Sorge- oder Carearbeit ist ein Grundpfeiler unserer kapitalistischen Gesellschaft. Doch diejenigen, die sie leisten, erfahren kaum Anerkennung. Paula Schirmer wirft einen sozialistischen Blick auf die Ursprünge und Ausprägungen der Carearbeit.
Wenn Kritik an der Verteilung von Carearbeit geäußert wird, haben die meisten schon das Scheinargument gehört, dass das von der Natur so vorgesehen wäre. Uns ist natürlich klar, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Bestätigt wird das außerdem von zahlreichen wissenschaftlichen Texten, wie von der Philosophin und Autorin Silvia Federici: In „Caliban und die Hexe“ klärt sie über die Ursprünge der Carearbeit auf.
Sie sieht diese in den Anfängen des Kapitalismus. Damals wurde zuerst von staatlicher Seite die weibliche Kontrolle über die Zeugung kriminalisiert. Das hatte nicht nur einen enormen Einfluss auf die Autonomie der Frau1, sondern auch auf die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse: Mutterschaft war keine Entscheidung mehr, sondern Zwangsarbeit. So wurden Frauen immer weiter auf die Carearbeit festgelegt. Sie wurden aus Berufen, in denen sie eine dominierende Stellung hatten, rausgedrängt.
Verordnungen besagten, dass Frauen nicht außerhalb des Haushalts zu arbeiten hätten und wenn, dann nur um ihren Ehemännern zu helfen. Selbst wenn Frauen für den Markt produzierten, galt ihre Arbeit als wertlos. Frauen verinnerlichten dieses Narrativ so weit, dass sie sich entschuldigten, wenn sie nach bezahlter Arbeit suchen mussten. An diesem Punkt fing auch die chronische Unterbezahlung von Frauen an. Das lässt sich bis heute am sogenannten „Gender Pay Gap“ rekonstruieren. Eine Studie von Oxfam zeigt, dass Frauen etwa 21 Prozent niedrigere Bruttostundenlöhne erhalten als Männer.
Die Ehe galt nun als einzige und eigentliche Frauenkarriere. Reproduktionsarbeit, also die unbezahlte Arbeit, die zum Erhalt der menschlichen Arbeitskraft grundlegend ist, wurde zur Hauptaufgabe der Frau. Durch die Diffamierung weiblicher Arbeit wurde diese Reproduktionsarbeit bald als eine Art Naturressource gesehen, derer sich alle bedienen können. Der Körper und die Arbeitskraft der Frau wurden zum Allgemeingut; Frauen selbst hatten kaum noch Entscheidungsmacht.
Auch heute wird der Großteil der Carearbeit in heterosexuellen Beziehungen von Frauen geleistet. Die Oxfamstudie zeigt, dass Frauen um 52 Prozent mehr unbezahlte Fürsorgearbeit, wie zum Beispiel die Pflege Verwandter, als Männer leisten. Das wird „Gender Care Gap“ genannt.
Die dafür verantwortlichen patriarchalen Strukturen sind tief in unserer Gesellschaft verankert. Wegen ihnen trauen sich weiblich sozialisierte Menschen häufig Jobs, für die sie qualifiziert sind, nicht zu oder sie werden trotz vorhandener Qualitäten nicht eingestellt, z.B. wegen eines eventuellen, zukünftigen Kinderwunsches. Dadurch werden Frauen in heterosexuellen Beziehungen immer noch in Abhängigkeit vom Mehrverdiener, also dem Mann, gedrängt.
Was können wir dagegen tun?
Selma James, eine Aktivistin aus den USA, hat in den 70er Jahren die internationale Kampagne Wages for Housework mitbegründet, die für eine finanzielle Entlohnung der Carearbeit kämpft. Es sei vor allem ein “Mangel an eigenem Geld“, der Frauen in Abhängigkeiten hält, sagt James2. Viele Frauen könnten aus gewalttätigen Beziehungen und Ehen entkommen, hätten sie nur die finanziellen Mittel dazu.
Die Abhängigkeit der Frau ist also auch eine Klassenfrage. Natürlich ist das Patriarchat in bourgeoisen Kreisen nicht besiegt. Doch weiblich sozialisierte Personen aus proletarischen Räumen haben häufig nicht das finanzielle Polster aus einer Ehe, in der ihnen Gewalt angetan wird, auszubrechen. Sie stehen in einer direkten Abhängigkeit zum Gehalt ihres Ehemannes. Wohlhabende Frauen sind oft nicht direkt darauf angewiesen.
Die Carearbeit ist eine der wichtigsten Arbeiten, die das Wirtschaftssystem und die Gesellschaft aufrechterhalten. Sie wird auch oft als „Reproduktionsarbeit“ bezeichnet, denn die Carearbeit ist notwendig, damit die Arbeitskraft der Arbeiter*innen wiederhergestellt wird und sie funktionieren. Ohne Carearbeit könnten die Arbeitenden am nächsten Tag nicht wieder zur Arbeit gehen. Unternehmen sind also indirekt abhängig von ihr. Somit ist Carearbeit durch ihre Reproduktionsfunktion essenziell für das Fortbestehen des Kapitalismus.
Das war besonders gut während der Pandemie zu sehen: Pflegekräfte waren einer enormen Belastung ausgesetzt und bekamen als Dank nur lange überfälligen Applaus. Doch gerade deshalb haben sie begonnen, sich in bundesweiten Pflegebündnissen zu organisieren, wie bei Münster Cares.
Die Forderung, Carearbeit finanziell zu entlohnen, ist wichtig und revolutionär, doch sie führt auf einen falschen Pfad. Auch wenn es Frauen auf individueller Ebene helfen könnte mehr finanzielle Freiheit zu erlangen, muss Carearbeit aus dem privaten und familiären Raum herausgeholt werden. Das finale Ziel sollte sein, dass Carearbeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wird. Denn nur so würde sie langfristig zur finanziellen Emanzipation der Frau und zur Beendigung von Rollenstigmata beitragen.
1: In den statistischen Erhebungen sowie in Federicis Werk ist häufig fälschlicherweise nur von Frauen die Rede, zumeist sind aber alle weiblich sozialisierte Personen gemeint.
2: „Der Spiegel“, 08.03.2021, von Lou Zucker
von Paula Schirmer
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