Drängt die Frömmler zurück – Zum irischen Referendum über Abtreibung

Nach ersten Hochrechnungen gab es bei der gestrigen Abstimmung in Irland eine Mehrheit für die Streichung des achten Verfassungszusatzes, der Abtreibung in dem Land kriminalisiert und somit das Leben von Frauen gefährdet. Sarah Bates berichtet über das irische Referendum.

Eimear erinnert sich gut daran, wie sie im Jahr 1993 von Irland nach England reiste, um ihre Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Sie beginnt zu weinen, als sie erzählt, wie sie sich auf die Suche nach einer funktionierenden Telefonzelle macht, um ihrer Mutter vorzuspiegeln, dass sie sich „in London gut amüsiere“. „Ich bereue den Schwangerschaftsabbruch nicht“, sagt sie. „Was ich bereue, ist die Geheimniskrämerei, die mir das Gefühl gab, dass ich etwas Falsches tat. Uns Frauen muss zugestanden werden, dass wir wissen, ob wir gerade zu diesem Zeitpunkt Mutter werden wollen oder nicht.“

Eimear und Sinead haben zum ersten Mal öffentlich über ihren Schwangerschaftsabbruch geredet, wenige Tage vor dem Referendum über eine begrenzte Entkriminalisierung der Abtreibung.

Bei diesem Referendum geht es um ein Ja oder Nein zur Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes. Dieser wurde 1983 erlassen und mit ihm das Recht eines Fötus faktisch über das der Schwangeren gestellt. Teils war er eine Reaktion auf die Liberalisierung von Abtreibung in Großbritannien im Jahr 1967. Schwangerschaftsabbruch war in Irland bereits illegal. Mit dem 8. Verfassungszusatz sollte eine Lockerung der Gesetzgebung verhindert werden.

Im Zuge des Referendums ist eine riesige Basisbewegung entstanden, die für ein deutliches Ja gekämpft hat, um den 8. Verfassungszusatz zu kippen (Repeal the 8th). Tausende wurden in politische Aktivitäten hineingezogen, oft zum allerersten Mal. Sie organisierten Veranstaltungen, diskutierten mit Wählern und gingen von Haus zu Haus.

Eimear und Sinead half die Mitarbeit in der Kampagne dabei, sich von dem „Stigma“ des Schwangerschaftsabbruchs zu befreien und offen über ihre eigene Erfahrung zu reden. „Ich habe in den vergangenen 24 Stunden mehr Leuten davon erzählt als je zuvor“, sagte Eimear.

Irlands Regierung ist in den vergangenen Jahren unter wachsenden Druck geraten, das Gesetz zu ändern. Die Reaktion auf den Tod von Savita Halappanavar im Jahr 2012 führte bereits zu einer geringfügigen Lockerung der Gesetzgebung. Savita starb nach Komplikationen in der 17. Schwangerschaftswoche. Die Ärzte beriefen sich auf den 8. Verfassungszusatz und weigerten sich, einen Abbruch vorzunehmen, weil sie noch einen Herzschlag des Fötus feststellten. Savitas Tod löste erneut große Wut über den irischen Staat aus, der sich anmaßte, Kontrolle über den Körper von Frauen auszuüben.

Das Gesetz über den „Schutz des Lebens“ von 2013 erlaubt in äußerst begrenzten Fällen einen Abbruch, wenn nämlich das Leben der Frau unmittelbar gefährdet ist. In den folgenden fünf Jahren kam dieses Gesetz nur in einer Handvoll Fälle zur Anwendung. Gleichzeitig ist jede Frau oder jede Ärztin/jeder Arzt mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bedroht, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch in Irland vornehmen.

Der 8. Verfassungszusatz verhindert keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch in Irland – er unterbindet lediglich, dass dieser legal und sicher zugänglich ist. Geschätzt 3.000 Frauen reisen jedes Jahr ins Ausland, häufig nach London und Liverpool. Viele weitere Frauen können sich diese Reise nicht leisten. Und nicht alle haben die erforderlichen Einwanderungspapiere oder können sich einfach ein paar Tage beurlauben lassen.

