"LEBEN UND LIEBEN OHNE BEVORMUNDUNG" Demonstation und Kundgebung auf dem Platz des 18. März am Berliner Brandenburger Tor. Zahlreiche Frauen demonstrieren friedlich und in guter Stimmung mit Transparenten und Demo-Tafeln für die Abschaffung des § 218, mehr Selbstbestimmung und für die Stärkung ihrer Rechte. © Uwe Steinert, Berlin. www.uwesteinert.de

Der Kampf um sexuelle Selbstbestimmung ist elementarer Bestandteil eines linken Feminismus

Die Ausgangslage für parlamentarische Initiativen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen ist derzeit schwierig: Viele Frauen* sind bereits so daran gewöhnt, dass auf ihren Körper (auch) von Seiten des Staates zugegriffen wird, dass sie sich mit dem Status Quo irgendwie arrangiert haben. Obwohl es auch aktuell Proteste gibt, wird das große Mobilisierungspotential, das die Forderung nach einem Recht auf legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche in den 1970er Jahren hatte, nicht mehr erreicht.
Zwangsberatung und Bedenkzeit sind zwar lästig, aber hindern letztlich ja nicht an einem sicheren Eingriff. Denn Schwangerschaftsabbrüche sind zwar weiterhin rechtswidrig, unter festgelegten Voraussetzungen allerdings straffrei. Angesichts der vielen Hürden und Gefahren, die sich Frauen auch in Deutschland noch jeden Tag stellen, scheint die Streichung des Abtreibungsparagraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch damit nicht die gleiche Dringlichkeit zu besitzen. Dabei steht eben dieser Paragraph für den Generalverdacht gegenüber Frauen, mit dem ihnen die vollständige Souveränität über Leib und Leben abgesprochen wird. Er ist daher auch ein Hebel, an dem konservative und reaktionäre Kräfte ansetzen, um ein Weltbild zu propagieren, in dem Sexualität nicht der Lust (schon garnicht von Frauen), sondern lediglich der Fortpflanzung dient. Und diese werden derzeit immer sichtbarer und vehementer.

Am kommenden Samstag (19.9.2015) werden wieder über 5000 selbsternannte „Lebensschützer_innen“ zum sogenannten „Marsch für das Leben“ in Berlin erwartet. Die vom Bundesverband Lebensrecht (BVL) veranstaltete Demonstration gilt als ihre größte öffentliche Bühne und jährlich werden es mehr. Aber auch außerhalb dieses Events tauchen die „Lebensschützer_innen“ verstärkt mit Aktionen gegen Mediziner_innen und betroffene Frauen* auf. Es mehren sich Berichte über Verleumdungen im Internet, Strafanzeigen und sogenannte „Gehsteigberatungen“, bei denen schwangere Frauen vor Beratungsstellen belagert werden. Auch politisch sind sie gut vernetzt: Grußworte kamen letztes Jahr von namhaften Unionsabgeordneten, etwa Volker Kauder, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, oder Thomas Schäfer, dem hessischen Finanzminister. Das Ziel der „Lebensschützer_innen“ ist ein generelles Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, dass sie damit begründen, dass das Lebensrecht des Fötus über dem Selbstbestimmungsrecht der Frau stehe.

Cornelia Möhring
Cornelia Möhring

Dem widerspricht DIE LINKE. vehement. Sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Wir rufen daher für den Samstag zur Gegendemonstration mit auf. Es ist ein wichtiger Moment, um den Fundamentalist_innen kein freies Spiel zu lassen und an dieses Recht zu erinnern. Um seine tatsächliche Umsetzung zu erreichen, müssen wir diese Proteste aber wieder engagierter und weitgreifender mit einer innerlinken wie gesamtgesellschaftlichen Debatte verknüpfen. Denn das (sexuelle) Selbstbestimmungsrecht von Frauen ist komplex: es wird von zahlreichen Faktoren bedingt und berührt unterschiedliche Bereiche – weit über die Kontrolle der Fortpflanzung hinaus. Aus der Perspektive eines dezidiert „Linken Feminismus“ geht es etwa um die Berücksichtigung der materiellen Voraussetzungen von Wahlfreiheit. Der Zugang zu dem für eine Frau am besten geeignete Verhütungsmittel, darf nicht am HartzIV-Regelsatz scheitern. Die Einnahme der „Pille danach“ im Notfall, nicht an der anerzogenen Scham oder einer schlechten Informationslage. Nicht zuletzt deshalb hat die LINKE erfolgreich mit für die rezeptfreie Abgabe in der Apotheke gekämpft. Ein „Linker Feminismus“ richtet sich aber auch gegen die bloße Wahl zwischen jenen Optionen, die uns Kapitalismus und Patriarchat anbieten. Die Sexualisierung des weiblichen Körpers in unserer Gesellschaft führt dazu, dass Frauen zu Objekten degradiert werden, an die ganz bestimmte Ansprüche gestellt werden. Abweichungen werden bestraft. Das Selbstbestimmungsrecht muss daher auch gegen die immense Wucht an Alltagssexismus erkämpft werden.

Das ist nicht zuletzt an der aktuellen Debatte um Sexarbeit zu erkennen. Frauen*, noch immer die größte Gruppe der in der Sexarbeit Tätigen, wird dabei immer wieder abgesprochen, dass sie sich selbst und in vollem Bewusstsein für diesen Beruf entschieden haben könnten. Diese Form der Ausübung ihrer Sexualität soll deshalb nun auch staatlich durch das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz so stark kontrolliert werden, dass eine freie Ausübung kaum noch möglich ist.
Um mit parlamentarischen Initiativen Erfolg zu haben, brauchen wir eine solche Debatte, die das Bewusstsein für die Bedeutung und die Vielschichtigkeit unseres Rechts auf Selbstbestimmung schafft.

Ein Gastbeitrag von Cornelia Möhring,
frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag

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