Seit nun einigen Monaten wird innerhalb der Partei Die Linke über die „Konzeption eines linken Einwanderungsgesetzes“ diskutiert. Getragen wird das vorliegende Papier von sechs Landtagsfraktionen aus den ostdeutschen Bundesländern.
Die Verfasser des Konzeption beanspruchen für sich, nicht gegen das Erfurter Grundsatzprogramm der Linken zu verstoßen und angebliche offene Fragen mit dieser Konzeption zu entgegnen.
In der vorliegenden Konzeption sind viele, für die linke selbstverständliche Forderungen aufgeführt. So zum Beispiel die Forderungen nach der Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl oder die Abschaffung der Optionspflicht und des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes.
Das tatsächlich Entscheidende in dieser ellenlangen Konzeption ist die Frage, wie Einwanderung jenseits des Asylrechts gestaltet werden soll.
Wem nützt es?
Eingangs sei hier erläutert, dass die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz nicht neu ist. Da ein Einwanderungsgesetz über Jahrzehnte weder Aussichten auf politische noch gesellschaftliche Mehrheiten in Deutschland hatte, konzentrierten sich die Lobbyisten deutscher Unternehmen auf die EU. Unter großen Anstrengungen und mithilfe sogenannter Think Tanks, setzten sie EU Richtlinien durch, die dann auch in Deutschland umgesetzt werden mussten. Dazu gehört die sogenannte Blue Card Regelung, welche ein System zur Vergabe von Arbeitserlaubnissen ist und von der Linken zurecht abgelehnt wurde. Wie sehr diese EU Richtlinie deutschen Wirtschaftsinteressen entspricht, verdeutlicht die Tatsache, dass 87 % aller innerhalb der EU vergebenen Blue Cards auf Deutschland entfielen. Sie erwies sich als ein Instrument, um die Lohnspirale nun auch unter Fachkräften nach unten zu drehen. So darf bereits heute, ein aus dem Ausland angeworbener Ingenieur bis zu 47 % weniger verdienen als sein in Deutschland ausgebildeter Kollege.
Scheinbar hat die Hartnäckigkeit der Arbeitgeberverbände nun auch in Deutschland Früchte getragen. Außer der Linken fordern mittlerweile alle im Bundestag vertretenen Parteien ein Einwanderungsgesetz. Die SPD Fraktion fordert gar ein diskriminierendes Punktesystem, welches die Linke auch in diesem Fall im Bundestag zurecht abgelehnt hat.
Hinzu kommt, dass sowohl die SPD als auch die Grünen bereits seit mehr als zwei Jahren ein Einwanderungsgesetz zur Bedingung einer Regierungsbeteiligung gemacht haben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass ausgerechnet die sechs Landtagsfraktionen nun ein solches Einwanderungsgesetz vorlegen, die schon an Landesregierungen beteiligt waren, noch sind oder diese anstreben.
Ganz zu Schweigen davon, dass nach der bisherigen Erfahrung auch bei möglichen Koalitionsverhandlungen vom vorliegenden Konzept nicht viel übrig bleiben wird.
Soziale Anknüpfungspunkte
Neben den schon vorhandenen Einreisemöglichkeiten zur Erwerbsarbeit, Aufnahme eines Studiums, einer Ausbildung oder aufgrund des Familiennachzuges, schlägt das Konzept weitere Einreise- bzw. Aufenthaltsoptionen vor. So soll auf Grundlage einer Gemeinwohltätigkeit, sei es bei der Feuerwehr, in gemeinnützigen Vereinen oder in karitativ tätigen Organisationen sowie sonstigen Gründen sozialer Verwurzelungen, die im Konzept undefiniert bleiben, eine Einwanderung möglich sein.
Hier ist anzuführen, dass auch eine gemeinnützige Tätigkeit in einem Verein, eine gesellschaftlich-ökonomische Nützlichkeitserwägung beinhalten kann. Früher im öffentlichen Dienst angesiedelte, soziale und kulturelle Tätigkeiten werden schon heute verstärkt in einen Niedriglohnbereich verwandelt, siehe zum Beispiel den Bundesfreiwilligendienst. Durch diese „soziale Anknüpfungspunkte“ wird dieser Prozess beschleunigt und die eingewanderten Menschen eben dort ausgebeutet werden.
Hinzu kommt, hier sind alle im Nachteil, die solche Anknüpfungspunkte eben nicht knüpfen können, weil sie z.B. nicht mehrsprachig sind, zuvor nie in Deutschland waren, keinen Zugang zu Bildung haben oder schlichtweg sich die Reise nicht leisten können.
Folgt man dem Konzept, soll nach einem Jahr Aufenthalt ein sozialer Anknüpfungspunkt vermutet und ein dauerhafter Aufenthalt erteilt werden. Es sei denn, die zu schaffende „Einwanderungsbehörde“ beweist das Gegenteil. Auch die Tatsache, dass diese „Einwanderungsbehörde“ den Nachweis der fehlenden sozialen Anknüpfungspunkte erbringen muss, kann nicht beruhigen. Im Gegenteil, in der Praxis kann es sich so ausgestalten, wie bereits jetzt bei Verdacht einer „Scheinehe“ zu Aufenthaltszwecken. Denunziationen oder das Eindringen in die Privatsphäre wären die Folge, aus einer „Einwanderungsbehörde“ kann dann schnell, je nach gesellschaftlicher Stimmung und Regierungskoalition, eine „Ausweisungsbehörde“ werden.
