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Macht uns ZeroCovid handlungsunfähig?

Ulrike Eifler, Linke und aktive Gewerkschafterin, sieht in den Vorschlägen von ZeroCovid eine Gefahr für die Handlungsfähigkeit der Arbeiterbewegung. Was ist dran an dieser Einschätzung? Dieser Beitrag von Christian Schroeppel dient als Debattenbeitrag und bezieht sich auf den Text „Zero Covid macht uns nicht handlungsfähig“ von Ulrike Eifler zum ZeroCovid-Konzept.

Die Pandemie hat die Gesellschaft in allen Bereichen nachhaltig verändert. Menschen, die wichtige Leistungen für die Gesellschaft erbringen, aber wenig verdienen, kamen lange im öffentlichen Diskurs in dieser und über diese Gesellschaft kaum vor – nun wurden sie zu „systemrelevanten Arbeitskräften“. Einem Teil von ihnen wurde Applaus gespendet, private wie öffentliche Arbeitgeber verweigern dennoch jede freiwillige Lohnerhöhung. Andere sind von der Pandemie hart getroffen, dürfen nicht arbeiten und haben Schwierigkeiten, die Corona-Hilfen zu beantragen oder tatsächlich zu erhalten. Andere können im Homeoffice ähnlich arbeiten wie vorher im Büro und haben Kinder, die das selbständige Lernen bereits gelernt haben und daher auch mit Distanzunterricht klarkommen.

Die Pandemie trifft die unterschiedlichen Teile der Arbeiterklasse unterschiedlich. Linke Politik muss dies berücksichtigen. Sie sollte keine Vorschläge machen, die einen Teil der Arbeiterklasse belasten, ohne eine realistische Perspektive aufzuzeigen, wie diese Belastungen zu vermeiden sind. Klar ist zugleich: Auch ohne Lockdown trifft die Pandemie die Menschen sehr unterschiedlich. Denn diejenigen, die Home-Office machen können, gehören zu den Beschäftigten, die oft auch ohne behördliche Verordnung im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber von zu Hause arbeiten dürfen. Gerade wenn wegen einer unkontrollierten Pandemie das Risiko, dass für den Arbeitgeber wichtige und schwer ersetzbare Manager oder Spezialisten durch Krankheit ausfallen, betriebswirtschaftlich bedeutsam ist, wird dieser für diese Heimarbeit zulassen, während der Großteil der Beschäftigten vor Ort arbeiten muss.

Kampfperspektive Betriebsschließungen?

Zuhause zu bleiben, weil Betriebe pandemiebedingt durch den Staat geschlossen werden, ist etwas anderes als ein Generalstreik. Die Beschäftigten gestalten eine solche Maßnahme nicht aktiv und bleiben voneinander isoliert. Jede kollektive Aktion zu Belangen des Arbeitsschutzes, zu denen auch die vorübergehende Schließung von Betrieben mit hohem Corona-Risiko zählt, fördert die Organisation und Kampfkraft der Arbeiterklasse. Aber eine Schließung durch Selbstaktivität der Beschäftigten wird nur in wenigen der Betriebe, die wegen hoher Corona-Risiken geschlossen werden müssen, möglich sein. In den meisten Fällen werden diese Betriebe durch staatliche Verordnung geschlossen, wenn der politische Druck groß genug ist.

In der Auseinandersetzung um die grundlegende Orientierung der Pandemiebekämpfung wird die politische Kraft der Arbeiterklasse daher zunächst eine größere Rolle spielen als die betriebliche Durchsetzungsfähigkeit. Das ist nicht ungewöhnlich in Auseinandersetzungen um grundlegende Fragen der Arbeitswelt: Auch die Einführung des Mindestlohns wurde wesentlich durch den politischen Druck der Arbeiterbewegung erkämpft.

Für die Linke ist es entscheidend, den Kampf für die Verbesserung der Situation aller Teile der Arbeiterklasse auch in der Pandemie in den Vordergrund zu stellen. Wir brauchen volle Lohnzahlung bei Kurzarbeit. Wir brauchen zusätzliches Geld für Masken. Wir brauchen Hilfe im Fall von Quarantäne. Wir brauchen mehr Unterstützung für Kinder und den Wegfall von Prüfungs- und Leistungsdruck, solange nur Distanzunterricht möglich ist. Die Linke muss aufzeigen, dass es in der Gesellschaft genügend Reichtum gibt, um diese Maßnahmen zu finanzieren. Und wir brauchen Schutz vor Corona in den Betrieben auch dort, wo dies die Profite schmälert. An dieser Stelle – dem betrieblichen Arbeitsschutz – werden sich die betrieblichen Konflikte zuspitzen, und hier kommt es zentral auf die betriebliche Durchsetzungsfähigkeit an.

Laufenlassen, stabilisieren oder Perspektive Null?

