure nähre Umgebung, dann schaltet das Spiel ein bis zwei Kilometer vorher ab, besser geht es leider nicht. Und wie BasicThinking richtig schreibt: Legt euch einen extra Google- oder PokemonTrainer Account zu und nutzt nicht den Standard Account. Stiftung Warentest hingegen gibt jedoch in Teilen Entwarnung: Das Spiel sammele Daten, aber deutlich weniger als viele vergleichbare Produkte. Ob der lasche Umgang mit Datenschutz nun für Pokémon Go oder gegen die Stiftung Warentest spricht kann jeder sich selbst fragen.

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Gesteuerte Wege – Bewegungsprofile – Kontrollierte Gedanken

Alfie Bown schreibt für das Roar Magazin, Pokémon Go und Ingress hätten Unternehmen die Möglichkeit verliehen über Smartphones die Kontrolle über unsere Bedürfnisse und Bewegungsmuster zu erhalten. Bown behauptet weiter, aufgrund der Struktur der PokéStops an denen Spieler halten müssen, würden wir aufgezwungene Wege gehen die Niantic vorgibt, um so „Googles perfekte Bürger“ zu werden. Denn Google schaffe es dank der GPS Komponente des Spiels die Spieler zu jenen Örtlichkeiten zu locken, die das Unternehmen gerne hätte. Google würde nicht nur unsere Wege überwachen, sondern bestimmen, so Bown. Diese Kritik entbehrt nicht einem Fünkchen Wahrheit. Schließlich bestimmt Niantic, nicht Google!, welche PokéStops existieren, entstehen oder entfallen. Damit sind die Ziele durch das Unternehmen vorgegeben. Restaurants, Geschäfte und Bars sollen bald zudem die Möglichkeit erhalten, sich solche PokéStops zu kaufen, um SpielerInnen anzulocken, aber: SpielerInnen bleibt es vorbehalten, wie sie zu einem Stop kommen, zu welchem sie gehen und ob sie es tun. Es ist letzten Endes nur der Versuch einer „Wohin-Gehst-Du“ Kontrolle. Ob ein solches AR-Spiel zu einer kontrollierten Dystopie führt, wage ich zu bezweifeln, denn dazu müsste die Anzahl der SpielerInnen ähnlich der NutzerInnenzahl von Facebook sein, um so eklatante Auswirkungen auf die Umgebung zu erzielen.

Der positive Effekt des Herumlaufens auf der anderen Seite ist, dass man aus der Anonymität der Großstadt ausbricht. Während ich das Spiel spielte, habe ich dutzende neuer Menschen kennen gelernt, die ich in meinem Stadtteil ansonsten wahrscheinlich nie wahrgenommen hätte. Auf Wired berichtete ein Spieler sogar, wie PG half seine Sozialphobie zu überwinden – ein natürlicher Effekt, wenn sich viele SpielerInne an einem Ort treffen, um Arenen zu bekämpfen oder Pokémon zu fangen. Wie in Düsseldorf, wo auf einer Brücke dutzende SpielerInnen zusammen kamen und eine Brücke abgesperrt werden musste. Im bergischen Solingen wurde ein antifaschistischer Pokémon Rundgang organisiert.

GPS ist böse: Hä??!?!

Eine weitere ulkige Kritik kommt vom Jacobin Magazin: GPS wurde ursprünglich für das US Militär entwickelt, um Kriegseinsätze, Raketenbeschüsse und mehr zu koordinieren. Diese Technologie nun für spielerische Zwecke zu nutzen sei bedenklich. Warum frage ich mich? Es ist doch geradezu super, dass militärische Geräte zweckentfremdet und für friedliche und freudegenerierende Spiele eingesetzt werden. Leider hat dies nicht zur Folge hat, dass das Militär kein GPS mehr nutzt. Eine moralische Keule sollte man an dieser Stelle jedoch nicht schwingen, da etliche Erfindungen der Menschheitsgeschichte zunächst für das Militär vorgesehen waren. Schließlich kritisiert man auch nicht die zivile GPS Nutzung zur Navigation.

Das wohl bekannteste Pokémon, Pikachu, Foto: Pixabay
Das wohl bekannteste Pokémon, Pikachu, Foto: Pixabay

Das Ding mit dem Geld

Ein weiterer Kritikpunkt am Spiel ist die Möglichkeit der ingame Bezahlung, sogenannte Micropayments. Das Spiel ist zwar theoretisch kostenlos, um jedoch schneller seine Bedürfnisse zu befriedigen, also schnell im Level aufzusteigen sowie viele Pokémon zu fangen, tätigt man kleinere Ausgaben, die dass Spiel erleichtern. Durch das neu geweckte Bedürfnis würde ein neues Feld der ursprünglichen Akkumulation angestoßen. Heißt: Neue Unternehmen bieten Dienstleistungen an, aus denen Profit geschlagen werden soll. Auf der einen Seite sind dies Nintendo und Niantic mit ihren ingame Verkäufen, auf der anderen Seite stehen Gastronomie, Städte und Fahrtenanbieter. So lässt die Stadt Düsseldorf extra Bereiche für SpielerInnen absperren, in der Hoffnung diese zu ausgabefreudigen TouristInnen zu machen, in Manchester existiert ein PokémonGo Fahrdienst und Restarurants und Bars wollen mit Stops SpielerInnen anlocken. Neu ist das nicht. Bereits der Onlinehit World of Warcraft nutzte Spielemechaniken, um Spieler durch immer neue Hürden und Levels Geld „abzupressen“: Monatliche Gebühren, AddOns und Ingamekäufe. Sogenannte Farmer haben gegen Geld für den Spieler und die Spielerin Gold gesammelt oder Level „gefarmt.“ Das kann man kritisieren, es aber als kapitalistische Revolution zu bezeichnen wie es einige Magazine tun, ist falsch. Es ist eine altbewährte Methode, die mit den Münzeinwürfen in den Spielhallen der 70er und 80er begann und heute bei Ingamekäufen ihren vorläufigen Höhepunkt hat.

