Jean Luc Melenchon von der Front de Gauche bei den Demonstrationen

Frankreich: Linker Kandidat Mélenchon auf der Überholspur

Frankreichs Präsidentschaftswahlen galten als entschieden, zumindest für die Medien schien es sicher, dass die Franzosen den neoliberalen Macron und die neofaschistische Le Pen in die Stichwahl wählen. Nach den letzten Umfragen scheint es, dass ein dritter Kandidat das Rennen um die Präsidentschaft aufmischen könnte, die Rede ist von Jean-Luc Mélenchon, dem Kandidaten der französischen Linken.

Melenchon, der vor wenigen Wochen noch bei 11 Prozent lag, hat in allen Umfragen der letzten Tage massiv hinzugewonnen. Schuld an seinen starken Werten ist die letzte TV-Debatte aller französischen Präsidentschaftskandidaten, die Mélenchon für sich entscheiden konnte. Aus der Blitzumfrage, die nach der Debatte durchgeführt wurde, ging Mélenchon mit 25 Prozent klar als Sieger hervor und verwies Macron mit 21 Prozent auf Platz 2 und Le Pen auf die unteren Ränge. Sein Sieg in der Debatte sorgte infolgedessen auch für einen Anstieg in anderen Umfragen, nach denen er inzwischen bei 19 Prozent und somit nur 4 Punkte hinter Macron und Le Pen liegt. Wenn es um den beliebtesten französischen Politiker geht, dann liegt er sogar auf Platz 1, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. 38 Prozent der Franzosen kürten ihn zu ihrem Lieblingspolitiker, Le Pen und Macron liegen bei nur 25 Prozent.

Ursächlich für seinen Erfolg ist aber nicht nur seine starke Medienpräsenz, sondern vor allem sein Programm, welches vielen Menschen in Frankreich an die Zeiten erinnert, in denen die Sozialdemokratie mit den Kommunisten regierte und ein linkssozialdemokratisches Programm hatte. Mélenchon fordert keine sozialistische Revolution und ist auch kein Kandidat, der mit dem Kapital in Gänze brechen würde, doch steht seine Kritik an den Wirtschaftseliten und der neoliberalen Politik hoch im Kurs bei der französischen Bevölkerung.

Für eine sechste Republik

Mélenchons Wahlkampf ist stark auf seine Person zugeschnitten, doch er will das Präsidentenamt nicht um Präsident zu werden, sondern um das Präsidialsystem abzuschaffen. Sein Ziel ist der Übergang zur 6. Republik, in der nicht mehr ein starker Mann entscheidet, sondern das Parlament aufgewertet wird. In der neuen Republik soll allerdings nicht nur der Präsident entmachtet, sondern auch der Bürger ermächtigt werden. So sollen Parlamentarier schon während ihrer Amtszeit abgewählt werden können, um damit eine höhere Verbindlichkeit für Wahlversprechen zu schaffen. Damit einhergeht auch der Kampf gegen Korruption und Bereicherung der Abgeordneten. Sollten diese des Betrugs überführt werden, droht ihnen die lebenslängliche Nichtwählbarkeit. In der neuen Republik soll das parlamentarische System ergänzt werden durch eine Stärkung von Volksentscheiden und Bürgerbeteiligung.

Im Gegensatz zu der jetzigen 5. Republik soll die 6. Republik in den Augen Mélenchons auch eine Republik des Friedens werden, so will er Frankreich aus der NATO führen und mit dem US-Imperialismus brechen. Als Alternative solle Frankreich Bündnisse schließen mit Staaten „die sich weigern, sich den Imperien anzuschließen, um die Souveränität der Völker zu schützen, die über sich selbst bestimmen wollen.“ Welche Staaten das seien sollen, lässt Mélenchon allerdings offen, näher geht er nur auf das Verhältnis zu Russland ein, welches er auf eine friedliche Basis ohne Sanktionen stellen will.

