Defender 2020 – Keine weiteren Spannungen mit Russland!

Die USA setzen derzeit das größte Militärmanöver seit rund 25 Jahren in Zentral- und Osteuropa um. Zwischen Mitte/Ende Januar bis in den Mai 2020 hinein findet auch auf deutschem Boden das US-Verlege- und Logistikmanöver „Defender 2020“ statt. 17 weitere NATO-Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, beteiligen sich an der Umsetzung des US-Manövers. Begründet wird die „Notwendigkeit“ des Manövers mit der „Veränderung der sicherheitspolitischen Lage seit 2014 mit einer möglichen Bedrohung der Sicherheit, insbesondere unserer Bündnispartner in Osteuropa“.

Aber genau diese Argumentation macht eine kritische Retrospektive auf die außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa der letzten drei Dekaden erforderlich. Die Begründung geht also von einer Bedrohung aus, dessen Träger – Russland – nicht namentlich genannt, jedoch gemeint ist. Der Verweis auf das Jahr 2014 spielt auf die Konfliktsituation in und um die Ukraine, insbesondere seit Ende 2013 bis in die Gegenwart an. Auch ist der Verweis auf die „Bündnispartner in Osteuropa“ von Interesse für die Retrospektive.

Ein Blick zurück

Der damalige sowjetische Generalsekretär der KPdSU und sowjetischer Präsident Gorbatschow hat Mitte der 1980er Jahre eine Entspannungspolitik und im Ergebnis das Ende der Blockkonfrontation eingeleitet. Die sowjetische Führung vollführte einen Paradigmenwechsel: Weg von der Spannungs- und Un-Sicherheitspolitik hin zu einer Politik der gemeinsamen Sicherheit im euroatlantischen Raum bis Wladiwostok (also unter Einschluß der gesamten Sowjetunion). Der Begriff des Gemeinsamen europäischen Hauses machte die Runde. Die westlichen politischen Entscheider begrüßten diesen neuen Kurs – wie sich später jedoch herausstellen sollte, aber nur scheinbar. Mit dem Ende des Kalten Krieges, der Deutschen Einheit, der Auflösung des Warschauer Paktes und dem Zerfall der Sowjetunion stand der Westen in der Eigenwahrnehmung plötzlich als Sieger der Konfrontation dar. Sämtliche Ideen der kollektiven Verständigung und gemeinsamen Sicherheit wurden beiseite gewischt. Die im Rahmen der Verhandlungen über die Deutsche Einheit gemachten Versprechungen der USA, die NATO nicht über Deutschland hinweg zu erweitern, wenn die Sowjetunion den Verbleib Gesamt-Deutschlands in der NATO akzeptiere, entpuppten sich als Lug und Betrug. Die sowjetische Seite hatte sich blenden lassen, indem sie auf eine vertragliche Festlegung dieses Versprechens verzichtete – ein unverzeihbarer Fehler der damaligen zunehmend unfähigen sowjetischen Führung unter Gorbatschow. Der Rest der Geschichte ist bekannt: 1999 wurde unter der Formel der „Offenen Tür“ der NATO diese sukzessive erweitert. Dieser Erweiterungsprozess läuft bis heute. Derzeit findet die Integration der post-jugoslawischen Republik Makedonien statt, die seit einigen Monaten Republik „Nord-Makedonien“ heißt. Der Namenswechsel wurde von Griechenland (wohlgemerkt unter der linken Regierung SYRIZA) als Voraussetzung der Integration in den euroatlantischen Raum gefordert. Und die eingekaufte Politmachtclique Makedoniens unter Zaev lieferte Griechenland und den USA den Namenswechsel, obschon ein Referendum zum Namenswechsel von der Bevölkerung boykottiert wurde. Auch wurden postsowjetische Republiken in die NATO aufgenommen. Protest der russischen Seite gegen diese sicherheitspolitischen Raumgewinne entgegen der US-Zusage von 1990 wurden und werden kühl beiseite gewischt.