Zugleich würde ein Laufenlassen der Pandemie gerade für diejenigen Teile der Arbeiterklasse, die am stärksten durch den Lockdown betroffen sind, die schwerwiegendsten Folgen haben. Sie würden sich als Friseure, Kassiererinnen, Restaurantangestellte als erste infizieren und in vielen Fällen das Virus an ihre stärker gefährdeten Eltern oder Großeltern weitertragen. Diese Option, die von Teilen des Kapitals bevorzugt wird, steht den Interessen aller Teile der Arbeiterklasse entgegen.

Eine zweite Option ist der Versuch, die Verbreitung des Virus auf eher hohem Niveau zu stabilisieren. Doch das Virus hat sich bisher nicht davon überzeugen lassen, stabil zu bleiben. Das Resultat ist ein Lockdown-Jo-Jo mit ständiger Unsicherheit und wesentlichen Bereichen, insbesondere Bewirtschaftung, Reisen und Kultur, die trotz unterschiedlicher Intensität des Lockdowns dauerhaft geschlossen bleiben. Das ist ebenfalls eher für die Menschen im Homeoffice als für die Kellnerinnen und Kellner eine Perspektive!

Es bleibt also die dritte Perspektive: Ein konsequenter Lockdown, der bis zu einer Situation durchgehalten wird, in der durch Kontaktverfolgung und gegebenenfalls örtliche Maßnahmen eine Stabilisierung der Virusverbreitung tatsächlich erreicht werden kann. Das Ziel ist dabei, die Zahl der Infektionen auf null zu drücken, auch wenn wegen verschiedener unvorhergesehener Ausbrüche dieses Ziel nie ganz zu erreichen sein wird. Aber wenn die Zahl der Infektionen allgemein sehr niedrig ist, dann können auch Restaurants und die meisten Kultureinrichtungen wieder öffnen.

Ein konsequenter Lockdown kann kurz sein

Ein solcher Lockdown ist nicht „unbestimmt“ im Sinne von monatelang oder länger. Die besonders riskanten Arbeitsstätten sind in ihrem Charakter inzwischen weitgehend bekannt. Diese müssen – in der Tat durch staatliche Behörden – geschlossen werden. In anderen Fällen wird es betriebliche Auseinandersetzungen um Arbeitsschutz auch gegen Corona geben. Im ÖPNV muss es ein Maskengebot und ein Telefonierverbot geben, das auch durchgesetzt wird. Der ÖPNV wäre auch ein guter Ort, FFP2/KN95-Masken kostenlos auszugeben – die Maske wird mit dem Fahrpreis oder der Monatskarte mitgekauft.

Ein konsequenter Lockdown wäre vermutlich sogar kürzer als der jetzige Lockdown. Portugal erreicht – mit der neuen, mutmaßlich infektiöseren Variante – aktuell eine Reproduktionszahl von 0,7. Das bedeutet: Reduktion der Fälle um die Hälfte in jeder Woche. Nach fünf Wochen bedeutet das eine Verringerung der Fälle auf etwa 3 Prozent. Aus einer Inzidenz von 60 würde so in etwa einem Monat eine Inzidenz von 2. Dann können auch Restaurants und Theater wieder öffnen. Und wenn es gelingen sollte, mit regionalen Maßnahmen die Inzidenz weiter zu drücken, dann können auch große Konzerte und Konferenzen wieder stattfinden – die aktuellen Bilder aus Wuhan zeigen, dass dies prinzipiell möglich ist.

Ein konsequenter Shutdown muss also nicht heißen, alle Betriebe zu schließen und die Beschäftigten vereinzelt allein zu lassen. Er kann nur gelingen, wenn Menschen in schwierigen Situationen Hilfe erhalten. Klar ist: Finanzielle Hilfen allein können die Nachteile derer, die in prekären Situationen leben und durch den Shutdown von der Arbeitswelt abgeschnitten werden, nicht vollständig auffangen. Es gilt aber auch: Ein Kind, das in fünf Wochen Shutdown wenig schulische Fortschritte macht, ist deswegen nicht verloren – Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Prüfungen für längere Zeit ausgesetzt werden, weil es genau diese Prüfungen sind, die aus kurzfristigen Lernschwierigkeiten eine Spirale aus Entmutigung, Ausgrenzung und dauernder Lernschwäche oder Lernunwilligkeit entstehen lassen.

Raus aus dem Lockdown-Jo-Jo

Wenn der Schwerpunkt auf die Erkennung und Bekämpfung von Corona-Risiken auch in der Arbeitswelt gelegt wird, wenn eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Durchführung und gesellschaftliche Begleitung der notwendigen Betriebsschließungen nicht nur in den „schwachen“ Freizeitbranchen, sondern überall in der Arbeitswelt geführt wird, dann kann ein konsequenter Lockdown mit der Perspektive auf „Null Infektionen“ die drückende und demoralisierende Atmosphäre des Lockdown-Jo-Jos beenden und dabei helfen, Handlungsfähigkeit zu gewinnen.

Von Christian Schröppel.

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