Die DGB-Jugend hat sich einseitig auf Seiten Israels positioniert – Im Gespräch mit Dario Tayeboun

Der Krieg im Nahen Osten wird von Woche zu Woche schlimmer, während immer mehr Regierungen, Gewerkschaften weltweit und israelisch und palästinensische Organisationen einen Waffenstillstand fordern, hat die DGB-Jugend eine Erklärung verfasst, in der die palästinensischen Opfer nicht vorkommen. Wir haben mit dem Gewerkschafter und SDAJ-Mitglied Dario Tayeboun gesprochen, der eine Petition verfasst hat, die die DGB-Jugend zur Rücknahme der Resolution auffordert.

Die Freiheitsliebe: Die DGB-Jugend hat vor kurzem eine Resolution beschlossen, die den Titel trägt „Solidarität mit unseren Freund*innen in Israel“, du hast gemeinsam mit anderen Gewerkschaftern einen offenen Brief als Antwort verfasst. Worum geht es in der Resolution der DGB-Jugend?

Dario Tayeboun: Die DGB-Jugend hat am 18.10 eine Erklärung verabschiedet, in der sie sich beim Palästina-Israel Konflikt sehr einseitig mit Israel solidarisiert. Sie behaupten die Kämpfe der Palästinenser seien allein durch islamischen Antisemitismus motiviert. Die Geschichte des Konfliktes wird leider mit keinem Wort erwähnt. Die Forderungen der DGB-Jugend beziehen sich nur auf den Schutz der israelischen Bevölkerung und des israelischen Staates, eine Solidaritätserklärung mit den Palästinensern fehlt leider.

Erschreckend ist auch, dass keine Waffenruhe, keine Friedensgespräche und kein Ende der Kampfhandlungen gefordert wird.

Die Freiheitsliebe: Wenn man die Resolution liest, fällt auf, dass die tausenden getöteten Palästinenser mit keinem Wort gewürdigt werden und die schlechten Lebensbedingungen in Gaza einzig als Folge der Hamas-Regierung dargestellt werden, während Besatzung und Blockade ausgeklammert werden. Wie kommt es zu dieser einseitigen Sichtweise?

Dario Tayeboun: Das ist eine schwierige Frage, um sie in einem Interview zu beantworten. Der deutsche Staat mit seinen Interessen spielt auf jeden Fall eine Rolle, wir hören es ja seit Wochen in den Medien, dass Solidarität mit dem Staat Israel Staatsräson sei. Das liegt unter anderem daran, dass der israelische Staat gerne deutsche Waffen kauft. Generell ist der israelische Staat ein wichtiger Partner für die Bundesregierung und ihre Interessen im Nahen Osten. Davon hören wir in den Medien aber fast gar nichts, sondern die Politik der Bundesregierung wird erklärt mit einer historischen Verantwortung aus der Geschichte. Natürlich ist es wichtig, dass wir aus der Geschichte lernen. Das kann dann aber nicht als Begründung dafür dienen, dass Menschen ermordet werden. In den deutschen Medien und von der Bundesregierung wird der Konflikt sehr einseitig dargestellt aus oben genannten Gründen und ich denke das so eine permanente Darstellung sich auf die Haltung der Leute auswirken kann.

Die Freiheitsliebe: Ihr erklärt, dass die Resolution den gewerkschaftlichen Grundsätzen widerspricht, was meint ihr konkret?

Dario Tayeboun: Wir UnterzeichnerInnen verstehen Gewerkschaft als Organisation, in der sich die arbeitende Bevölkerung organisiert und mit deren Hilfe wir für unsere Interessen kämpfen können. Diese Interessen als arbeitende Bevölkerung eint uns. Und das hört nicht an Ländergrenzen auf, sondern Gewerkschaften praktizieren internationale Solidarität. Das gilt, wenn die Bosse mit einem Standortwechsel in ein anderes Land drohen und versuchen uns Beschäftigte gegeneinander auszuspielen, aber auch in Fragen von Krieg und Frieden. Wir GewerkschafterInnen sind solidarisch mit allen ArbeiterInnen auf der Welt, mit denen in Palästina und denen in Israel. Krieg ist nicht in unserem Interesse. Und das jetzt man strafrechtlich verfolgt werden kann, wenn man gegen den Krieg und die Gewalt auf die Straße geht, reiht sich ein in die Politik eines Staates, der unsere Rechte immer mehr einschränkt. Dagegen müssen wir uns wehren, genauso wie wenn das Streikrecht eingeschränkt werden soll. Denn unsere Stärke kommt daher, dass wir eine große Masse sind und für unsere Forderungen kämpfen. Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen.

Die Freiheitsliebe: Wenn man sich die Positionierungen anderer Gewerkschaften, auch innerhalb der EU anschaut, fällt auf, dass dies eine der einseitigsten Resolutionen überhaupt darstellen dürfte. Was könnte die DGB-Jugend von anderen Gewerkschaften lernen mit Blick auf friedenspolitische Fragen?

Dario Tayeboun: Es gab mal eine klare antimilitaristische Haltung in den Gewerkschaften und für diese müssen wir wieder kämpfen. Ich bin in die Gewerkschaft eingetreten, um mich gemeinsam mit KollegInnen für eine bessere Welt einzusetzen, auch über betriebliche Fragen hinaus. Die Gewerkschaft hat ja auch eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Ostermärsche in den 50er-Jahren gespielt. Italienische Hafenarbeiter haben es beim Russland-Ukraine-Krieg vorgemacht, als sie sich geweigert haben Waffen zu verschiffen. Nun sind es belgische Gewerkschaften, die sich weigern Waffen zu transportieren. Ich denke, dass wir von denen einiges lernen können. Dieses Verständnis von internationaler Solidarität, dass wir Gewerkschaften kein Interesse daran haben, wenn in einem anderen Land KollegInnen von uns mit Waffen getötet werden, die wir gebaut oder transportiert haben. Denn am Schluss sind wir es, die an die Front müssen und dort verletzt werden oder sterben. Leider sind GewerkschafterInnen mit solchen Positionen in Deutschland in der Minderheit, wenn man sich z.B. die Beschlüsse des Bundeskongresses von Verdi dieses Jahr anschaut. Aber auch da gab es mutige GewerkschafterInnen, die sich gegen die Beschlüsse gestellt haben und öffentlich für Frieden und gegen Waffenlieferungen ausgesprochen haben.

Die Freiheitsliebe: Meint ihr, dass eine Veränderung der Positionen der Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden möglich ist?

Dario Tayeboun: Natürlich halten wir das für möglich, deswegen haben wir den offenen Brief verfasst. Wie oben beschrieben, sind Gewerkschaften für uns ArbeiterInnen sehr wichtig, damit wir uns organisieren können. Klar, die Gewerkschaft ist nicht perfekt, aber wir haben es in der Hand das zu ändern. Zum Beispiel gab es auf dem Kongress der IGM einen Antrag „Waffenlieferungen können sinnvoll sein“ zu streichen und durch Rüstungskonversion, also die Umwandlung von Waffenproduktion in zivile Produktion, zu ersetzen. Dieser Antrag wurde dann angenommen. Es liegt an uns, dass wir für unsere Positionen in der Gewerkschaft kämpfen und die anderen überzeugen. Wenn wir das nicht tun, dann macht es niemand. Deswegen geht in die Gewerkschaften, führt Diskussionen, kämpft für bessere Arbeitsbedingungen und kämpft für den Frieden.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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