Chinas Aufstieg – ein Blick zurück

Der Sozialismus chinesischer Prägung ist in ein „neues Zeitalter“ eingetreten. Das hatte Staatsoberhaupt Xi Jinping bereits auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Oktober 2017 verkündet und darauf verwiesen, dass die Evolution des „Widerspruchs zwischen der unausgewogenen und unzureichenden Entwicklung und den ständig wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung nach einem schönen Leben“ vor einer historischen Verschiebung stünde.[i]

Teil 1 unseres Zweiteilers über Chinas Aufstieg.

Und in der Tat: Der beispiellose ökonomische Aufstieg hat für weite Teile der Bevölkerung zu sozialpolitischen Verbesserungen geführt. Und trotzdem gehört China zu den Ländern mit den höchsten Wachstumszahlen einerseits und zu denjenigen mit der größten sozialen Ungleichheit andererseits. Es zeigt sich: Die Einleitung der Wirtschaftsreformen unter Deng Xiaoping 1978 war kein technischer Prozess, der klassenneutral nur Wachstum stimuliert hat. Vielmehr muss festgehalten werden, dass im Zuge der Wirtschaftsreformen neue Klassenbeziehungen entstanden sind. Sie haben China als Klassengesellschaft neu geordnet und dabei die Rolle der Kommunistischen Partei (KPCh) verändert.[ii]

Ökonomisches Wachstum und soziale Ungleichheit

Über die ökonomischen Erfolge der VR China ist ausführlich berichtet worden. Seit 1978 kann das Land auf einen rasanten Aufstieg zurückblicken, in dessen Verlauf das Bruttosozialprodukt von 305 Milliarden US-Dollar (1980) auf 13.368 Milliarden US-Dollar (2018) um 4.383 Prozent gestiegen ist – einem Anstieg um das Dreiundvierzigfache also. Ebenso ausführlich fallen aber auch die Berichte über die sozialen Verwerfungen aus, die im Zuge dieses Prozesses aufgetreten sind. Immer wieder wird dabei auf die mehr als 250 Millionen Wanderarbeiter verwiesen, die in Chinas Wirtschaftssonderzonen zu Bedingungen und Löhnen arbeiten, die an frühkapitalistische Verhältnisse erinnern. Ökonomischer Aufstieg der Volkswirtschaft auf Kosten weiter Teile der Bevölkerung? Oder hat das Wachstum auch Spielräume für die Armutsbekämpfung eröffnet?

2016 stellte der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, Philip Alston, fest, dass der Zentralregierung im Zuge der Wirtschaftsreformen eine Armutsbekämpfung gelungen sei, die außergewöhnlich“ ist.[iii] Aston verweist darauf, dass nach offiziellen Angaben etwa 700 Millionen Menschen „aus der Armut befreit“ worden seien. Er benennt die Krankenversicherung, die bereits für 95 Prozent der Bevölkerung gelte, obwohl dies noch 2003 nur für zehn Prozent der Fall gewesen sei. Und er lenkt den Blick auf die 842 Millionen Menschen, die 2014 unter ein Altersversorgungssystem fielen. Hinzu käme die Auflegung von Sozialhilfeprogrammen für ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, Jugendliche sowie Menschen, die unterhalb von lokal definierten Armutsgrenzen lebten. Die Kindersterblichkeitsrate sei um 60 Prozent gefallen und die Lebenserwartung auf 75 Jahre gestiegen.[iv] Weniger als sechs Prozent der Bevölkerung lebten 2015 in extremer Armut.[v]

Zweifelsohne ist die Zentralregierung um eine Verbesserung der sozialen Lage bemüht. Doch die Entwicklungen verlaufen deutlich widersprüchlicher, als Alston sie darstellt. Das Sozialversicherungssystem trat 2011 mit dem Social Insurance Law in Kraft und umfasst die fünf Säulen Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Mutterschaftsgeld, Arbeitsunfallversicherung und Rentenversicherung. Es ist ausgesprochen zersplittert. Beitragshöhe und Aufteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind lokal geregelt und variieren stark.[vi] Sie sind zudem nur für die Stadtbevölkerung obligatorisch und bewegen sich zwischen öffentlicher Gesundheitsversorgung und kommerzieller Privatversicherung. Trotz der Reformen im Gesundheitswesen hat sich die Gesundheitsversorgung im Verlaufe der Reform-Ära zunehmend verschlechtert, da die lokalen Regierungen auf Budgetkürzungen vielfach mit Privatisierungen im Bereich der Daseinsvorsorge reagierten.[vii]

