Georgiens „Gesetz über ausländische Agenten – Wirtschaft, Politik und Geopolitik

Am 28. Mai hat das georgische Parlament das Veto des Präsidenten gegen das umstrittene „Gesetz über ausländische Agenten“ überstimmt. Das von der Regierungspartei Georgischer Traum (GD) im März 2023 auf den Weg gebrachte Gesetz musste aufgrund von Gegenreaktionen bald wieder zurückgezogen werden.

In diesem Jahr jedoch hat die GD ihr Ziel erreicht. Das Gesetz sieht die obligatorische Eintragung aller „nicht-unternehmerischen (nicht-kommerziellen) juristischen Personen“ sowie von „Rundfunk- und Printmedienunternehmen“ in ein spezielles staatliches Register für „Organisationen unter ausländischem Einfluss“ vor, wenn sie mindestens 20 % ihrer Einkünfte aus dem Ausland beziehen. Darüber hinaus räumt das Gesetz dem Justizministerium das Recht ein, jede Art von Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, zu überwachen und anzufordern, und zwar auf der Grundlage der „Entscheidung einer zuständigen bevollmächtigten Person“ oder „eines schriftlichen Antrags an das Justizministerium“ – mit anderen Worten: Denunziation. Das Gesetz weist Ähnlichkeiten mit dem 2012 verabschiedeten russischen Gesetz über ausländische Agenten auf, obwohl das Gesetz in Russland aufgrund mehrerer Änderungen in den letzten 12 Jahren viel repressiver und umfassender ist. Nach den Änderungen im Jahr 2022 richtet sich das russische Gesetz über ausländische Agenten nun nicht mehr nur an Einzelpersonen, sondern auch an Organisationen, und die Gründe für die Anerkennung einer Person als „ausländischer Agent“ umfassen nicht nur die Finanzierung aus dem Ausland, sondern auch den weitaus zweideutigeren „ausländischen Einfluss“ und „ausländische Unterstützung“. Obwohl der von der GD vorgeschlagene Entwurf in seiner ursprünglichen Form nicht so weit geht, wird allgemein befürchtet, dass er bereits die Grundlagen für eine solche Entwicklung in naher Zukunft legt. Dieses Gesetz hat in Georgien breite Proteste in der Bevölkerung ausgelöst und zu einer noch nie dagewesenen Konfrontation zwischen der georgischen Regierung und ihren wichtigsten politischen Partnern – der EU und den USA – geführt.

In diesem Text werde ich nicht näher auf die Kritik an den vom Westen unterstützten einflussreichen NRO (Nichtregierungsorganisatonen) eingehen, die in den letzten drei Jahrzehnten eine wichtige Rolle bei dem laufenden „neoliberalen Experiment“ in Georgien gespielt haben. Stattdessen werde ich vielmehr die Hintergründe skizzieren, die Georgiens Machthaber in die Lage versetzen, trotz des immensen nationalen und internationalen Drucks solch durchsetzungsfähige und aggressive Schritte zu unternehmen. Diese Ereignisse spiegeln viel mehr wider als das, was üblicherweise mit simplen Schlagwörtern wie der „populistischen konservativen Wende“ der Liberalen oder dem „Streben nach Souveränität“ der Konservativen beschrieben wird. Um die kühnen Schritte der Regierungspartei und ihres Schirmherrn, des Oligarchen Bidzina Iwanischwili, ehemaliger Premierminister Georgiens, Gründer und Schattenchef der GD-Partei seit 2012, zu interpretieren und die Komplexität der aktuellen georgischen Politik zu beleuchten, schlage ich vor, zwei Hauptdimensionen zu betrachten: die innenpolitisch-wirtschaftliche und die außenpolitische. Die Kombination aus der beherrschten innenpolitischen Landschaft Georgiens und der zunehmenden geopolitischen Bedeutung des Landes bildet den Boden für eine derart repressive und riskante Innen- und Außenpolitik der herrschenden Klasse Georgiens.

