Als Beschwichtigung eines wegen des Iran-Nukleardeals aufgebrachten Hauses Saud unterstützen die USA auf sämtlichen Ebenen den erbarmungslosen Bombenkrieg gegen den Jemen – die jemenitische Bevölkerung als Bauernopfer auf Obamas Schachbrett. Trump eskaliert nun diese Politik der verbrannten Erde. Doch auch unabhängig vom Krieg der Saudis zieht sich eine jahrzehntelange Blutspur aus Massakern und Drohnenmorden der USA durch den Jemen.
#6 eines mehrteiligen Jemen-Specials auf Die Freiheitsliebe.
Tausende Menschen versammelten sich am 8. Oktober 2016 in der Hauptstadt Sana’a zur Beerdigung von Ali al-Rawishan, dem Vater des von den Houthi-Rebellen eingesetzten Innenministers. Das saudische Militär wusste natürlich, dass bei der Beerdigung neben Zivilisten auch viele der verhassten Houthi-Funktionäre und Stammesführer anwesend sein würden – und sah darin eine Chance, die barbarischer kaum sein könnte.
Kriegsverbrechen powered by USA
Riad bombardierte die Trauerfeier – mindestens 155 Menschen wurden getötet, 525 weitere verletzt. Die Saudis wandten die „double tap“-Taktik an, die sie sich von US-Drohnenschlägen in Pakistan abschauten: Minuten nach der ersten folgt eine zweite Ladung Bomben, um Überlebende und herbeieilende Helfer ebenfalls in den Tod zu reißen. In Sana‘a wurden in dem „See aus Blut“ im Anschluss Bombenteile sichergestellt, schnell machten Fotos die Runde, die bewiesen: das blutigste Massaker in der Geschichte des dreijährigen Jemen-Krieges wurde mit MK-82-Bomben der US-amerikanischen Rüstungsschmiede Raytheon durchgeführt.
Video shows double tap Saudi airstrike on funeral hall in Sanaa, #Yemen, today. Hundreds killed or wounded. Saudis deny, no word from US. pic.twitter.com/6TYlQWPrCN
— Samuel Oakford (@samueloakford) 8. Oktober 2016
Das Massaker von Sana’a steht exemplarisch für diesen absurden Krieg im ärmsten Land der Arabischen Welt: die von Saudi-Arabien geführte Koalition macht sich schwerster Kriegsverbrechen schuldig, die US-Regierung gibt ihr die Mittel dazu in die Hand und macht sich so zur Komplizin.
Nachdem die Saudis nach einem halben Jahr erbarmungslosen Bombardements ihr Raketenarsenal leergeschossen hatten, segnete Barack Obama im November 2015 den Verkauf von rund 30.000 neuer Bomben und Raketen ab – darunter auch 8.020 Stück exakt der MK-82-Bomben, die auf die Trauerfeier in Sana‘a niederregneten.
Präsident Obama verkaufte den Saudis während seiner acht Jahre im Oval Office Rüstungsgüter in Höhe von 115 Milliarden Dollar – so viel wie kein anderer der 13 US-Präsidenten in den 85 Jahren diplomatischer Saudi-US-Beziehungen zuvor. Allein 20 Milliarden davon wurden 2015 genehmigt, dem Jahr in dem der Jemen-Krieg ausbrach.
Donald Trump zog nach nur wenigen Wochen im Amt mit seinem verhassten Vorgänger gleich, als er im Mai 2017 Rüstungsdeals im Wert von 110 Milliarden Dollar mit den Saudis vereinbarte, die in der nächsten Dekade gar auf bis zu 380 Milliarden anwachsen können. Trumps Kommentar dazu: „Jobs, jobs, jobs.“
Das Signal ist klar: Washington steht felsenfest an Riads Seite.
Gewiss sollen an dieser Stelle die Waffenlieferungen aller anderen Staaten (fast ausnahmslos westliche Regierungen) nicht verschwiegen oder verharmlost werden, doch seit Beginn des Jemen-Kriegs stammt mit zwei Dritteln der Mammutanteil des nach Saudi-Arabien verschifften Kriegsgeräts aus den USA, einzig Großbritannien hat mit einem Fünftel noch einen signifikanten Anteil, die anderen Staaten bewegen sich im untersten Prozentbereich.
Für die zweite treibende Kraft der Saudi-Koalition, die Vereinigten Arabischen Emirate, sehen die Zahlen sehr ähnlich aus, auch hier stammen nahezu zwei Drittel der Waffen aus den USA.
„Die Saudis fordern, wir liefern.“
Obwohl Waffenlieferungen die zentralste Form sind, geht die US-Unterstützung der Saudis in ihrem Krieg gegen den Jemen weit darüber hinaus.
