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Die Krise der Automobilindustrie ist unsere Chance zum Systemwandel

Die Corona-Pandemie bestimmt weiterhin unseren Alltag, unser Arbeiten und unsere Beziehungsnetzwerke. Jeden Tag kämpfen unzählige Menschen im Gesundheitswesen, in stationärer oder häuslicher Pflege oder in gemeinschaftlich organisierten Versorgungsketten gegen das Virus an. Gleichzeitig darf jedoch die globale Klimakrise als existenzielle Bedrohung unserer Lebensgrundlage nicht aus dem Blick verloren werden.

Denn wo das Herunterfahren der Produktion in manchen Wirtschafts- und Dienstleistungszweigen für die Umwelt höchstens eine winzige Auszeit darstellt, dort planen Politik und Industrie schon längst die Rückkehr zum „business as usual“ eines Wirtschaftssystems, dessen Grundlage auch in Zukunft die grenzenlose Ausbeutung von Mensch und Natur bilden soll.

Aus diesem Grund wandten sich bereits am 25. März die Verbände der europäischen Automobilhersteller sowie deren Zulieferer in einem Schreiben direkt an die Präsidentin der EU-Kommission. Darin erbaten sie ein persönliches Gespräch in Brüssel, bei dem es unter anderem um die EU-Regularien im Automobilsektor gehen sollte. Dabei wurde argumentiert, dass aufgrund der Corona-Krise die Einhaltung insbesondere der Klima- und Umweltschutzauflagen vorerst nicht möglich sein wird und daher mindestens eine temporäre Aussetzung beziehungsweise eine Verschiebung des Inkrafttretens bestimmter Vorgaben angebracht sei, um schnellstmöglich wieder konkurrenzfähig zu werden. Seitdem gab es mehrere „Autogipfel“, bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit großen Produktionsstandorten sowie die Vorstände von Konzernen und Automobilverbänden darüber berieten, wie die Autoindustrie möglichst sicher durch die Krise gebracht werden könne. Hier zeigte sich zwar am Beispiel der Forderung nach einer Neuauflage der Abwrackprämie auch für Verbrenner, dass die Wünsche der Konzerne nicht mehr 1 zu 1 in die Politik übernommen werden, wie das vor wenigen Jahren noch selbstverständlich gewesen wäre. Dies darf sicherlich als ein Erfolg des zivilgesellschaftlichen Protestes und des daraus entstandenen politischen Drucks verzeichnet werden. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass noch immer massive Subventionen verteilt werden, um eine bereits seit Jahren kriselnde Branche jetzt weiter am Leben zu halten.

Und abermals war es der Klimaschutz, der wie selbstverständlich den wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fällt. Das Betteln um Subventionen stellt einen dreisten Versuch dar, von der langjährigen Unfähigkeit der Konzerne und deren verpassten Wandel abzulenken. Denn lange vor Corona beschädigten die Betrügereien des Diesel-Skandals das Image der Autoindustrie, brachen Absatzzahlen ein und Strafzahlungen aufgrund überschrittener CO2-Flottengrenzwerte standen wie der sprichwörtliche Elefant im Raum.

Doch in Deutschland hat „das Auto“ System. In den Nachkriegsjahrzehnten wurde es zum Grundpfeiler einer wiedererstarkenden Wirtschaft, zu einem Symbol für Aufschwung, Wohlstand, Stabilität und technologischem Fortschrittseifer. Kein anderes materielles Gut ist seither so sehr mit der (männlich-)deutschen Identität verknüpft. Der eigene Anspruch des Weiter, Schneller, Größer und der absoluten Dominanz zeigt sich in den wirtschaftlichen Ambitionen der Konzerne ebenso wie in den SUV-Modellen, die heute das Straßenbild prägen. Der Stolz über die weltweit einzigartige Autobahn ist noch immer enorm und manifestiert sich gerade wieder allzu deutlich in den Versuchen, gegen den Bau der A49 im schwarz-grün regierten Hessen anzukämpfen. Es ist daher keineswegs verwunderlich, zumal in ökonomisch wie politisch-gesellschaftlich unsicheren Zeiten, dass die Krise der deutschen Automobilindustrie an der nationalen Seele nagt – und schnellstmöglich mit allen zur Verfügung stehenden Geldern abgewendet werden soll. Wir als Klimabewegung erleben dabei nicht zum ersten Mal, wie die tatsächlich sehr prekären Zukunftsaussichten vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen die Notwendigkeit des Wandels angesichts der Klimakrise ausgespielt wird.

Doch vielmehr ist gerade jetzt endgültig der Zeitpunkt für einen radikalen Strukturwandel des Verkehrssektors und damit auch für einen sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie gekommen. So zeigt sich in den Städten deutlicher denn je, dass das autozentrierte Verkehrssystem eben keine gerechte und gleichberechtigte Mobilität für alle gewährleistet. Längst könnte dort die Transformation hin zur autofreien Stadt anlaufen. Denn eine radikale Mobilitätswende bedeutet vor allem eines: weg vom Autozentrismus hin zu einer bedürfnisorientierten, ökologischen, solidarischen Verkehrs- und Städteplanung.

Daher muss die Erteilung von Staatshilfen konsequent mit der Verpflichtung zur Konversion einhergehen. Dies bedeutet, die Produktion zu großen Teilen auf gemeinschaftlich genutzte Verkehrsmittel umzustellen – denn wo kurzfristig sogar Beatmungsgeräte möglich schienen, da sollten Elektrobusse, -taxen oder -lieferwagen sowie Straßenbahnen und Lastenräder doch eine leichte Übung sein. Anstatt eine veraltete und klimaschädliche Industrie künstlich im Wettbewerb zu halten, muss sich die Verwendung der Steuergelder am öffentlichen Interesse orientieren. Eine demokratische Teilhabe an der Gestaltung des Wandels sowie innerbetriebliche Mitbestimmung sind notwendig, um umfangreiche existenzsichernde Maßnahmen für die Betroffenen möglicher Arbeitsplatzverluste zu gewährleisten.

Es braucht keine Corona-Krise, um die Notwendigkeit einer klimagerechten Veränderung unserer Wirtschaftsweise zu verdeutlichen. Jedoch wirft die erfolgte und noch anstehende Verteilung enormer Geldmengen in Form von Hilfspaketen nicht nur in Bezug auf das Verkehrssystem die Frage auf, wie wir in Zukunft leben wollen. Auf was können wir verzichten? Und was muss erhalten werden, um unsere Produktion mehr am Gemeinwohl als am Profit zu orientieren? Der Umgang mit den existenzbedrohenden Folgen von Arbeitsausfall und drohender Insolvenz für viele vor allem kleinere Unternehmen könnte auch der Diskussion um eine bedingungslose Existenzsicherung in Form eines Grundeinkommen wieder neue Relevanz zukommen lassen. Diese Fragen gilt es nun gemeinschaftlich zu diskutieren. Gleichzeitig müssen die notwendigen Kämpfe geführt werden, um ein ungebremstes Weiter-so des zerstörerischen Systems aus entgrenztem Wachstum und Ausbeutung zu verhindern, und die Unternehmen endlich für ihr Handeln in Verantwortung zu nehmen. Dies sollte, ja muss erst recht für das in Deutschland bisher als unantastbar deklarierte Automobil gelten.

Der Beitrag wurde von Hazel Rahn und Ina Schaf geschrieben. Beide sind aktiv bei Sand im Getriebe.

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