Das georgische neoliberale Experiment und seine aktuelle Form

Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1991 erlebte Georgien, genau wie Russland und andere ehemalige Sowjetrepubliken, einen gewaltigen wirtschaftlichen Wandel. Die radikale liberale Wirtschaftspolitik und die als „Schocktherapie“ bekannte Privatisierungswelle in den postsowjetischen Ländern während der 1990er Jahre führten zu einer wirtschaftlichen Rezession, einer regressiven Umverteilung des Reichtums, einer Hyperinflation, Korruption, dem Verfall der produktiven Sektoren der Wirtschaft und der Entstehung einer neuen kapitalistischen Führungsschicht. Dieser Prozess wurde in den 2000er Jahren nach der Rosenrevolution auf die Spitze getrieben. Trotz des Wechsels der politischen Führung hat sich der Entwicklungspfad der wirtschaftlichen und sozialen Struktur des postsowjetischen Georgiens nicht geändert. Das Ausmaß der Privatisierung, der Verkleinerung des öffentlichen Sektors, der Steuersenkungen und der Liberalisierung der Handels- und Arbeitsmarktvorschriften im Zeitraum 2004-2012 wurde als „eines der radikalsten neoliberalen Experimente aller Zeiten“ bezeichnet. Trotz des Wirtschaftswachstums in den Jahren 2003-2007 und 2010-2012 hat die Wirtschaftspolitik des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili und seiner Partei der Vereinigten Nationalen Bewegung (UNM) die grundlegenden Probleme der georgischen Arbeiterklasse – Arbeitslosigkeit, Armut, ungleiche Verteilung des Wohlstands und Rückständigkeit der nationalen Wirtschaft – nicht angegangen. Bis heute ist Georgien das Land mit der größten Ungleichheit in der Region. Außerdem sind solche neoliberalen Experimente in der Regel auf einen starken Repressionsapparat angewiesen. Die „Null-Toleranz-Politik“, die systematische Gewalt in den Gefängnissen und das unter Micheil Saakaschwili geschaffene brutale Polizeiregime spielten eine wichtige Rolle beim Sturz der UNM, was 2012 zum Sieg von Bidzina Iwanischwili und seiner Partei führte, die aus den Fehlern und skandalösen Verbrechen ihrer Vorgänger Kapital schlugen.

Seit 2012 hat sich das georgische politische Wirtschaftssystem mit einigen wichtigen und neuen Besonderheiten entwickelt. Im Folgenden möchte ich auf die Besonderheiten eingehen, die nicht nur miteinander verwoben sind, sondern uns auch helfen, die jüngste Dynamik und die selbstbewusste Wende der derzeitigen georgischen Machthaber zu verstehen.

Das erste Merkmal ist die starke Konzentration der wirtschaftlichen Macht. Iwanischwili, dem reichsten Mann des Landes, ist es gelungen, die Monopolkontrolle über die nationale Wirtschaft zu übernehmen und das Großkapital zu konsolidieren, das die wichtigsten Zweige der nationalen Wirtschaft repräsentiert. In bestimmten Schlüsselsektoren wie dem Bank- und Finanzwesen geht dies Hand in Hand mit einem extremen Monopolisierungsprozess (über 70 % des Sektors werden von zwei Banken besetzt) und der Korruption der Elite. Die fast einmütige Unterstützung des „Gesetzes über ausländische Agenten“ durch die wichtigsten Kapitalisten Georgiens – vom Bau- bis zum Energiesektor – war keine Überraschung.