Der Fünftage-Krieg zwischen Georgien und Russland im Jahre 2008 war der erste Abwehrkrieg Russlands gegen die Ausdehnung der westlichen Einflusssphären im postsowjetischen Raum. Der 2014 vom Westen in der Ukraine beförderte Putsch (um das Land in den euro-atlantischen Einflussraum zu integrieren), die darauf folgende Sezession der Krim und ihre völkerrechtswidrige Integration in die Russische Föderation, der Krieg in der Ostukraine sowie der Syrien-Krieg sind reale Ausdrucksformen dieses geopolitischen und geoökonomischen Machtkampfes. Noch befindet sich Russland in diesem Konflikt in der Defensivposition, d. h. es verteidigt seine noch verbliebenen Einflussregionen auch mit militärischen Mitteln, wo es möglich ist. Die NATO-Politik der „Offenen Tür“, d. h. der Expansion nach Osten ist, wie bereits erwähnt, nach wie vor offizielle Programmatik des Militärbündnisses. Auch unterhalb der NATO-Vollmitgliedschaft existieren NATO-Programme und -Institutionen in Georgien, der Ukraine, Moldawien etc., die einen Beitritt vorbereiten sollen. Ein sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel in Richtung Verständigung und De-Eskalation mit Russland ist nicht Bestandteil des Denkens und Handelns der selbsternannten Sieger des Kalten Krieges. Der Sieger beansprucht weiter für sich das Recht, geostrategische Beute machen zu dürfen.

Angesichts dessen wird eben auch der Georgien-Krieg und der Konflikt um die Ukraine mit Russland in den westlichen Thinktanks, den politischen Klassen und vielen Medien als eine bodenlose Unverschämtheit perzipiert. Russland als Aggressor, das sich nicht (mehr) in die vom Sieger des Kalten Krieges konzipierten „Neuen Weltordnung“ (US-Präsident Bush sen.) und der „europäischen Friedensordnung“ (Charta von Paris, EU und NATO) einordnen, besser gesagt unterordnen will. Kurzum: Die NATO verschiebt ihre militärische Infrastruktur immer weiter an die russischen Grenzen unter Bruch ihres Versprechens 1990. Und Reaktionen Russlands auf diese offensiven Maßnahmen der US-geführten NATO werden als Aggression und Bedrohung bezeichnet. Verkehrte Wahrnehmung, die jedoch bedauerlicherweise auch von den meisten Medien und Journalisten im Westen mit voller Überzeugung, dass wir die Guten sind, so verbreitet wird. Da die russische Föderation nicht mehr bereit ist, der geopolitisch und imperialistisch motivierten Politik der USA und ihrer europäischen Vasallen tatenlos zu zusehen, rüstet die NATO-Staaten massiv auf (2 Prozent BiP) und trainiert ihre militärischen Fähigkeiten möglichst nah an Russlands Grenzen, um zu zeigen, wer das Sagen hat. Im Zeitraum 2014 bis 2018 hat die NATO viermal mehr Manöver durchgeführt als die Russische Föderation. Dies ergab eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von mir. Und weil die entlarvende Antwort der Bundesregierung gegenüber der Öffentlichkeit irgendwie doof aussieht, hat sie die Antwort kurzerhand eingestuft. Ist also der deutschen Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Epochenwechsel:

Von der unipolaren zur multipolaren Weltordnung und der westliche Widerstand

Defender 2020 ist genau Ausdruck dieser militärisch basierten Machtpolitik. Unter US-Führung hat sich schon ein Paradigmenwechsel vollzogen, nicht was den eigenen Machtanspruch anbetrifft, sondern was die Herausforderer des eigenen in den Augen der USA und ihrer Vasallen quasi naturgesetzlich verbürgten exklusiven Hegemonialanspruch anbetrifft. Solange Russland und China schwach waren, konnte man gefahrenlos seinen imperialen Raum erweitern. Hauptfeind war der „Internationale Terrorismus“. Seit dem Russland und China, ja auch der Iran ihre Interessen zunehmend selbstbewußt formulieren, werden sie als „Störer“ (Kuba, Syrien, Iran etc) und „Herausforderer“ (Russland, China etc.) der westlichen „liberalen“, also imperialen Weltordnung betrachtet, so beispielsweise in dem Konzept „Neue Macht Neue Verantwortung“ der Stiftung „Wissenschaft und Politik“ und dem „German Marshall Fund“ aus dem Jahre 2012/13. Oder auch in der Erklärung des NATO-Gipfels in London von Dezember 2019. Diese neue Epoche wird seitens der USA auch als Kampf der Großmächte verstanden, bei dem alles erlaubt ist: Das Völkerrecht wird faktisch ad acta gelegt und die zu bekämpfenden islamistischen Terroristen in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten sowie faschistische Nationalisten in der Ukraine sind inoffizielle Verbündete im geopolitischen und geo-ökonomischen Machtkampf. Aber auch Russland, China und der Iran bedienen sich fragwürdigen Proxies. Auf der Strecke dieses brutalen Machtkampfs zwischen diesen „Großmächten“ bleiben viele Millionen getötete Zivilisten und ein paar Krokodilstränen, wenn die Medien mal Bilder zerbombter Leiber von Frauen und Kindern zeigen und westliche Großmachtpolitiker gerne die mittlerweile inflationär genutzte Floskel, „mit militärischen Mitteln sei der Konflikt nicht zu lösen“ bemühen, um dann doch die Bundeswehr irgendwie ins Spiel zu bringen.