Von entscheidender Bedeutung sind die Luftbetankungen saudischer Kampfjets durch die US-Luftwaffe, ohne die es der Saudi-Koalition unmöglich wäre, quer über die riesigen Wüstengebiete hinweg ihren erbarmungslosen Bombenkrieg zu führen, in insgesamt 9.000 Luftbetankungsmissionen 40 Millionen Liter Treibstoff allein in den ersten 18 Monaten des Krieges. In den Monaten nach dem Massaker auf der Beerdigung in Sana’a hat die Obama-Regierung – und darauf die Trump-Regierung – ihre Luftbetankungen teils mehr als verdoppelt.
Vor wenigen Tagen erklärte General Joseph L. Votel, der Oberbefehlshaber des zuständigen US Centcom, in einer Anhörung vor dem US-Kongress, das Pentagon habe nicht die geringste Ahnung, wen oder was die Kampfjets der Saudi-Koalition bombardieren, nachdem sie von den USA betankt wurden, oder wohin diese überhaupt fliegen. Ob Rebellen oder Zivilisten mit seiner Hilfe bombardiert werden, interessiert das Pentagon nicht: „Sie fordern Betankungen an, wir liefern“, erklärt ein Centcom-Sprecher die Abläufe.
Auch die Ausbildung des saudischen Militärs durch die USA ist von zentraler Bedeutung. Spätestens seit 1977 gibt es derartige Trainingsmissionen im Königreich, um „unsere gemeinsamen Interessen in Middle East zu verteidigen“, wie es auf den Seiten des US Centcom heißt. In letzter Zeit wurde das Programm deutlich hochgefahren. Allein im ersten Jahr des Jemen-Kriegs wurden 641 Saudis an eben jenen Kampfjets aus US-amerikanischer Produktion ausgebildet, die im Anschluss ihre US-gefertigten Bomben auf Beerdigungen, Schulen, Krankenhäuser, Hochzeiten und Flüchtlingslager abluden.
Doch die Rolle der US-Ausbilder geht über bloßes Training weit hinaus: Nach ihrem Selbstverständnis begreift sich die US-Trainingsmission auch als „Vertreter von US-Unternehmen, um Rüstungsgeschäfte mit den saudischen Streitkräften“ einzufädeln.
Hinzu kommt US-Support auf vielen weiteren Ebenen, etwa logistische Unterstützung, Bereitstellung von Geheimdienstinformationen, Entsendung von Militärberatern und mit am wichtigsten: die politische und diplomatische Rückendeckung. Ohne den Freifahrtschein aus dem Weißen Haus hätte die Saudi-Koalition die drei Jahre andauernde Vernichtung des ärmsten Lands der Arabischen Welt politisch nicht überlebt.
Halten wir fest: Ohne die USA wäre der erbarmungslose Bombenkrieg der Saudi-Koalition im Jemen undenkbar. Würde Washington die Unterstützung heute einstellen, wäre der Krieg morgen beendet.
Warum diese bedingungslose Unterstützung?
Um den umfassenden Support der Saudis durch die USA zu verstehen, muss neben allgemeingültigen Erklärungen wie der historischen Saudi-US-Allianz und die für US-Rüstungskonzerne höchst lukrativen kriegsbedingten Waffendeals ein weiterer zentraler Punkt berücksichtigt werden, um den sich für die Saudis im Nahen und Mittleren Osten letztendlich alles dreht: der Iran. Insbesondere der so wichtige Iran-Nukleardeal von 2015.
Die Saudis wollten das Zustandekommen des Iran-Deals um jeden Preis verhindern und waren am Ende wutentbrannt über das historische Abkommen. Obamas Entscheidung, den Krieg der Saudis gegen die Bevölkerung des Jemen überhaupt erst zu ermöglichen, ist als Geste der Wiedergutmachung zu verstehen, als Beschwichtigung eines wegen des Iran-Deals aufgebrachten Hauses Saud.
„Auf keinen Fall glaube ich, dass wir da voller Eifer reingegangen sind,“ meint ein ehemaliger US-Botschafter im Jemen, doch die Saudis hätten wegen des Iran-Deals „geschäumt vor Wut.”
Doch nicht nur in Saudi-Arabien, auch die iranophoben Elemente im eigenen Land sollten ruhiggestellt werden, denn von den rechtsaußen Iran-Falken in Washington wurde der Obama-Regierung stets Schwäche gegenüber dem Iran unterstellt.