Sinead war 16 Jahre alt, als sie  ihre Schwangerschaft abbrechen ließ. Sie erinnert sich, dass sie das Geld „irgendwie zusammenkratzen“ musste. „Im Jahr 1993 waren es 1.000 bis 1.500 Pfund – und das Geld lag nicht gerade auf der Straße. Ich war letztendlich sehr erleichtert, fühlte mich aber auch schuldig, weil ich meinen Eltern diese Last aufgebürdet habe, die sich noch um fünf weitere Kinder kümmern mussten.“

Die Organisation Frauen helfen Frauen hat geschätzt, dass jeden Tag mindestens zwei Personen, die nicht ins Ausland reisen können, die Abtreibungspille nehmen. Das tun sie ohne medizinische Begleitung und sie sind meistens zu verängstigt, um angesichts der Kriminalisierung von Abtreibung mit irgendjemand darüber zu sprechen. Und der 8. Verfassungszusatz betrifft jede schwangere Frau. Frauen können lebensrettende medizinische Maßnahmen verwehrt werden, wenn dadurch der Fötus geschädigt werden könnte.

Brid Smith, Abgeordnete der Partei People Before Profit in der Republik Irland, sieht die Stärke der Repeal-Kampagne in der Basisbewegung. „Das Beste an der Kampagne sind die vielen Straßenaktivitäten, der Aktivismus, der plötzlich aufgekommen ist. Würden wir uns aber auf die ,Together for Yes‘-Kampagne beschränken, wäre die ganze Bewegung bedeutungslos.“

Together For Yes (Gemeinsam für das Ja) ist eine Dachorganisation des Bündnisses für Repeal of the 8th Amendment, der Kampagne für Schwangerschaftsabbruch und des Nationalen Frauenrats Irlands. Dazu gehören auch einige Mitglieder des Dail, des irischen Parlaments, und Flügel des irischen Staats, die sich gegen reproduktive Rechte gestellt haben. „Sie haben sich nie für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch eingesetzt“, sagt Brid, „ich habe vor gut anderthalb Jahren einen Gesetzesentwurf im Dail eingebracht, um die Strafe von 14 Jahren auf 1 Euro zu senken. Sie haben dagegen gestimmt.“

Diese Leute, die Jahrzehnte lang damit verbracht haben, gesellschaftlichen Fortschritt zu verhindern, sind nicht über Nacht zu anderen Erkenntnissen gekommen. Sie reagieren auf eine veränderte politische Stimmung, die sich im Jahr 2015 in dem großen Erfolg des Referendums für die gleichgeschlechtliche Ehe bereits gezeigt hatte.

Einige Politiker versuchen sich über das jetzige Repeal-Referendum angesichts ihrer Verantwortung für die Sparpolitik, die sie der irischen Bevölkerung aufgebürdet haben, zu rehabilitieren. Andere wiederum versuchen, die Ja-Bewegung im Griff zu behalten. Indem sie sich der Kampagne Together For Yes anschließen, können sie potenziell auch weiterreichende Reformen verhindern.

Ihre Kampagne stellt „Sorge und Mitgefühl“ ins Zentrum der Argumentation, statt das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung.

„Es geht um sehr viel“, sagt Brid, „nicht nur um Schwangerschaftsabbruch. Es geht darum, wie Irland künftig politisch gestaltet wird.“

Die Heuchler der Gegenkampagne unter der Dachorganisation Love Both (Liebe beide) haben die Straßen mit Plakaten zugepflastert, auf denen Abtreibung mit dem Töten „ungeborener Babys“ verglichen wird.

Maria hat die Gruppe Angels4Yes gegründet, die sich mit großen weißen Engelsflügeln vor solche scheußlichen Bilder stellt. https://twitter.com/angels4yes?lang=de Sie hat selbst zwei Fehlgeburten erlebt und meint, dass solche Darstellungen keinen Platz in dem Referendum haben dürfen.

Jüngere Wählerinnen und Wähler werden am ehesten mit Ja stimmen, während vor allem die über 50-Jährigen an dem Gesetz festhalten wollen.

