Der Mord an Jamal Khashoggi vor einem Jahr erschütterte die Welt. Der Journalist der Washington Post wollte im saudischen Konsulat in Istanbul Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit erhalten – und war nie wieder gesehen. Die brutale Hinrichtung zerstörte vollständig die weltweite Reputation des Kronprinzen Mohammed bin Salman, MbS.
Vieles ist weiterhin unklar. Hier ist, was wir über den Mord an Jamal Khashoggi wissen. Hier sind die Fakten.
Am 2. Oktober 2018 betrat der Journalist Jamal Khashoggi das saudi-arabische Konsulat in Istanbul, um Unterlagen für die bevorstehende Ehe mit seiner türkischen Verlobten Hatice Cengiz zu erhalten. Der 59-Jährige hat das Gebäude nie wieder verlassen.
In den folgenden Tagen erklärten türkische Beamte, Khashoggi – der in der Washington Post kritische Kolumnen über den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) verfasste – sei von 15 saudischen Geheimdienstmitarbeitern getötet und zerstückelt worden.
Riad bestritt zunächst jegliche Kenntnis von Khashoggis Schicksal, ruderte später jedoch zurück und räumte ein, er sei in einer „nichtautorisierten Operation“ getötet worden.
Der Mord löste einen weltweiten Aufschrei aus. Eine Untersuchung der Vereinten Nationen im Juni ergab, dass Khashoggi Opfer einer „absichtlichen, vorsätzlichen Hinrichtung“ geworden sei, für die Saudi-Arabien die Verantwortung trage. Auch ergab die Untersuchung, dass es „ausreichende“ und „glaubhafte“ Beweise gibt, die MbS mit dem Mord in Verbindung bringen.
In einem Interview, das am Montag ausgestrahlt wurde, wies der Kronprinz jegliche Behauptungen von sich, er habe den Mord angeordnet, sagte jedoch, er trage die Verantwortung, da er „unter meiner Aufsicht“ geschah.
Das Folgende sollten wir wissen über diesen Mord, der die Welt erschütterte:
Wer war Jamal Khashoggi?
Khashoggi wurde 1958 in Medina in Saudi-Arabien geboren. Einst stand er der königlichen Familie nahe und hatte den Ruf eines Reformisten.
Er begann seine Karriere als Journalist bei der englischsprachigen Saudi Gazette und berichtete dort über bedeutende Ereignisse wie die sowjetische Invasion in Afghanistan.
Khashoggi arbeitete später als Medienberater für Prinz Turki bin Faisal, den ehemaligen Chef des saudi-arabischen Geheimdienstes und ehemaligen Botschafter des Landes in den USA.
In späteren Jahren trat er für Frauenrechte und Meinungsfreiheit in Saudi-Arabien ein. Im Jahr 2017 ging er ins selbst auferlegte Exil in den USA und sagte, er sei angewiesen worden, „die Klappe zu halten“.
Dort schrieb er eine monatliche Kolumne für die Washington Post, in der er wiederholt die Politik von MbS kritisierte, darunter dessen hartes Vorgehen gegen abweichende Meinungen und dessen Entscheidung, in den Jemenkrieg einzugreifen.
In einem seiner ersten Artikel für die Post prangerte Khashoggi die Verhaftung saudischer Intellektueller unter MBS an und sagte: „Saudi-Arabien war nicht immer so repressiv. Jetzt ist es unerträglich.“
Er identifizierte sich selbst als stolzer saudischer Patriot und lehnte die Bezeichnung Dissident ab.
Was hielt MbS von Khashoggi?
Die New York Times berichtete im Februar, MbS habe 2017 einem Top-Berater gesagt, er würde eine „Kugel“ gegen Khashoggi einsetzen, wenn er nicht nach Hause käme und seine Kritik an der saudischen Regierung einstellen würde.
Unter Berufung auf frühere US-amerikanische und ausländische Beamte, die über direkte Kenntnis der Geheimdienstberichte verfügten, schreibt die Times, MbS habe sich gegenüber einem anderen Berater beschwert, dass Khashoggi zu einflussreich geworden sei und dass seine Artikel und Twitter-Posts das Image des Kronprinzen als vorausschauender Reformer beeinträchtigen würden.