Der Senator und Präsidentschaftskandidat für die Republikaner John McCain begründet seinen Einsatz für einen umstrittenen Milliardenrüstungsdeal an die Saudis, der unter anderem die Lieferung von 150 Abrams Panzern beinhaltete, mit folgenden Worten: „Die Blockierung dieses Panzerdeals würde von unseren Partnern am Golf als ein weiteres Zeichen dafür interpretiert werden, dass die USA ihr Engagement in der Region aufgeben und ein unzuverlässiger Sicherheitspartner sind.“
Der iranophobe Scharfmacher McCain räumt also unverblümt ein, dass er Lieferungen von schwerstem Kriegsgerät als Gesten des guten Willens versteht, um einen wegen des Iran-Deals eingeschnappten Bündnispartner ruhigzustellen. „Darum geht es bei dieser Abstimmung.“ Der Panzer-Deal wurde abgenickt.
Die Bevölkerung des Jemen war der Bauer auf Obamas Schachbrett, der für das Zustandekommen des Iran-Deals geopfert wurde. Komplizenschaft in Kriegsverbrechen als Geste der Wiedergutmachung – so zynisch wie nur Geopolitik sie sein kann.
Washingtons ganz eigene Massaker im Jemen
Doch die USA sind im Jemen keineswegs bloße Komplizen in Kriegsverbrechen der Saudi-Koalition, vielmehr blickt Washington auf eine eigene lange Liste an Massakern an der Bevölkerung des Jemen zurück.
Mindestens seit 2000 sind die USA im Jemen aktiv, nach den Anschlägen vom 11. September wurde das Land schließlich eines der Kerngebiete des „War on Terror“. 2002 begann Washington sein Drohnenprogramm im Jemen, wobei nach konservativen Schätzungen in mindestens 302 Angriffen bis zu 1.341 Menschen getötet wurden. Nur ein Drohnenschlag wurde hiervon unter George Bush autorisiert, alle anderen unter Friedensnobelpreisträger Obama und schließlich Trump.
Neben vielen anderen US-Verbrechen im Jemen sticht besonders das Massaker von Al-Majalah heraus. Im Dezember 2009 feuerte die US Navy fünf Tomahawk-Cruise-Missiles bestückt mit international geächteter Streumunition auf das kleine Beduinen-Dorf in Zentraljemen ab. Neben 14 mutmaßlichen Al-Qaida-Mitgliedern wurden im Massaker mindestens 41 Zivilisten ermordet, darunter 21 Kinder und neun Frauen, fünf von ihnen schwanger. Durch verzögerte Explosionen von Blindgängern wurden in den Wochen nach dem Anschlag weitere 17 Zivilisten getötet oder schwer verletzt – aus eben diesem Grund stellt der Einsatz von Streumunition per se Kriegsverbrechen dar.
Die berühmte Obama-Doktrin besagt, Angriffe würden nur ausgeführt, um „eine unmittelbare Bedrohung der amerikanischen Bevölkerung“ abzuwenden und nur dann, wenn „nahezu Gewissheit besteht, dass keine Zivilisten getötet oder verletzt werden“.
Welche „unmittelbare Bedrohung der amerikanischen Bevölkerung“ geht von einem Beduinen-Dorf inmitten der jemenitischen Wüste aus?
Die Blutlinie, die Trump mit Obama verbindet: Der Fall al-Awlaki
Im September 2011 tötete auf Befehl des Präsidenten eine US-Drohne im Jemen den in New Mexico, USA, geborenen Anwar al-Awlaki. Barack Obama setzte damit einen gefährlichen Präzedenzfall: Die USA töten von nun an ohne Anklage geschweige denn fairen Prozess auch US-Amerikaner überall auf der Welt. Obama, der Professor für Verfassungsrecht, setzt endgültig die US-Verfassung außer Kraft, indem er per präsidialer Unterschrift in Personalunion als Ankläger, Richter und Henker agiert und so die Macht zum außergerichtlichen Töten eines jeden Erdenbürgers im Ledersessel des Oval Office konzentriert.
Kurz darauf stellte Obama diese Macht des US Empire erneut unter Beweis, als eine US-Drohne in der Shabwa-Provinz ihre Hellfire-Raketen auf eine Gruppe Jugendlicher abfeuerte, die sich zum Barbecue versammelt hatten. Unter den Toten des Blutbads: Anwar al-Awlakis Sohn, der US-Amerikaner Abdulrahman al-Awlaki, und einige seiner Cousins. Zwei Wochen nach der außergerichtlichen Exekution seines Vaters wird auch der 16-jährige Abdulrahman von Obama kaltblütig hingerichtet. Erbsünde im 21. Jahrhundert.