Das zweite Merkmal ist die Konzentration der politischen Macht im Rahmen einer, wie Samir Amin es nennt, „Demokratie niedriger Intensität“. Das georgische politische System ist nämlich ein lokales Randbeispiel eines liberalen Mehrparteiensystems ohne echte demokratische Prozesse, in dem das gesamte Spektrum der politischen Elite das nationale oder internationale Großkapital repräsentiert – im Fall der GD unter dem reichsten Oligarchen des Landes. In diesem Rahmen des so genannten „demokratischen Betrugs“ ist es der GD-Partei zudem gelungen, den öffentlichen politischen Prozess weiter zu verarmen und in zwei Zentren zu polarisieren, eine falsche Opposition zwischen der „guten“ Regierungspartei und der „kollektiven nationalen Bewegung“ – ein von den GD-Propagandisten geprägter Oberbegriff, der sich auf die frühere Regierungspartei (UNM) bezieht, die nun politisch bankrott ist und derzeit in der Opposition sitzt. Das Ziel ist klar: Jeder mögliche Widerstand gegen ihre Politik soll als Ableger des früheren Regimes von Saakaschwili abgestempelt werden. Infolgedessen sind die Wahlen für die normalen Bürger keine Möglichkeit, an einem echten demokratischen Prozess teilzunehmen, der die Grundlagen des politisch-wirtschaftlichen Systems von ihren eigenen materiellen und Klasseninteressen aus in Frage stellen würde. Infolgedessen sind die Wahlen für die normalen Bürger keine Möglichkeit, an einem echten demokratischen Prozess teilzunehmen, der die Grundlagen des politisch-wirtschaftlichen Systems von ihren eigenen materiellen und Klasseninteressen aus in Frage stellen würde.

Stattdessen leert die von der Regierungspartei vorangetriebene ständige falsche Polarisierung und Sündenbocksuche die politische Arena und stellt eine existenzielle Bedrohung für jede mögliche fortschrittliche Bewegung außerhalb dieses binären Systems dar. Sollte das „Gesetz über ausländische Agenten“ verabschiedet werden, könnte es zu einem weiteren Instrument im Arsenal von Iwanischwili und der Regierungspartei werden, um demokratische Prozesse zu umgehen.

Iwanischwili und die Regierungspartei dominieren nicht nur das wirtschaftliche und politische Leben im Lande, sondern haben auch ein weiteres Druckmittel, das über die Grenzen des Nationalstaates hinausgeht. Dazu sollten wir einen Blick auf die gegenwärtige Geopolitik in der Region werfen.

Georgien an der Kreuzung von Ost und West

Nach Wallersteins Weltsystemanalyse befindet sich die heutige Welt seit Ende der 1960er Jahre in einer „Strukturkrise“. Die „Krise“ beinhaltet eine Reihe von qualitativen Veränderungen, und dieser Prozess kann viele Jahrzehnte dauern, bis sich das System langsam in einen neuen Rahmen und einen neuen Zustand des Gleichgewichts einfügt. Das Entstehen neuer Volkswirtschaften aus der globalen Peripherie (Indien, Brasilien usw.) und vor allem der Aufstieg Chinas zu einer globalen Supermacht führen zu geopolitischen Ungleichgewichten in der ganzen Welt. Der Wandel Chinas von einem Land an der Peripherie zu einem neuen Zentrum der Kapitalakkumulation und seine wirtschaftliche Stärke gegenüber Europa – dem traditionellen globalen kapitalistischen Kern – hat starke Auswirkungen auf die politisch-ökonomische Landschaft auf dem gesamten Kontinent. Ehrgeizige transnationale Initiativen wie der „Belt and Road“ signalisieren die neue Rolle Chinas in der Weltwirtschaft und spiegeln die primären Ziele der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wider – den Aufbau globaler Infrastrukturnetze, Handelswege und Wertschöpfungsketten, die Erschließung neuer Märkte und die Sicherung der für die chinesische Wirtschaft wichtigen natürlichen Ressourcen. Wir erleben, wie dieser historische Prozess auch die politische Ökonomie und Geopolitik im postsowjetischen Raum, einschließlich der Südkaukasusregion, erschüttert.

