Mehr als ein symbolischer Akt

Am 8. März wollen Frauen in ganz Deutschland die Arbeit niederlegen. Sie gehen in den Streik. Damit findet das erste Mal seit 25 Jahren in diesem Land wieder ein Frauenstreik statt.

Wenn die streikenden Frauen von Arbeit reden, dann meinen sie nicht nur jene Arbeiten, für die sie einen Lohn bekommen, sondern auch jene unzähligen Stunden an unbezahlter Haus- und Erziehungsarbeit. Sie meinen auch die vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten in sozialen Bereichen, vor allem von Seniorinnen. Nicht zu vergessen die emotionale Arbeit, die Frauen täglich in der Familie, in Freundschaften, aber auch auf der Arbeit leisten.

Wie soll das gehen, mag man sich fragen? Wie soll ein Streik nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Betriebes funktionieren? Frauen auf der ganzen Welt haben es bereits vorgemacht. Im vergangenen Jahr, am 8. März, gingen beispielsweise in Spanien schätzungsweise 6 Millionen Frauen gegen Ausbeutung, Gewalt und Ungleichbehandlung in den Streik und inspirierten damit auch Frauen in Deutschland. Sie legten entlohnte und nicht entlohnte Arbeit nieder, wo es ging. Sie blockierten Straßen und Autobahnen, legten den Bahnverkehr zum Teil lahm und schmückten die Häuser und Straßen mit lila Kleidungsstücken. „Wenn wir streiken, steht die Welt still“ war ihr Motto und es soll auch das Motto des hiesigen Streiks werden. Doch warum sind in Spanien so viele Frauen in den Streik gegangen und warum wird auch in Deutschland am Frauenstreik gearbeitet? Die Verhältnisse in Spanien sind nicht die gleichen wie in Deutschland und doch liegen die Gründe für einen feministischen Streik gar nicht so weit auseinander.

Europaweit wurden im vergangenen Jahrhundert zwar viele Frauenrechte erkämpft – erst vor wenigen Monaten jährte sich zum 100. Mal die Einführung des Frauenwahlrechts im Zuge der Novemberrevolution in Deutschland – doch von vollkommener Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt. Schlimmer noch: bereits errungene Rechte liefen und laufen Gefahr rückgängig gemacht zu werden. Ein großer Rückschritt – vor allem für die Frauen aus der ehemaligen DDR – war in Deutschland bereits vor bald 30 Jahren die Anpassung des neuen deutschen Rechtssystems an die Gesetze der früheren BRD. Diese waren an vielen Stellen – beispielsweise beim Recht auf Abtreibung und in Bezug auf Gewalt in der Ehe – weniger fortschrittlich als das DDR-Recht. Bis heute werden Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland mit dem Paragraphen 218 kriminalisiert. Rechte und  selbsternannte Lebensschützer wollen die bestehenden Gesetze weiter verschärfen. Durch den Fall um die Ärztin Kristina Hänel, die aufgrund von Informationen über Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Website zu einer hohen Geldstraße verurteilt wurde, wurde auch das Thema des Informationsrechts wieder in der Öffentlichkeit diskutiert. Der Paragraph 219a, der dieses Informationsrecht verbietet, sollte nun nach vielen Protesten reformiert werden. Doch was nach einer Lockerung aussieht, verschlechtert das Recht auf Information durch Ärztinnen und Ärzte weiter. Peinlich, dass die SPD, eingeschnürt im Koalitionskorsett, bei der Abstimmung im Bundestag auch für diesen Kompromiss stimmte.

Doch nicht nur frauenspezifische Rechte werden immer häufiger angegriffen. Die Folgen neoliberaler Politik durch massive Kürzungspolitiken, Privatisierungen und immer schlechtere Jobs treffen Frauen im besonderen Maße. So ist Altersarmut mehrheitlich weiblich. EU-weit leben mehr Frauen (16 Prozent) als Männer (12 Prozent) im Rentenalter in Armut. Das liegt vor allem an fehlenden Einkommensjahren während die Kinder klein sind und schlecht bezahlten und Teilzeit-Jobs. In den Ländern der Europäischen Union verdienen Frauen heute immer noch durchschnittlich 16,2 Prozent weniger als Männer. Deutschland bildet mit rund 21 Prozent weniger eines der Schlusslichter. Hinzukommt, dass Frauen weiterhin den Großteil der nicht entlohnten Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit leisten. Die Kürzungen in der sozialen Infrastruktur Europas durch die Austeritätspolitik des letzten Jahrzehnts, wurden deshalb auch insbesondere von Frauen privat aufgefangen. Ihre doppelte Belastung spitzt sich also zu, ohne dass sie durch ökonomische Eigenständigkeit aufgewogen wird. Diese Politiken drücken sich auch in der deutschlandweiten KiTa-Krise und dem Pflegenotstand aus. Es fehlen KiTa-Plätze an vielen Orten und die Erzieher*innen werden schlecht bezahlt. So geht es auch den Krankenpfleger*innen, die durch fehlendes Personal bis an die Grenzen ihrer psychischen und körperlichen Belastbarkeit gehen.