Als der Berater entgegnete, dass jeder Schritt gegen Khashoggi einen internationalen Aufruhr riskiere, sagte MbS, Saudi-Arabien solle sich nicht um Reaktionen darüber scheren, wie das Königreich mit seinen eigenen Bürgern umgeht.
Nach dem Tod von Khashoggi berichteten US-Medien, MbS habe Khashoggi in einem Telefonat mit Jared Kushner, dem Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, und dem damaligen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton als „gefährlichen Islamisten“ bezeichnet. Der Anruf erfolgte kurz nach dem Verschwinden des Journalisten.
Wie reagierte Saudi-Arabien auf den Khashoggi-Mord?
Die saudischen Behörden äußerten höchst widersprüchliche Angaben über Khashoggis Verbleib und behaupteten zunächst, er habe das Konsulat in Istanbul verlassen. Doch als türkische Beamte weitere Beweise für eine Beteiligung höchster Ebenen an die Presse leakten, gab Riad schließlich zu, dass Khashoggi im Innern des Konsulats getötet wurde.
Wenige Tage nach Khashoggis Verschwinden erklärte MbS gegenüber Bloomberg, Khashoggi habe das Konsulat nach „ein paar Minuten oder einer Stunde“ verlassen.
Am 20. Oktober gab die saudische Staatsanwaltschaft eine Erklärung ab, wonach Khashoggi bei einem Faustkampf getötet und 18 saudische Staatsangehörige festgenommen worden seien. Im Statement wurde nicht erwähnt, wo seine Leiche ist.
Fünf Tage später sagte der Staatsanwalt, Khashoggis Mord sei „vorsätzlich“ verübt worden, und hob damit frühere Behauptungen auf, der Mord sei unbeabsichtigt gewesen.
Im November erklärte der stellvertretende Staatsanwalt Shaalan al-Shaalan, Khashoggi sei ermordet worden, nachdem „Verhandlungen“ über seine Rückkehr ins Königreich gescheitert seien.
Khashoggi starb an einer tödlichen Injektion. Seine Leiche wurde zerstückelt und aus dem Gebäude entfernt, so al-Shaalan. Er fügte hinzu, dass der Mord vom Chef des Verhandlungsteams angeordnet wurde, das den Journalisten zurück in die Heimat bringen sollte.
Die saudischen Behörden haben seitdem elf namentlich nicht genannte Verdächtige wegen Mordes an Khashoggi angeklagt, darunter fünf, denen wegen „Anordnung und Begehung des Verbrechens“ die Todesstrafe droht. Riad widersetzte sich dem Druck türkischer Behörden, die Verdächtigen auszuliefern.
Saudi-Arabiens König Salman ordnete derweil die Bildung eines Ministerkomitees an, das von MbS geleitet wird und die Geheimdienste des Königreichs umstrukturieren soll.
Wer waren die Mitglieder des Tötungskommando?
Türkischen Geheimdiensten zufolge flogen 15 saudische Geheimdienstler mit zwei Privatjets nach Istanbul, kurz bevor Khashoggi getötet wurde.
Die meisten von ihnen arbeiteten im saudischen Militär, als Sicherheitskräfte, beim Geheimdienst oder am saudischen Königshof. Unter ihnen befand sich der Gerichtsmediziner Salah al-Tubaigy, der in der forensischen Abteilung im saudischen Innenministerium tätig war. Es wird angenommen, dass er derjenige war, der Khashoggis Leiche zerstückelt hat.
Zum Team gehörte auch Maher Abdelaziz Mutreb, ein leitender Geheimdienstoffizier und MbS‘ Bodyguard.
Nach dem Mord zog sich Moustafa al-Madani, ein weiterer Geheimdienstoffizier am Königspalast, Khashoggis Kleidung an und verließ das Konsulat durch die Hintertür, um es so aussehen zu lassen, als hätte der Journalist das Gebäude verlassen.
Die saudischen Behörden machten auch zwei hochrangige Funktionäre – die nicht Teil der Gruppe waren, die nach Istanbul geflogen ist – für die „nichtautorisierte Operation“ verantwortlich. Bei den Männern handelt es sich um Saud al-Qahtani, königlicher Berater und rechte Hand von MBS, sowie General Ahmed al-Asiri, stellvertretender Geheimdienstchef Saudi-Arabiens.