Panikmache unnötig

An Pokémon Go kann man vieles kritisieren, es aber zu verteufeln oder gar zu einem offenen Boykott aufzurufen ist falsch. Das Spiel selbst ist ein simples Rebrand des vier jahre alten Ingress, welches die durch Onlinespiele und Mobilegames bekannte Zahlmöglichkeiten Gewinne beinhaltete. Zudem ist das Spiel, zumindest für mich, nach einer kurzen Dauer recht langweilig: Der Langzeit Spielspaß bleibt bisher auf der Strecke. Ob das Game auf lange Sicht erfolg haben wird bleibt offen. Anders als World of Warcraft oder andere komplexe Spiele, bietet es zu wenig Möglichkeiten. Und vielleicht diskutiert die Öffentlichkeit in fünf Jahren bereits über das nächste Spiel, das alte Spielemechaniken und Geschäftsmöglichkeiten neu verpackt und gewinnbringend vermarktet, leider.

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10 Antworten

    1. „Der größte Kritikpunkt am Spiel ist mangelnde Datensicherheit: Niantic erhält mit der App Zugriff auf Kamera, Mikrofon, GPS Daten und vieles mehr und kann damit theoretisch das Smartphone total überwachen. Laut BasicThinking haben zudem Folgende Drittunternehmen durch das akzeptieren der AGBs Zugriff auf eure Daten.

      Sie erhalten nicht nur Bewegungsprofile, sondern auch Daten über euer gesamtes Handy. Niantic erlaubt es sich sogar, diese Daten ungefragt an Strafverfolgungsbehörden und weitere Dritte weiterzugeben, wie die oben bereits erwähnten. Daher: Datenschutz existiert beim Spiel nicht.“

      Steht doch im Artikel? Zudem es eben KEINE Besonderheit von Pokemon Go ist. Die meisten User haben Android Handys mit einem Google Betriebssystem und Apple ist auch nicht besser. Daher: Hört mal auf mit der Panikmache!

  1. mir ist es relativ egal, wie Leute ihre Freizeit verbringen. Aber wenn Kinder, Jugendliche und Erwachsene bspw. in den Kölner Dom eindringen um irgendwelche virtuellen Monster oder Tiere zu „fangen“, dabei im wahrsten Sinne des Wortes über die Bänke gehen und lautstark ihre Erfolge oder Misserfolge kommentieren, ohne jegliche Respekt vor dem Ort, an dem sie sich befinden, dann könnte ich kotzen.
    In Moscheen würde sich übrigens niemand so verhalten.

  2. Alles halb so schlimm, schließlich gibt es ja auch Facebook, wo sich Millionen zum Affen machen lassen.
    Die Geheimdienste lachen sich schlapp, über so viele so saublöde Menschen, die ihnen die Arbeit abnehmen.
    Der Autor ist auch wahrscheinlich einer von denen, die sagen, wieso?,ist doch egal, ich hab nichts zu verbergen…..
    Wer meint, seine freie Zeit mit so hirnlosem Zeugs verbringen zu müssen, tut mir fast schon leid. Das sind arme Würstchen.

    1. Der Autor ist einer von denen die sagen: Alle die ihr meckert, hört auf Facebook & Co. zu nutzen wenn ihr über Pokemon Go meckert, es gibt da nämlich keinen großen Unterschied. Das passiert aber nicht, ergo: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

      1. sorry, völlig daneben.
        Ich bin einer der sagt, ihr habt es bei Facebook schon nicht gemerkt, jetzt dieser Pokemon-Unsinn, und fragt: …. merkt ihr überhaupt noch was?
        Ist mir so wumpe, wer, was nutzt, es zeigt mir nur was.
        Wird schon seinen Grund haben, warum.

      2. …..aber jetzt mal ganz im Ernst. Ist es wirklich wahr, dass erwachsene Menschen mit Feuereifer per Smartphone irgendwelche gezeichneten Männchen jagen ?! Die Infantilisierung gallopiert, und ein „Linker“ spielt mit ?!
        Das ist so krass, Alter, da verschlägt es einem die Sprache.

  3. Und wiedereinmal lassen sich links intellektuelle von der Wirtschaft vor den Karren spannen. Die leichtgläubigen und alles ist kuschelig Theoretiker sind soweit fort von den realen Dingen. Früher hätten sie gegen massenverdummung gekämpft heute sind sie deren Handlanger. ..ohne es zu wissen?

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