Haus besetzt – Nachbarschaftszentrum geplant

Hausbesetzung sind schon lange nicht mehr an der Tagesordnung, vor wenigen Tagen haben in Bochum Aktivistinnen und Aktivisten nun ein leerstehendes Haus besetzt. 

Ein Bericht von der Besetzung und den Zielen der Aktiven

Für Mieterinnen und Mieter bleibt oft nur noch die Option, woanders hinzuziehen. An Stadtränder, in prekäre Viertel. Besonders die Großstädte sind betroffen. Stuttgart, Frankfurt am Main und München sind die Spitzenreiter, hier werden für einen Quadratmeter bis zu 16€ bezahlt. Die Preisentwicklungen stoßen vermehrt auf Widerstand, so nun auch in Bochum.

In Bochum ist Wohnraum vergleichsweise, die Betonung liegt auf vergleichsweise, bezahlbar, obwohl auch hier die Mieten seit Jahren steigen. In der Hernerstraße 131 wurde am Freitag, den 19ten Mai, ein verlassenes Wohnhaus besetzt. Dieses Haus habe ich am Sonntag, den 21 Mai besucht, ich bin mit einigen Aktivistinnen und Aktivisten ins Gespräch gekommen und habe dort sehr interessante Gespräche geführt. Das besetzte Haus im Bochumer Stadtteil Hamme war von außen bereits deutlich als besetzt zu erkennen. Aus einem Fenster hing eine Antifa-Flagge, vor dem Laden-Lokal im Erdgeschoss des Hauses saßen zwei Männer, die mich herzlich begrüßten. Das ganze Haus sah sehr alt aus, es standen außerdem einige Leute mit Szene-Kleidung, und war deshalb nur unschwer zu erkennen, dass ich meinen Zielort erreicht hatte. Dort sollte ein Fest stattfinden, ein Freund erzählte mir davon und lud mich zu der Veranstaltung ein, die diesen Sonntag stattfinden sollte.

Als ich in den Hof des Hauses ging, wo das Fest stattfand, fand ich dort dutzende Leute vor, alle relativ jung und wie ich später erfahren sollte, war es für nicht wenige das erste Mal, dass sie sich in irgendeiner Weise politisch betätigten. Das Lagerfeuer, um das sich mindestens ein Dutzend versammelt hatte, bekam ich leider nur aus der Ferne zu sehen. Ich war zu beschäftigt damit, nach irgendjemandem zu suchen, dem ich ein paar Fragen stellen konnte. Etwas verwundert und positiv überrascht war ich, als sich herausstellte, dass es eine Pressesprecherin gab und schon jemand vor mir hier war, um über das Projekt zu schreiben. Wir setzten uns auf einige Bierkästen und sie fing an mir von sich zu erzählen, ihr selbstgewählter Name sei Bianca Setzer, kurz B.Setzer, und nach einer geplatzten Demo für bezahlbaren Wohnraum, sei es zu der Besetzung gekommen. Andere Aktivistinnen und Aktivisten machten laut B.Setzer die Gruppe auf das leere Haus aufmerksam, dieses soll anschließend besichtigt worden sein.

Protest gegen Mietwahnsinn und Wohnungsleerstand

B.Setzer beschrieb die Gruppe, die hierfür verantwortlich war, als sehr losen Bekanntenkreis, der nach der Besichtigung erst ein Plenum zu dem Thema gemacht und anschließend Vorbereitungen getroffen haben soll.

Als ich sie nach dem Grund frage, antwortet sie mir, es gehe um die Errichtung eines Nachbarschaftszentrums für kulturelle Zwecke und soziale Hilfe. Außerdem gehe es ihr um faire Mieten, den massiven Leerstand und die Situation von Geflüchteten. Am ersten Tag nach der Besetzung wurden einige Grundsatzfragen geklärt, erklärt mir B.Setzer, während ich mir Gedanken darüber mache, wie man so ein Haus eigentlich besetzen soll. Jetzt, am Sonntag, solle eine Feier die Gemüter aufhellen, sie fände den Moment grade auch sehr schön.