Ende Januar 2017 ereignete sich im Jemen das Massaker von Yakla – der erste von Trump autorisierte „Anti-Terroreinsatz“. 30 US Navy SEALs stürmten schwerbewaffnet das Dorf und „feuerten auf alles, was sich bewegte“, während mehrere Kampfhubschrauber aus der Luft „in blinder Panik das gesamte Dorf bombardierten“, wie Iona Craig in ihrem preisgekrönten Bericht für The Intercept dokumentiert. Neben einem toten Navy SEAL wurden bei dem Massaker 31 Menschen getötet, darunter mindestens zehn Kinder unter 13 Jahren, Neugeborene gleichermaßen. Zusätzlich fanden in dem Blutbad 120 Ziegen, Schafe und Esel den Tod – die wirtschaftliche Existenz der Überlebenden wurde zusammen mit ihren Angehörigen ausgelöscht. Trumps Pressesprecher Sean Spicer bezeichnete das Gemetzel als „sehr, sehr gut durchdachten und durchgeführten Einsatz“.
Unter den in Trumps erstem großen Auslandseinsatz getöteten Kindern befand sich auch ein achtjähriges Mädchen, das nach einem Schuss in den Hals elendig verblutete. Ihr Name: Nawar al-Awlaki, US-Amerikanerin, Schwester von Abdulrahman, wie ihr Bruder fünf Jahre zuvor von den USA ermordet.
In seiner ersten Rede zur Lage der Nation glorifizierte Trump im schwulstigen Militarismus den im Jemen getöteten Navy SEAL und machte dessen trauernde Witwe zur Hauptdarstellerin einer perfiden Propaganda-Show, das Massaker von Yakla nannte er eine „höchst erfolgreiche“ Operation, während er die zehn getöteten jemenitischen Kinder unerwähnt ließ, die achtjährige Nawar al-Awlaki unerwähnt ließ.
Der Mord an den unschuldigen Kindern der Awlaki-Familie ist die Blutlinie, die Trumps Präsidentschaft mit der seines verhassten Vorgängers Obama verbindet.
Trump eskaliert den Krieg im Jemen
Im Wahlkampf 2016 schärfte Trump in vermeintlicher Opposition zur Kriegstreiberin Hillary Clinton sein Profil als Nicht-Interventionist, der die Regime-Change-Strategie beenden und sich aus den Kriegsabenteuern der USA in Middle East zurückziehen wolle. Präsident Trump hat all dies vergessen und setzt alles daran, selbst seinen acht Länder bombardierenden Vorgänger Obama in den Schatten zu stellen. Trump agiert in Syrien, Irak, Palästisrael, Afghanistan und vor allem im Iran nach dem Lehrbuch der Washingtoner rechtsaußen Kriegsfalken. Und auch im Jemen eskaliert er die Politik der verbrannten Erde.
In einer zweiten Navy SEALs-Razzia Ende Mai, bei der acht Apache Helikopter und 40 Special Forces das Dorf al-Adhan überfielen, wurden erneut viele Zivilisten ermordet, Kinder und Greise darunter. US-Verteidigungsminister James Mattis findet zum permanenten Morden an der Bevölkerung des Jemen erhellende Worte: „Perfektion überlasse ich Gott.”
Neben Massakern am Boden eskaliert Präsident Trump vor allem den illegalen Drohnenkrieg der USA im Jemen.
Trump beordert Drohnenschläge wie im Blutrausch: in den ersten zwölf Monaten seiner Amtszeit autorisierte er im Jemen fast genauso viele Angriffe (129) wie „Drohnenkönig“ Obama in den gesamten acht Jahren seiner Präsidentschaft (162). Die renommierte Menschenrechts-NGO und Anwaltsvereinigung Reprieve UK spricht von „Exekutionen im industriellen Maßstab“.
Auf der anderen Seite setzt Trump auch alles daran, den Krieg der Saudis im Jemen zu eskalieren. Gewisse Beschränkungen der Obama-Ära und die im Dezember 2016 gegen die Saudis verhängten zaghaften Strafmaßnahmen werden von der Trump-Administration aufgehoben.
Nachdem Trump im Wahlkampf noch aufs Schärfste gegen die Saudis gehetzt hatte (und nebenbei trotzdem acht neue Firmen in Saudi-Arabien gründete), ist Präsident Trump nun der engste Verbündete, den das Haus Saud seit Jahrzehnten im Weißen Haus hatte. Trumps erster Auslandsbesuch ging nach Riad, wo er zum saudischen Wohlwollen in seiner Rede Dutzende arabische und islamische Führer auf den Kampf gegen den Iran einschwor, mit den Saudis den Schwerttanz tanzte und zusammen mit seiner Frau, König Salman und dem zweiten von ihm verehrten Tyrannen der Region – Ägyptens Militärdiktator General Al-Sisi – schließlich das hier machte:
Donald Trump steht treu an der Seite der faschistischen Diktatur Saudi-Arabien. Die Leidtragenden dieser unheilvollen Allianz sind die geplagten Kinder, Frauen und Männer im Jemen.
Dies ist der sechste Artikel eines mehrteiligen Jemen-Specials im März hier auf Die Freiheitsliebe.