Indem die streikenden Frauen all diese Missstände anprangern und Alternativen einfordern[1], ist der Frauen*streik weit mehr als ein tariflicher Streik im Betrieb. Er setzt die Forderung nach einem politischen Streik – in dem nicht nur Forderungen an den Arbeitgeber, sondern an die gesamte Gesellschaft gestellt werden – wieder auf die politische Agenda. Die ersten Streiks der aufsteigenden Arbeiter*innenbewegung zum Ende des 19. Jahrhunderts verbanden noch ganz selbstverständlich ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen mit der Forderung nach Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts. Also eines Wahlrechts, durch das die Gewichtung der Stimme von der höhe des Geldbeutels abhing. Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs wurden politische Streiks in der BRD immer wieder kriminalisiert. Detlef Hensche, ehemaliger Vorsitzender der IG Medien und Mitgründer der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di., sagt dazu in einer Handreichung für die streikenden Frauen: „Das Streikrecht zum Zweck politischer Demonstration entspricht seit langem internationalem Standard. Fast alle europäischen Rechtsordnungen erlauben politisch motivierte Arbeitsniederlegungen als selbstverständlichen Teil der demokratischen Auseinandersetzung. Lediglich die Bundesrepublik und mit ihr Dänemark und Großbritannien tanzen aus der Reihe – und verstoßen damit gegen geltendes Völkerrecht“. Dennoch sollte sich keine Frau in Gefahr begeben, ihren Job zu verlieren, wenn sie am 8. März ihre Lohnarbeit bestreikt. Hensche schreibt dazu: „Wie vor 150 Jahren stützen sich kollektive Gegenwehr und Rechtsfortschritt auf die Selbstermächtigung der Vielen. Und auf die Geschlossenheit von Belegschaften und Abteilungen; politische Streiks sind nichts für individuelle Aktionen und Einzelkämpferinnen“. Aber es gibt viele Alternativen, wie man das Verbot zu streiken, umgehen kann[1], z.B. mit einer „politischen Mittagspause“ mit den Kolleginnen oder indem sich Frauen – und dazu ruft das Frauen*streiknetzwerk auf – um 5 vor 12 Uhr vor den Betrieb, die Wohnung, das Bürohaus setzt. Schilder oder ausgedruckte Plakate mit denen eigenen Forderungen machen

deutlich, warum man sich am Streiktag beteiligt[2].

Auch DIE LINKE schließt sich den Rufen nach Gegenwehr an und ruft zum Frauen*streik und zur Beteiligung an den vielen Demonstrationen zum Frauen*kampftag auf. Männer sind dazu aufgerufen, sich mit den Streiks der Frauen solidarisch zu zeigen und zum Beispiel die Sorgearbeit um das gemeinsame Kind oder den pflegebedürftigen Vater an diesem Tag komplett zu übernehmen. In einigen Städten werden Kinder- und Männerblocks die Demonstrationen begleiten.

Nun könnte man meinen, dass ein einmaliger Streik nicht viel mehr als ein symbolischer Akt sein wird, ohne große Folgen. Doch der 8. März 2019 ist nur ein Anfang. Die bundesweit mehr als 40 Netzwerke, die in den letzten Monaten gegründet wurden, wollen auch über den Frauenstreiktag 2019 hinaus aktiv bleiben. Ganz nach dem Motto: nach dem Streik, ist vor dem Streik.

Kerstin Wolter, Mitglied der LINKEN und Mitinitiatorin des Frauen*streiks in Deutschland

Alle Infos zum Frauen*streik, den lokalen Aktivitäten und weitere Ideen zum Streiken findet ihr auf www.frauenstreik.org.


[1] Weitere Ideen, wie man das Streikverbot umgehen kann: https://frauenstreik.org/wie-streiken/streik-im-betrieb/

[2] Infos zur Aktion 5 vor 12: https://www.facebook.com/events/2246843838862548/

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