Die Grundsatzfragen, die geklärt wurden, beinhalten zum Beispiel den Umgang mit der Nachbarschaft betont die Pressesprecherin. Sie betonte an der Stelle noch einmal, wie wichtig es ihr sei, dass dieses Zentrum ein ideologisch barrierefreier Anlaufpunkt für die Nachbarschaft werde, andere „linksradikale“ Zentren seien “von der Szene für die Szene gemacht“, es solle aber aus der Filterblase ausgebrochen werden. Sie führte allerdings auch aus, dass sie diese trotzdem unterstützt. Zentraler Punkt sei die Selbstermächtigung, also Dinge einfach selber tun, die normalerweise Aufgabe des Staates sein. Als wir auf die Finanzierung des Projektes zu sprechen kamen, lächelte sie gleich und fing an von Sachspenden, die Nachbarn getätigt hätten, zu erzählen. Außerdem würde es Geld- und Sachspenden aus Reihen der Anwesenden geben.

Besichtigung durch das Haus

Als auch diese Frage beantwortet war, fragte ich sie nach einer kleinen Besichtigung des Hauses. Sie stimmte zu und wir kletterten auf einer überraschend stabilen Leiter in ein Fenster im ersten Stock, wo ich gleich auf einen Maskierten traf, der mich freundlich grüßte und Platz machte, damit ich die mit Kerzen beleuchteten Treppen hinauf gehen konnte. Strom gebe es noch keinen, erklärte mir Bianca lachend, als ich verwundert die Kerzen anstarrte. Nur eine Wohnung war zu dem Zeitpunkt meiner Anwesenheit offen, eine geräumige Wohnung. Ich konnte mir zu dem Zeitpunkt kaum vorstellen, wie die jemand freiwillig verlassen würde. Sie war ebenfalls mit Kerzen beleuchtet. Im Flur fiel mir sofort eine anarcho-kommunistische Fahne auf. Auch ein Raucherraum, der als solcher explizit gekennzeichnet wurde, fiel mir sofort auf. Es fehlte eine Tür, die abgegrenzt hätte. Hier saßen einige Leute am offenen Fenster und bemerkten uns kaum.

Ich bekam eine kleine Führung durch die Wohnung, der Raucherraum und der Plenarraum waren die beiden größten, es gab noch einen Entspannungsraum in dem 2 Menschen schliefen, sowie einen Materialraum. Hier stieß ich auf zwei Besetzer, die am Fenster saßen und Ausschau hielten. Es war das Fenster, aus dem die Antifa-Flagge hing. Auf die Frage hin, warum hier permanent Ausschau gehalten wurde, erklärte mir B.Setzer, dass eine permanente Räumungsgefahr bestand. Wir verließen die Wohnung auf dem selben Weg wie wir gekommen waren. Als nächstes betraten wir den Dachboden, hier lag eine unüberschaubare Ansammlung an Material, die sich nur schwer erkennen ließ. Der Dachboden war allerdings äußerst geräumig und wahrscheinlich für größere Ansammlungen von Menschen, Partys etc. geeignet.

Als wir den Dachboden verließen, fragte ich sie, warum die Mieterinnen und Mieter hier ausgezogen seien. Sie antwortete mir, dass es an Feuchtigkeit im Gebäude läge und das Haus seit neun Monaten leer stehen würde. Gleichzeitig sprach sie über die Bereitschaft der Besetzerinnen und Besetzer, das Gebäude zu sanieren und dauerhaft bewohnbar zu machen. Ich klemmte mir meinen Schreibblock zwischen die Zähne und kletterte langsam die Leiter runter, was sich als schwierig gestaltete, schließlich war es schon spät. Unten angekommen bedankte und ich mich herzlich und verabschiedete mich von der Pressesprecherin.