Defender 2020

Am 1. Oktober 2019 wurde ich als Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss erstmals schriftlich über das geplante US-Manöver Defender 2020 informiert. Der sprachliche Duktus dieses Schreibens wie auch der Inhalt zeigt, mit welchem Eifer man daran teilnehmen will und man sich als US-Vasall so richtig gut andienen kann. Hier der Auszug:

„Die Übung unterstreicht den transatlantischen Zusammenhalt des NATO-Bündnisses und die Wertschätzung der USA für eine multilaterale und partnerschaftliche Zusammenarbeit.“

(Anmerkung A.N.: ausgeprägte Fehlwahrnehmung US-amerikanischer Politik durch ein unter Vasallen häufig vorkommendes Krankheitsbild, nämlich der Angst vor Aufmerksamkeitsreduktion des Herrn).

Und weiter: „Deutschland hat ein wesentliches Interesse daran, im Rahmen von DEF 20 unter Beweis zu stellen, dass wir auch als Drehscheibe und Transitland unsere zentrale Rolle in der NATO erfüllen und damit einen substantiellen Beitrag  für die gemeinsame europäische und euroatlantische Sicherheit leisten können. (…). Zum Gelingen dieses für Deutschland und das transatlantische Bündnis überaus wichtigen Vorhabens bitte ich um Ihre Unterstützung“.

Neben dem widerlichen inhaltlichen Aspekt, dass der Generalinspekteur der Bundeswehr, Zorn, so sein Name, Deutschland zum Hinterland und Drehscheibe für einen möglichen Krieg gegen Russland – zumindest aber für ein solches Manöver – macht, hat mich besonders entsetzt, dass er ausgerechnet mich um Unterstützung bittet. Zu seiner Ehrenrettung sei vermerkt, dass er für die sechs Obleute der sechs Fraktionen einen einheitlichen Text verfasst hatte und keinen gesonderten Text an mich formulieren wollte.

Ich werde selbstverständlich nicht „zum Gelingen“ von Defender 2020 beitragen, sondern im Gegenteil, dazu aufrufen, gegen dieses Manöver gesellschaftlichen Widerstand zu leisten.

Aktuelle Informationen dazu sind abrufbar unter:

Meiner Homepage und Facebook:  Stoppt Defender2020


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8 Antworten

  1. „.. die darauf folgende Sezession der Krim und ihre völkerrechtswidrige Integration in die Russische Föderation, der Krieg in der Ostukraine sowie der Syrien-Krieg sind reale Ausdrucksformen dieses geopolitischen und geoökonomischen Machtkampfes. Noch befindet sich Russland in diesem Konflikt in der Defensivposition, d. h. es verteidigt seine noch verbliebenen Einflussregionen auch mit militärischen Mitteln, wo es möglich ist.“

    Der ganze Text ist nichts wert, wenn wir dieses kurze Zitat anerkennen. Es zeigt uns einen voellig irrealen Ausgangspunkt in der Betrachtung. Wir sollten festhalten, dass der ganze Nato-Block, Mitglieder und Alliierte, sich in der Defenzive befinden und deshalb alles auf die militaerische karte setzen in der Hoffnung, dort noch trumpfen zu koennen. Nur, ich vermute, dass sich dies als grosse Illusion erweisen wird.

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