Diese Verschiebungen an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien verleihen Georgien eine außerordentliche geopolitische Bedeutung. Trotz diplomatischer Spannungen in bestimmten Fragen hat der Handel zwischen China und der EU seit 2013 stetig zugenommen und erreichte 2022 mit einem Gesamttransfer von Waren und Dienstleistungen in Höhe von fast 950 Milliarden Euro (durchschnittlich 1,8 Millionen Euro Handelsaustausch pro Minute) seinen Höhepunkt. Der Handel zwischen China und der EU verlangsamte sich jedoch im Jahr 2023, während für 2024 eine Erholung erwartet wird. In der Zwischenzeit hat der Krieg in der Ukraine sowohl für Europa als auch für China viel verändert. Vor dem Krieg wurden mehr als 80 % des Landhandels zwischen Europa und China über die „Nordroute“ abgewickelt, d. h. über Russland und Belarus. Der Krieg in der Ukraine macht diese Route nicht nur weniger attraktiv für den globalen Handel, sondern motiviert China auch, seine Exportrouten zu diversifizieren, und zwingt die EU, sich mit ihrer Abhängigkeit von Russland auseinanderzusetzen, um Europas strategische Verwundbarkeit zu verringern und seine Sicherheit zu stärken. Eine solche Wendung der Ereignisse verleiht dem Südkaukasus, genauer gesagt dem so genannten „Mittleren Korridor“ – der kürzestmöglichen Landroute, die derzeit entwickelt wird und China über die Regionen Zentralasien und Südkaukasus mit Europa verbindet – erhebliche geopolitische Bedeutung.

Im Jahr 2022 unterzeichneten die türkischen, georgischen, aserbaidschanischen und kasachischen Behörden einen gemeinsamen „Fahrplan“, in dem die vorrangigen Investitionen und Maßnahmen für die Entwicklung der Infrastruktur des Korridors aufgeführt sind, während einige der wichtigsten westlichen internationalen Finanz- und Investitionsinstitutionen (EBWE, EIB, ADB, WB) ihr Interesse und ihre Bereitschaft zur Unterstützung des Projekts bekundeten. Im Oktober 2023 bestätigte Xi Jinping, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, in einer seiner offiziellen Reden, dass die Entwicklung des Mittleren Korridors eines der Hauptziele der Gürtel- und Straßeninitiative ist. Die im Sommer 2023 zwischen China und Georgien unterzeichnete strategische Partnerschaft war eine diplomatische Manifestation der gemeinsamen geopolitischen Interessen beider Parteien.

Darüber hinaus ist die EU seit der russischen Invasion in der Ukraine verzweifelt bemüht, „den russischen fossilen Brennstoffen den Rücken zu kehren und sich in Richtung zuverlässiger Energiepartner zu diversifizieren“, um es mit den Worten von Bundespräsidentin Ursula von der Leyen zu sagen. Die EU setzt bei der Energiesicherheit auch auf Georgien und das Schwarzmeer-Energie-Unterseekabel, ein in Entwicklung befindliches Projekt, das Strom durch Aserbaidschan, Georgien und das Schwarze Meer nach Europa leiten soll. Derzeit plant die EU-Kommission Investitionen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro für das Projekt.

Neben der Ausnutzung der geostrategischen Lage des Landes haben die georgischen Behörden ehrgeizige Pläne zur Verdoppelung der nationalen Energieproduktion bis 2033, wobei ein wesentlicher Schwerpunkt auf Wasserkraftwerken liegt. Vier große und zahlreiche kleinere Wasserkraftwerke sollen im Zeitraum 2023-2033 gebaut werden. Das größte Hindernis für große Infrastrukturprojekte ist der Widerstand der lokalen Bevölkerung. Der Bau des Wasserkraftwerks Khudoni wurde in den 1980er Jahren durch eine solche Mobilisierung gestoppt. Das umstrittene und fragwürdige Projekt der Namachwani-Kaskade wurde aufgrund des erfolgreichen Widerstands der Bevölkerung gestoppt, der in seiner Entstehung, seinem Inhalt und seinem Ausmaß in der Geschichte der Proteste im heutigen Georgien unerwartet und beispiellos war. Die Proteste der Bevölkerung brachen aus, nachdem die Vereinbarung zwischen dem georgischen Staat und dem türkischen Unternehmen ENKA Renewables im Jahr 2021 bekannt geworden war. Das Abkommen räumte dem Unternehmen nahezu unbegrenzte Rechte an den natürlichen Ressourcen des Rioni-Tals ein und belastete den Staat mit erheblichen finanziellen Verpflichtungen. Die GD-Mitglieder erklärten wiederholt, dass das Gesetz über ausländische Agenten„ die Öffentlichkeit über die ausländischen Kräfte informieren wird, die daran interessiert sind, das Namakhvani HPP-Projekt zu sabotieren, um die Energiesicherheit des Landes anzugreifen“.