Evebelle ist Studentin am Trinity College in Dublin und beteiligt sich an der Ja-Kampagne. An ihrer Uni, sagt sie, gebe es „breite Unterstützung“ für das Ja. „An nur einem Tag haben sich 1.000 Trinity-Studierende für die Abstimmung registrieren lassen. Die jungen Leute sind wirklich aufgerüttelt. Das ist eine tolle Erfahrung. Ich bin Feministin, und ich kenne jetzt schon etliche Themen, für die ich nach dem Referendum kämpfen werde.“

Abendliche Haustürgespräche wurden zu einem wesentlichen Mittel der Kampagne. An Wochenenden beteiligten sich über hundert Leute daran.

Als Aktive von Together For Yes an Pauls Tür in Walkinstown, einem Süddubliner Vorort, klopften, erklärte er gleich begeistert seine Unterstützung für das Ja: „Die Entscheidung muss in der Hand der Frau und ihrer Ärztin liegen und die medizinische Versorgung muss in Irland geleistet werden.“ Bezüglich der Heuchelei  der Gegner des Selbstbestimmungsrechts, die so tun, als kümmerten sie sich um das Wohlergehen von Kindern, sagt er: „Ich habe eine behinderte Tochter, wo ist die Unterstützung für sie? Sie kürzen stattdessen die Pflegeleistung!“

Das Referendum findet auch im Schatten von Jahrzehnten der Skandale in der katholischen Kirche statt. Die Enthüllung des Missbrauchs, den die katholischen Heime für unverheiratete Mütter und ihre Kinder darstellten, hat Irland erschüttert. Erst im vergangenen Jahr wurden in Tuam in der Grafschaft Galway bei einem Mutter-Kind-Haus die sterblichen Überreste von Hunderten Kleinkindern in einer Klärgrube entdeckt.

Diese Erinnerung sei noch frisch bei den Aktivistinnen und Aktivisten, die das „alte Irland“ endlich hinter sich lassen wollen, sagt Brid Smith.

„Wenn die konservative katholische Rechte durchkommt, wird es nicht dabei bleiben, dass sie an dem 8. Verfassungszusatz festhalten“, sagt Brid, „sie werden als nächstes die Abtreibungspille verbieten wollen.“

Es ist eine Schande, dass die Regierung bis heute das Recht auf Selbstbestimmung der Frau einzuschränken versucht. Frauen müssen über ihr Leben bestimmen können, reproduktive Rechte sind ein Kernbestandteil davon.

Irlands Gesetz über Schwangerschaftsabbruch ist das Ergebnis einer Gesellschaft, die jeden Aspekt der Sexualität von Frauen und ihres Lebensentwurfs zu kontrollieren sucht. Die aufgenommene Schlacht dagegen könnte weitreichende Folgen haben: „Sie sagen, dass sich die Schleusen für ein weitergehendes Recht auf Abtreibung öffnen“, meint Brid, „ich sage, die Schleusen werden sich öffnen für einen Kampf gegen das geschlechtsspezifische Lohngefälle, für erschwingliche Kinderbetreuung, kostenlose Verhütung und die Beendigung der Wohnungskrise. Die Schleusen  werden sich öffnen für die Forderungen, die eine Frauenbewegung in dieser Gesellschaft erheben kann: All diese Forderungen sind Klassenfragen.“

Das Referendum wird auch weltweit von Bedeutung sein für den Kampf für reproduktive Gerechtigkeit. Ein Ja wäre ein großer Schritt vorwärts für alle, die für Frauenrechte kämpfen. Am meisten jedoch wird es Frauen wie Eimear und Sinead helfen, in deren Namen die Mächtigen so oft sprechen, denen aber selten zugehört wird.

„Wenn der 8. Verfassungszusatz aufgehoben wird, dann haben wir eine Wahl“, sagt Eimear. „Oft wird von ,den Frauen‘ gesprochen – wir sind diese Frauen. Nicht zu glauben, dass wir im Jahr 2018 dieser Geschichte ein Gesicht geben müssen. Ich hoffe, dass wir das nie wieder tun müssen.“

Ein Artikel von Sarah Bates, https://socialistworker.co.uk/art/46615/Getting+the+bigots+on+the+back+foot+in+Ireland

Aus dem Englischen Rosemarie Nünning

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