Was hier also mit sozialen Anknüpfungspunkten als Paradigmenwechsel verkauft wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als unausgegoren und bricht eben nicht mit der bisherigen neoliberalen Logik. Ganz im Gegenteil.
Brain Drain und Lohndumping
Überhaupt nicht gelöst, wird die Frage nach dem bereits jetzt vorhandenem sogenannten „Brain Drain“, also das Auswandern gut ausgebildeter Fachkräfte aus den sogenannten Dritte Welt Ländern. Die Annahme im Konzept, man könnte dieser Problematik mit möglichen Modellen bilateraler Zahlungsverpflichtungen westlicher Länder an andere Länder entgegenwirken, bewegt sich außerhalb der heutigen internationalen sozial- sowie arbeitsmarktpolitischen Verhältnisse und ist somit realitätsfern.
Auch sieht die jetzige Gesetzesregelung für hochqualifizierte Mindesteinkommen vor. Diese fehlen im Konzept völlig. Somit wird Lohndumping Tür und Tor geöffnet und Arbeitnehmer können so gegeneinander ausgespielt werden. Somit ist das „linke Einwanderungsgesetz“ für Arbeitgeber ein Segen und in letzter Konsequenz, ob gewollt oder nicht, ein Lohndumping-Gesetz.
Abschiebungen
Erscheint die Forderung nach „sozialen Anknüpfungspunkten“ zwecks Einreise auf den ersten Blick noch liberal, aber unausgegoren, wird es in der Frage der zwangsweisen Ausreisen ziemlich restriktiv. Exemplarisch hierfür sind zwei Formulierungen aus dem vorliegenden Konzept.
- „Eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht ist zulässig, wenn die Voraussetzungen des Abschnitts VIII.2. vorliegen und der Zielstaat eine konkret-individuelle und nachvollziehbare Zusicherung abgegeben hat, dass er den Migrant aufnimmt und dem Migrant bei einer Rückkehr eine menschenwürdige Existenz gewährleistet“.
- „Ein emanzipatorisches Einwanderungs- und Flüchtlingsrecht muss zweifelsohne die Forderung nach einer gänzlichen Abschaffung des Zuständigkeitssystems der Dublin III Verordnung beinhalten, der Vorschlag eines linken Einwanderungsrechts mit rein nationaler Stoßrichtung kann aufgrund des europarechtlichen Anwendungsvorrangs eine solche Forderung allerdings nicht einschließen.“
Dass in den Bundesländern, in denen DIE LINKE mitregiert, bereits Abschiebungen stattfinden, ist schlimm genug. Dass dieser Bruch mit unserer Parteiprogrammatik nun auch theoretisch untermauert und zur Parteiposition erhoben werden soll, halten wir schlichtweg für skandalös.
Ein Großteil der Migrationspolitik wird mittlerweile auch auf EU Ebene geregelt. Das Eingeständnis, die Dublin 3 Verordnung hinnehmen zu müssen, welche die Menschen dazu zwingt, ihren Asylantrag dort zu stellen, wo sie zuerst in der EU angekommen sind und dann dorthin auch zwangsweise zurückgeführt werden, spricht Bände.
Keine linke Alternative
Nun besteht das Wesen eines Einwanderungsgesetzes naturgemäß darin, zu regeln, wer kommen oder bleiben darf und wer wieder gehen muss. Zu unterbreiten, wie dies gesetzlich geregelt werden sollte, kann nicht Aufgabe einer linken sozialistischen Partei sein. Schon gar nicht, in dem diese selbst im bürgerlichen Rahmen verbleibt und sich den angeblichen Zwängen unterwirft.
Das mittlerweile in der Gesellschaft mehr über Migrantinnen und Flüchtlinge geredet wird als mit ihnen, sind wir mittlerweile leider gewohnt. Dass dies nun auch Einzug in unserer Partei hält, bedauern wir sehr.
So ist es für uns völlig unverständlich, dass die Erarbeitung eines solchen Papiers gänzlich ohne Rücksprache und ohne Einbeziehung der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration, Integration und Antirassismus und der Partei erfolgte.
Wir lehnen die vorliegende Konzeption strikt ab und sagen auch allen zukünftigen Versuchen den Kampf an, die unsere migrations-, und integrationspolitischen Grundsätze über Bord werfen wollen. Nicht Fraktionen sind der Ort um unserer Programmatik zu verändern, sondern die Partei. Wer unsere Programmatik verändern möchte, soll die Debatte in der Partei führen und entsprechende Anträge an den Bundesparteitag stellen.
Ein Beitrag von
Ali Al-Dailami, Mitglied des Geschäftsführenden Parteivorstandes Die Linke
Ulas Tekin, Mitglied des Berliner Landesverbandes Die Linke