Hier können wir die wahre Gefahr leicht erkennen, denn die Rioni Valley Defenders (die lokale Basisbewegung gegen das Namakhvani HPP) wurden weder vom Ausland finanziert, noch waren sie eine NRO. Es ist nicht schwer vorherzusagen, wie dieses Gesetz nicht nur einige einflussreiche, vom Westen unterstützte liberale NRO ins Visier nehmen wird, sondern alle möglichen fortschrittlichen politischen Bewegungen: von unabhängigen Gewerkschaften, die versuchen, jenseits des Einflusses des gelben Gewerkschaftsbundes zu agieren, bis hin zu ökologischen Basisbewegungen, die sich transnationalen und nationalen Kapitalinteressen widersetzen.

Fragen zum „Gesetz über ausländische Agenten“

Was sind die primären Beweggründe für das „Gesetz über ausländische Agenten“? Spielt Moskau eine zentrale Rolle in diesem Prozess mit dem Ziel, die georgische Politik zu manipulieren und die EU-Integration des Landes zu sabotieren? Wenn diese liberale Mainstream-Version zutrifft, driftet die georgische Regierung absichtlich und strategisch vom Westen weg und verbündet sich mit Russland, oder tut sie dies unter der Drohung und Manipulation des Kremls? Ist die Konfrontation mit der EU und den USA Teil des Spiels des größten georgischen Oligarchen, um den westlichen Mächten etwas abzutrotzen“ und sich dabei auf die geopolitischen Vorteile des Landes zu verlassen? Vielleicht eine Garantie dafür, die bevorstehenden Parlamentswahlen ohne ernsthaften Druck von außen zu überstehen? Kann Iwanischwilis eigenes Geld – 2 Milliarden US-Dollar, die vom Westen eingefroren wurden – als Teil einer umfassenderen „De-facto-Sanktions- und Erpressungsstrategie“, um Premierminister Irakli Kobachidse zu zitieren, eine wichtige Rolle bei solchen Verhandlungen spielen? Oder ist es vielleicht das zentrale Ziel, jede mögliche Opposition gegen die politische Macht der GD-Partei durch ein solches Rechtsinstrument zum Schweigen zu bringen und zu unterdrücken?

Einige Details sind klarer, andere weniger klar. Wir sollten nicht voreilig sein und uns ausschließlich auf eine einzige Variable konzentrieren und automatisch alle anderen ausschließen. Gleichzeitig bildet die Kombination interner und externer Faktoren einen Grund für die selbstbewusste Wende der georgischen Regierungspartei und ihres Chefs. Meines Erachtens zwingt uns die Fähigkeit, mit Hilfe geopolitischer Hebel und einer homogenisierten politisch-ökonomischen Landschaft heimlich und selbstbewusst „den Westen auszutauschen“, dazu, Parallelen zu Georgiens Nachbarland Aserbaidschan zu ziehen, nicht zu Weißrussland, wie es häufiger der Fall ist. Eine dominierte innenpolitische Arena ermöglicht es der monopolistischen herrschenden Klasse Aserbaidschans, ihre Konkurrenten zu unterdrücken und die Bildung jeglicher Art von Opposition, einschließlich einer Zivilgesellschaft nach westlichem Vorbild, zu verhindern. Gleichzeitig ermöglichen es die geopolitischen Vorteile und – was noch wichtiger ist – die natürlichen Ressourcen denselben Eliten, mehr oder weniger stabile und feste Finanz-, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit Europa zu unterhalten. Es stimmt, dass pro-westliche liberale NGOs – die zu den Architekten und Schiedsrichtern der postsowjetischen neoliberalen kapitalistischen Reformen gehören – teilweise für die derzeitige politisch-wirtschaftliche Landschaft in Georgien verantwortlich sind, die sich in einer extrem monopolistischen Phase befindet.