Soziale EU und ein gerechteres Frankreich

EU am Boden. Foto: Derek Bridges, licensed under CC BY 2.0, EU, via flickr.com

Eine Konstante in Mélenchons Leben ist die Ablehnung der neoliberalen EU. Die Zustimmung zur EU-Verfassung durch die sozialistische Partei (Sozialdemokraten), in der er politisch sozialisiert und sogar zum Minister wurde, schuf die Grundlage für seinen Bruch mit der Partei. Auch heute hält er an einer Ablehnung der neoliberalen EU-Verträge fest und fordert deren Neugestaltung. Die EU-Verfassung müsse neu geschrieben, die 3-Prozent Grenze für Staatsschulden und CETA abgeschafft werden, so der Kandidat, andernfalls müsse es ein Referendum über Frankreichs Verbleib in der EU geben. Die EU ist für ihn nur eine Option, falls die anderen Staaten sich einem sozialeren System verweigern, eine die auch abgelehnt werden muss. Wie eine sozialere Gesellschaft in seinen Augen aussieht, skizzieren seine wirtschaftspolitischen Leitlinien. Einkommen sollen auf das 20-fache des Durchschnitts begrenzt und die Steuersätze für die Reichsten massiv erhöht werden, für die Ärmsten soll es dagegen eine Erhöhung der Löhne und verbesserte Sozialleistungen geben. Die Arbeitsmarktregelungen von Präsident Hollande will er zurücknehmen und die Gewerkschaften stärken, ein Gegensatz zur aktuellen sozialdemokratischen Regierungspolitik. Neue Privatisierung will er verbieten lassen und vergangene rückgängig machen. Verbesserungen will er auch in der Umweltpolitik herbeiführen, dazu zählt der Ausstieg aus der Atomenergie und ein ökologischsozialer Wandel, der erneuerbare Energien fördert und 3 Millionen Stellen schaffen soll, durch neue Energien und kürzere Arbeitszeiten. Sein Programm ist somit eins, dass den Ansprüchen einer linken Partei genügt und eines das Frankreichs Wählerinnen und Wähler mobilisiert, doch es regt sich auch Kritik an ihm, nicht nur von Neoliberalen und Rechten, sondern auch von radikaleren Linken.

Nationalist und Imperialist?

Jede Fluchtbewegung hat ihre Hintergründe
Foto: Jimmy Bulanik

Der rechten Kritik an Mélenchon soll sich an dieser Stelle nicht gewidmet werden, spannender ist die linke Kritik an ihm. Deutliche Kritik äußert unter anderem der französische Trotzkist Poutou, der für die antikapitalistische NPA antritt: „Wir denunzieren alle imperialistischen Kriege und kritisieren alle Waffenexporte. Mélenchon positioniert sich anders. Er unterstützt Putin. Für ihn gibt es nur Frankreich, Frankreich, Frankreich. Wir aber sind Internationalisten und wissen, dass es nicht nur Franzosen und Französinnen gibt. Wir wissen, dass es auf der einen Seite die Besitzenden und auf der anderen die gibt, die die Krise zahlen.“ Deutlich ist auch die Kritik an seiner Haltung zu Migranten, so hat Mélenchon unter anderem gesagt: „Die Migranten nehmen den französischen Arbeitern das Brot weg,“ ein Satz der klar chauvinistisch ist und eine nationalistische Position in Bezug auf soziale Fragen offenbart. Die Zeitung Klasse gegen Klasse schreibt dazu: „In einer Zeit, in der Arbeiter*innen mit und ohne Papiere gemeinsam kämpfen müssen, spielt der selbstherrliche Kandidat beide Sektoren gegeneinander aus.“ Kritik gibt es auch an der unklaren Haltung seiner Partei (Front de Gauche) in Bezug auf die Bombardierung Libyens durch die französische Luftwaffe. Kritisch gesehen wird auch seine Haltung zu Islamfeindlichkeit und Rassismus, der französische Sozialist Nick Riemer erklärt: „2011 ging er so weit, Gebete auf der Straße verbieten zu wollen. Somit fehlt ihm die politische Glaubwürdigkeit für eine ernsthafte Opposition gegen anti-muslimische Angriffe.“ Bei einer Kundgebung am vergangenen Sonntag in Marseille vor 70.000 Leuten schien Mélenchon diese Fehler zumindest teilweise rückgängig machen zu wollen, so führte er eine Schweigeminute durch für alle auf dem Mittelmeer Ertrunkenen, ob dies seine Politik langfristig ändert, ist unklar. Auch im Bezug auf staatenlosen Menschen und Flüchtlinge zeigt sich ein Wandel, so will er Asylverfahren und den Zugang zum französischen Pass vereinfachen.

Weniger klar scheint dagegen die Kritik an seinem sozialen Programm, KgK schreibt dazu: „Wie realistisch dieser radikale Bonapartismus von JLM aber ist, für den seine Unterstützer (auf der radikalen Linken natürlich mit Verbesserungsvorschlägen) mit aller Kraft trommeln, ist fragwürdig.“ Eine klare Kritik an seinen sozialen Forderungen, die für einen Linksreformisten relativ weitgehend sind, wird allerdings kaum artikuliert.

Eine andere Position nimmt dagegen Jérôme Métellus von der radikal Linken Gruppe Revolutionein: „Der Platz der Revolutionäre ist in der Massenbewegung, nicht an ihrem Rand. Das marxistische Programm muss dort platziert und offen verteidigt werden.“ Somit bleibt sicher: Mélenchons Programm hat Schwachstellen, insbesondere mit Blick auf seinen Antirassismus und seine internationalistische Position, doch eine Präsidentschaft Mélenchons wäre ein großer Fortschritt für die Arbeitenden und bietet für die radikale Linke Möglichkeiten zum Aufbau. Ob diese Möglichkeit ausreicht und Mélenchon seine sozialen Forderungen wirklich durchsetzt, bleibt eine unsichere Hoffnung.

 

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