Terror wird in der westlichen Welt mit dem Islam verbunden, dass auch die westliche Welt Terror verübt und mit ihrer Politik dem Terror von Islamisten erst die Möglichkeit gibt zu agieren. Ein neues Buch von Noam Chomsky und Andre Vltchek lenkt den Blick darauf, wer in Wahrheit den größten Schrecken auf der Welt verbreitet. Von Lea Kramer
Spätestens durch die Berichterstattung über die Gräueltaten des »Islamischen Staats« und die jüngsten Anschläge in Europa und Afrika muss doch auch der Letzte begreifen, dass der Islam die größte Gefahr für den Weltfrieden darstellt – diesen Eindruck erzeugen jedenfalls aktuell die Medien.
Will man sich dieser Schlussfolgerung nicht anschließen, kommt das neue Buch von Noam Chomsky und Andre Vltchek gerade recht.
Angesichts des vielversprechenden Titels »Der Terrorismus der westlichen Welt« erwarten gespannte Leserinnen und Leser, anhand von Beispielen erläutert zu bekommen, wer in Wirklichkeit der größte Terrorist ist und wie dieser Terrorismus funktioniert. Sie erhoffen sich eine faktenreiche Darstellung von Konflikten, in die der Westen verwickelt war und ist, und welche Rolle er dabei spielt. Sie erwarten Unterstützung dabei, der unsäglichen Mainstreammeinung, der Islamismus sei der größte Feind von Demokratie und Menschenrechten, etwas entgegen zu setzen: konkrete Beispiele, Zahlen, Geschichten. Bei allem Respekt vor der Leistung der beiden Autoren und größter Sympathie für ihre Haltung ist das Buch jedoch dabei leider nicht wirklich hilfreich.
Staatlicher Terrorismus seit dem Zweiten Weltkrieg
Es handelt sich um die Dokumentation eines ausführlichen, zwei Tage andauernden Gesprächs zwischen Noam Chomsky und Andre Vltchek aus dem Jahre 2012. Die beiden weitgereisten, belesenen und erfahrenen Schriftsteller betrachten darin die Weltereignisse seit dem Zweiten Weltkrieg aus einer Perspektive, die nicht der verbreiteten Erzählung entspricht, Menschenrechte und Freiheit seien stets die Motive des Westens gewesen. Die Autoren bestreiten dabei einen Parforceritt durch 70 Jahre Weltgeschehen und über sechs Kontinente. Bereits der Klappentext bringt ihre These auf den Punkt: „Die Politik des Westens stellt jeden Terrorismus weit in den Schatten“. Dabei erörtern Chomsky und Vltchek auch die Rolle der medialen Berichterstattung, welche die Gräueltaten des Westens verschleiert, Kritik zensiert und die Propaganda der Mächtigen verbreitet. Die geschilderten Ereignisse und Zusammenhänge machen ohnmächtig wütend und sind zutiefst empörend – besonders aufgrund der widerlichen Doppelmoral, der schamlosen Lügen und der unmenschlichen Grausamkeit, mit der die selbsternannten »Guten« vorgehen.
Die Autoren erwähnen zwar zahlreiche Beispiele für ihre Thesen, setzen dabei allerdings voraus, dass man sich mit den historischen Begebenheiten weitgehend auskennt. Die Zusammenhänge werden behauptet, nicht argumentativ hergeleitet und schon gar nicht belegt. So können sie nur diejenigen überzeugen, die ohnehin derselben Meinung sind. In der politischen Auseinandersetzung eignet sich das Buch höchstens zur Erweiterung der eigenen Polemik, nicht zur Präzisierung der Argumentation.
Beispielhaft ist dieser Satz von Chomsky: „(Im Kongo, Erg. d. Red.) wurden drei bis fünf Millionen Menschen getötet. Doch wer ist dafür verantwortlich? Milizen begingen die Morde, doch hinter den Milizen standen unsichtbare Regierungen und multinationale Konzerne.“ Das glaubt man ihm, weil er sich so etwas nicht ausdenkt. Es fehlt aber jegliche weitere Argumentation, genauere Information, jeglicher Hinweis darauf, wer die »unsichtbaren Regierungen« waren und womit das bewiesen werden kann. Einen Menschen, der von der fortschrittlichen Rolle des Westens überzeugt ist, wird dies kaum umstimmen.
Für Chomsky-Kenner und alle, die seine kritische Weltsicht kennenlernen wollen, bleibt das Buch dennoch lesenswert, bestellen kann man es hier.