Die dem Kapitalismus innewohnende monopolistische Tendenz wurde nicht nur von Marx und Engels, sondern auch von den heutigen Mainstream-Ökonomen festgestellt. Diese Tendenz wird im postsowjetischen Raum aufgrund des Charakters des Kapitalismus, der herrschenden Klasse und der instabilen politischen Institutionen noch verschärft. Dennoch sind wir gezwungen, über die traditionelle Kritik an den USA und der von der EU unterstützten liberalen, marktwirtschaftlichen Zivilgesellschaft hinauszugehen und die sich abzeichnende Gefahr der gegenwärtigen Situation zu erkennen. Außerhalb der einflussreichen NRO sind in Georgien bis zu 40.000 kleinere Nichtregierungsorganisationen registriert. Als reine Rechtsform ist die NrO für viele Georgier nicht nur die einzige Möglichkeit des wirtschaftlichen Überlebens, sondern auch die einzige Möglichkeit des bürgerschaftlichen Engagements im weitesten Sinne. Nicht zuletzt stellt das „Gesetz über ausländische Agenten“ in den Händen der lokalen politischen Kapitalistenklasse eine Bedrohung nicht nur für den NRO-Sektor, sondern für einen viel breiteren Kreis von sozial und politisch aktiven Bürgern dar.

Unter diesen Umständen ist das „Gesetz über ausländische Agenten“ alles andere als ein Schritt in Richtung „Entkolonialisierung“ oder „staatliche Souveränität“ (um die offizielle Propaganda zu zitieren), sondern eher ein manipulatives Signal auf internationaler Ebene (z.B. zur Zurückdrängung der so genannten „Entoligarchisierungs“-Agenda, die von der EU mit Hilfe der einflussreichen pro-westlichen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die in Georgien tätig sind, vorangetrieben wird) und ein Instrument der Unterdrückung auf nationaler Ebene, das vor allem ein Ziel verfolgt: den Status quo so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne bedeutet Souveränität nichts anderes als die Sicherung der Monopolkontrolle über den Staat für die Kapitalistenklasse und die Bewahrung dieses Gleichgewichtszustandes vor nationalen und internationalen Bedrohungen. Dieses Argument steht im Gegensatz zu vielen Kommentatoren – von der populistischen Rechten bis hin zu einigen Linken -, die kaum über das Narrativ hinausgehen, das Bidzina Iwanischwili und die GD als Verteidiger der „nationalen Interessen“ im Meer der „ausländischen Agenten“ darstellt.

Ein Beitrag von Giorgi Kartvelishvili ist Mitglied der „Khma“-Bewegung (Stimme). Er promoviert in Moderner und Zeitgenössischer Geschichte und Fernoststudien (Staatliche Universität Tiflis) und hat einen M.A. in Zeitgenössischen Ostasienwissenschaften (Universität Duisburg-Essen). Giorgis Forschungsinteressen gelten der zeitgenössischen chinesischen Politik, dem „globalen Aufstieg“ Chinas und dessen Auswirkungen auf die Region Südkaukasus. Der Beitrag erschien auf Englisch bei lefteast

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Eine Antwort

  1. das neue Gesetz in Georgien ist ein Transparenzgesetz, ähnlich. wie es in den USA schon lange existiert und in Frankreich gerade auf den weg gebracht wurde. Das die EU dagegen so kämpft zeigt wie notwendig es ist.
    was der Autor auch nicht erwähnt, es hat keine Sanktionen, es verlangt lediglich Transparenz woher NGO Geld bekommen. So ein Gesetz wünschte ich mir auch bei uns.

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