Für eine nichtkommerzielle Kultur

Ich entschloss mich, mit anderen Leuten ins Gespräch zu kommen, ich wollte wissen, wie die Stimmung so war und wer diese Menschen eigentlich so waren. Mein erster Gesprächspartner war ein Richard aus Bochum, wahrscheinlich Mitte 30. Er erzählte mir, dass ihn der Leerstand und die Mietpreissteigerungen motiviert hätten sich zu beteiligen. Ihm ging es außerdem um Freiräume für nichtkommerzielle Kultur, sowie selbstorganisierte Sozialhilfe. Richard erzählte mir begeistert, wieviele Leute er kennengelernt habe, die er ansonsten nie getroffen habe. Er war des Weiteren der Auffassung, es sei ein Querschnitt durch die Gesellschaft versammelt. Mitten während des Gespräches tauchte die Polizei auf, vier Streifenwagen standen vor der Tür, Unruhe machte sich breit. Richard hingegen trank noch einen Schluck Bier und sagte mir, das wäre “alles halb so wild“, denn “Der Westen“ hätte geschrieben, die Polizei wollte das Haus diese Woche noch nicht räumen.

Tatsächlich wurden das Fest und Haus nicht geräumt, aber während meines Gespräches mit meinem zweiten Besetzer*innen-Bekanntschaft, der “Wusa“ genannt werden wollte, wurde das Fest wegen einer Beschwerde wegen Ruhestörung abgebrochen. Er setzte sich mit seinem Bier gemütlich zu mir, als ich ihn fragte, ob er ein paar Minuten hätte. „Wusa“, nach eigener Definition ein Anarchist, wolle alternative Wohnprojekte unterstützen und sei besorgt darüber, dass das Ruhrgebiet in der Außenwahrnehmung auf die negativen Seiten, zum Beispiel Dortmunder Nazi-Viertel, reduziert werde, weswegen er mithelfen wolle ein Zeichen zu setzen. Er habe durch Twitter von der Besetzung erfahren und sei gleich begeistert gewesen, vor Ort fühle er sich sehr wohl und es gebe hier eine starke weltanschauliche Vielfalt.

Einen Ort der Kultur schaffen, der nicht nur Linke zusammenbringt

An dieser Stelle wurde das Fest abgebrochen. Ich konnte mich allerdings noch mit einer dritten Person, diesmal einer Frau, unterhalten. Ihr Name war Lili und sie schreibe selber, allerdings für ihren eigenen Blog. Twitter und Freundinnen und Freunde seien ihre Informationsquellen gewesen, ihre Motive seien etwas anders, sagte sie. Es gehe darum, neben dem Sozialen Zentrum und dem Alsenwohnzimmer noch einen Ort für linke Projekte zu haben. Ich fragte sie, ob sie sich Gedanken gemacht habe, wie es weitergehen soll. Sie erzählte mir ausführlich darüber, dass sie sich bereits Gedanken gemacht habe und welche. Es war die Rede von sozialen und kulturellen Aktivitäten, für die sie das Ladenlokal im Erdgeschoss nutzen wollte, von erschwinglichem Wohnraum sowie großen Versammlungen. Das Gespräch wurde mehrmals unterbrochen, um uns herum bauten Leute die Tische und Stühle im Innenhof weg. Wir entschlossen uns, es dabei zu belassen, ich erfuhr allerdings noch, dass diese Ideen große Zustimmung innerhalb jedes Plenums haben sollen. Ich verabschiedete mich und machte mich auf den Weg nach Hause.

Für die Umsetzung der Ideen ist in diesem Haus definitiv genug Platz. Es eignet sich auch für sportliche Aktivitäten, sowie auch Musik und eventuell Kabarett oder dergleichen. Platz ist dort wirklich mehr als genug, doch diesen Platz auch herzurichten ist kein leichtes Unterfangen, die Unterstützung von mehr Leuten wäre dringend notwendig. Ich finde, Linke sollten solche Gelegenheiten nutzen, sowohl um mit der Nachbarschaft ins Gespräch zu kommen als auch um ein Zeichen für bezahlbaren Wohnraum und nichtkommerzielle Kultur zu setzen. Der große Leerstand lädt förmlich dazu ein, solche Aktionen durchzuführen. Projekte wie diese könnten außerdem den Effekt haben, dass Linke strömungsübergreifend miteinander kooperieren, statt sich gegenseitig Beinchen zu stellen.

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