Riskieren Hungerstreikende ihr Leben für Abdullah Öcalan? Oder worum geht es?
Hungerstreik als Mittel des politischen Protestes wird in Deutschland von Vielen abgelehnt und stößt auf Unverständnis. In der Geschichte der linken und kurdischen Bewegung in der Türkei haben Hungerstreiks allerdings Tradition. Hungerstreiks werden oftmals aus Gefängnissen heraus gegen die Repressionen des Staates als letzte Protestmöglichkeit angewendet, ähnlich wie bei vielen anderen Widerstandsbewegungen weltweit.
Als deutsche Politikerinnen mit kurdischer Herkunft bin ich über die Entwicklungen und die Situation der politischen Gefangenen in der Türkei äußerst besorgt. Insgesamt wurden 24 Abgeordnete der oppositionellen HDP, aus politischer Willkür, inhaftiert. Diese Inhaftierungen werden größtenteils mit einer vermeintlichen Nähe zur Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch Partiya Karkerên Kurdistanê; PKK) begründet.
Die PKK wird zwar in der Türkei und in Deutschland als Terrororganisation angesehen, jedoch gibt es zahlreiche Gerichtsurteile, die sie nicht als Terrororganisation einstufen, sondern als eine Partei innerhalb eines Konflikts nach internationalem Recht. Daraus schlussfolgernd kann man den Staaten, die sie als Terrororganisation einstufen ausschließlich politische Ängste und Interessen nahelegen. Die PKK ist schon seit Jahrzehnten bemüht einen Friedensprozess zu führen. Die Friedengespräche im Zeitraum 2012-2015 wurden einseitig durch die türkische Regierung beendet. Seither führt die türkische Regierung einen andauernden Krieg gegen die Kurden in der Türkei und in Rojava/Nordsyrien.
Der Repräsentant von Millionen Kurden und akzeptierter Akteur für Friedensverhandlungen mit der türkischen Regierung, Abdullah Öcalan, ist seit über 20 Jahren inhaftiert. Seit mehreren Jahren ist Abdullah Öcalan in Isolationshaft. So haben die türkischen Behörden in den letzten vier Jahren lediglich zwei Kurzbesuche seines Bruders genehmigt. Besuch von seinen Anwälten wurde ihm zuletzt vor über sieben Jahren gewährt. Abgeordnete der Opposition durften ihn zuletzt im Frühjahr 2015 besuchen. Auch das Antifolter-Komitee des Europarates äußert klare Kritik an der Isolationspolitik.
Leyla Güven ist eine der verhafteten HDP-Abgeordneten. Sie sieht insbesondere in der Isolationshaft von Öcalan ein Hindernis für die Verbesserung der Lage von zehntausenden politischen Inhaftierten und der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen. Die letzten knapp 800 Besuchsanträge der Anwälte von Öcalan haben die türkischen Behörden aus aberwitzigen Gründen abgelehnt. Nachdem alle Rechtsmittel im Unrechtstaat vergeblich angewandt wurden und alle sonstigen Protestformen nichts an der Lage der politischen Inhaftierungen ändern konnten, sah sie keinen Ausweg aus der Misere. Schließlich blieb ihr in dieser Notlage nur noch der Versuch durch einen unbefristeten Hungerstreik die internationale Öffentlichkeit wach zu rütteln und Druck auf die türkische Regierung aufzubauen. Seit dem 7. November 2018 befindet sich Leyla Güven im unbefristeten Hungerstreik. Sie fordert damit ein Ende der Isolationshaftbedingungen für Abdullah Öcalan, als Türöffner für die Gewähr von Rechtsstaatlichkeit für alle politischen Inhaftierte und einen erfolgreichen Friedensprozess.
Den Forderungen haben sich weltweit tausende Menschen angeschlossen, darunter auch Aktivist*innen in Deutschland. Dieser Protest hat bisher bewirkt, dass Öcalan zumindest einen 15 minütigen Besuch seines Bruders erhalten durfte und Güven aus der Haft entlassen wurde. Sie führt seitdem ihren Hungerstreik Zuhause fort. Es werden immer mehr Menschen, die sich dem Hungerstreik anschließen, jedoch mangelt es an Berichterstattung darüber. In der Türkei ist die Pressefreiheit durch Erdogan sehr stark eingeschränkt, sie existiert quasi nicht mehr. Obwohl auch Menschen aus Deutschland betroffen sind und es über 100 Aktionen in Deutschland zum Hungerstreik gab, hat es kaum Echo in den deutschen Medien erhalten. Auf meine zahlreichen Fragen an die Bundesregierung ist die Bundesregierung mit ihren Antworten ausgewichen. Für die Bundesregierung sind scheinbar die wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei wichtiger als die Menschenrechte dort.
Die Bundesregierung könnte die Türkei dazu bringen, die Rechtsstaatlichkeit für die politisch Inhaftierten zu gewähren und damit auch die Leben der Menschen im Hungerstreik retten Es ist jetzt Zeit endlich zu diesem Thema zu handeln und zwar im Sinne der Menschen und nicht der wirtschaftlichen Beziehungen. In diesem Sinne sollte die Bundesregierung auch in einen Dialog mit Kurden und der türkischen Regierung treten und sich für eine Friedensperspektive einsetzen.