Beide Männer wurden von ihren Posten entlassen. Al-Qahtanis Aufenthaltsort ist nicht bekannt.
Wie wurde Khashoggi getötet?
Türkische Medien und die Ermittlungen der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für außergerichtliche Hinrichtungen enthüllten grausame Details darüber, was genau mit Khashoggi geschehen ist.
Die Berichte, die auf Geheimdienstaufzeichnungen basieren, zeigen, wie Khashoggis Mörder darüber diskutieren, wie sie die Leiche am besten zerlegen und transportieren können. Minuten bevor er das Gebäude betrat, fragte ein Mitglied des Tötungskommandos, ob das „Opfertier“ schon eingetroffen sei.
Den Tonbändern zufolge wurde der Journalist am Arm ins Büro des Generalkonsuls im zweiten Stock gezerrt. Mutreb, MBS‘ Bodyguard, teilte Khashoggi mit, er werde nach Riad zurückgebracht, und forderte ihn auf, seinem Sohn eine Nachricht zu hinterlassen. Dieser solle sich keine Sorgen machen, wenn er seinen Vater nicht erreichen könne.
Khashoggi lehnte ab und wurde daraufhin unter Drogen gesetzt. Seine letzten Worte, bevor er das Bewusstsein verlor, waren: „Ich habe Asthma. Tut das nicht, ihr schnürt mir die Luft ab.“
24 Minuten nach Khashoggis Eintreffen im Konsulat war auf den Tonbändern ein Geräusch zu hören, das der türkische Geheimdienst als Säge identifizierte, sowie das Rascheln von Plastikfolien.
Der Verbleib von Khashoggis Überresten ist unbekannt.
Wie hat die Welt reagiert?
Der Mord an Khashoggi führte zu weltweiter Abscheu und Verurteilung. Menschenrechtsgruppen und Verfechter*innen der Pressefreiheit fordern mit Nachdruck, dass MbS und die saudische Regierung zur Rechenschaft gezogen werden.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sprach von einem „brutalen“ und „politischen Mord“. Am Sonntag versprach er, weitere „Anstrengungen zu unternehmen, um Licht in den Mord zu bringen“.
Just spoke with the Crown Prince of Saudi Arabia who totally denied any knowledge of what took place in their Turkish Consulate. He was with Secretary of State Mike Pompeo…
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) October 16, 2018
US-Präsident Trump nannte den Mord „schrecklich“. Er betonte jedoch Riads Unterstützung für Washingtons Politik gegenüber dem Iran und Syrien, hob die milliardenschweren Waffenverkäufe der USA an Riad hervor und versprach, „ein unerschütterlicher Partner an Saudi-Arabiens Seite zu bleiben“. Während CIA-Ermittlungen ergaben, dass MbS den Mord angeordnet hat, erklärte Trump: „Vielleicht hat er es getan, vielleicht hat er es nicht getan.“
Deutschland, Dänemark und Finnland haben Waffenverkäufe nach Saudi-Arabien zeitweise ausgesetzt.
Agnès Callamard, die UN-Sonderberichterstatterin für willkürliche Hinrichtungen, sagte, Khashoggis Tod stelle „eine außergerichtliche Hinrichtung dar, für die das Königreich Saudi-Arabien verantwortlich ist“.
In ihrem 100-seitigen Bericht vom Juni 2019 sagte Callamard, sie habe „festgestellt, dass es glaubhafte Beweise gibt, die eine weitere Untersuchung der individuellen Verantwortung hochrangiger saudischer Funktionäre, einschließlich der des Kronprinzen, rechtfertigen“.
Sie verurteilte das saudische Verfahren gegen die elf Verdächtigen als Scheinprozesse und erklärte, sie würden nicht den internationalen Standards entsprechen und sollten vor der Öffentlichkeit sowie Prozessbeobachtern abgehalten werden.
Die Verbündeten Saudi-Arabiens – Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain und Jemen – stärken dem Königreich den Rücken und unterstützen das Gerichtsverfahren des Königreichs.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Al Jazeera und wurde von Jakob Reimann für Freiheitsliebe übersetzt.