Auch die Rentenversicherung ist keine vollständig beitragsfinanzierte Altersabsicherung. Das Rentensystem besteht vielmehr aus drei Teilen: der Grundrentenversicherung auf der ersten Stufe, der betrieblichen und beruflichen Rentenversicherung auf der zweiten Stufe und der individuellen gewerblichen Rentenversicherung auf der dritten Stufe. Auch hier gilt: Auf dem Land ist die öffentliche Altersvorsorge kaum ausgebaut, die Mitgliedschaft ist freiwillig und die Umsetzung liegt jeweils bei den lokalen Regierungen. Hinzu kommt: Die Leistungen aus den staatlichen Versorgungssystemen sind auf dem Land deutlich geringer als in den Städten. Weil die Altersarmut nach wie vor ein Problem ist, ermuntert die Regierung die Menschen, auch privat fürs Alter vorzusorgen. Die Behörden experimentieren mit Steuervergünstigungen für private Vorsorgeprodukte. Im Gespräch ist auch, ausländischen Anbietern den Vertrieb solcher Produkte in China zu erleichtern. Im Hinblick auf die etwa in Deutschland gesammelten Erfahrungen einer privaten Altersvorsorge sollten diese Entwicklungen äußerst skeptisch betrachtet werden.[viii]

Auch jenseits der sozialen Sicherungssysteme zeigt sich an der Einkommensverteilung eine wachsende soziale Spaltung. So nahm im Zeitraum von 1978 bis 2015 der Anteil des Nationaleinkommens, das in den Taschen der zehn Prozent einkommensstärksten Chinesen fließt, von 27 auf 41 Prozent zu. Dagegen sank der Anteil der Bevölkerungshälfte mit den niedrigsten Einkommen von 27 auf 15 Prozent. Die Mittelschicht konnte ihren Einkommensanteil bei 45 Prozent halten und lag damit nur geringfügig über dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen. Im Vergleich mit Frankreich und den USA steigen in allen drei Ländern die realen Einkünfte der Spitzenverdiener schneller und die realen Einkünfte der 50 Prozent mit den untersten Einkommen langsamer als der Durchschnitt – in China vollzieht sich diese Entwicklung am drastischsten. Der französische Ökonom Thomas Piketty wies deshalb in seiner Studie „Capital, Accumulation, private Property and rising Inequality in China, 1978-2015“ von 2017 darauf hin, dass die Entwicklung in China damit dem weltweiten Trend folgt, wonach immer weniger Menschen von ökonomischen Wachstumserfolgen und steigendem Wohlstand profitierten.[ix]

Entwicklung bis 1979

Die Volksrepublik China wurde 1949 nicht als sozialistischer Staat, sondern als Demokratie gegründet. Die fünf Sterne auf der Nationalflagge stehen für das Bündnis aus Arbeiterklasse, Bauern, Kleinbürgern und nationaler Bourgeoisie unter Führung der KPCh.[x] Zum Gründungszeitpunkt war China ein rückständiges und halbfeudales Land. Gesundheits- und Bildungswesen waren unterentwickelt. Die Lebenserwartung lag bei etwa 28 Jahren. Die Analphabetenquote bei 80–85 Prozent. Ein Industrialisierungsprozess hatte sich allenfalls marginal vollzogen: 65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes stammten aus der Landwirtschaft. Gerade einmal vier Millionen der damals 400 Millionen Chinesen waren in der Industrie tätig. Industrielle Schwerpunkte konzentrierten sich allenfalls auf einige Küstenstädte und die Mandschurei.

Die KPCh konzentrierte sich zunächst auf die Verbesserung der Lebensbedingungen und erzielte erstaunliche Erfolge. Bereits 1953 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 40, 1976 sogar bei 64 Jahren. Die Säuglingssterblichkeit sank von 26 pro Tausend Lebendgeborenen auf knapp 8 pro Tausend. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Kinder, die eine Grundschule besuchten, von 25 Prozent 1949 auf 96 Prozent 1976. Diese Entwicklung war Folge einer forcierten Industrialisierungsstrategie, die von Machtkämpfen innerhalb der KPCh geprägt war. Immer wieder kollidierten dabei objektive ökonomische Rückständigkeit und subjektive Zielsetzungen miteinander und fanden ihren politischen Ausdruck in halsbrecherischen Kampagnen. Diese Entwicklung lässt sich grob in fünf Phasen unterteilen.

Phase der neuen Demokratie (1949–1952):Im Zentrum stand der Wiederaufbau der durch den Bürgerkrieg zerstörten industriellen Strukturen. Gleichzeitig wurde 1950 eine Agrarreform durchgeführt, die die Widersprüche des halbfeudalen Landes sichtbar machte: 43 Prozent der agrarischen Nutzfläche wurden an 60 Prozent der ländlichen Bevölkerung neu verteilt, das Land der reichen Bauern jedoch vielfach nicht angetastet. Die KPCh versuchte damit einerseits, ihre Unterstützung durch die armen Bauern aufrechtzuerhalten. Andererseits durfte sie die reicheren Bauern, deren Nahrungsmittelproduktion für das Land insgesamt wichtig war, nicht verärgern. Mao rechtfertigte diese Politik im Juni 1950, in dem er erklärte, von den reichen Bauern gehe nicht mehr die Gefahr wie zu Zeiten des Bürgerkrieges aus.[xi]

Sozialistische Umwälzung (1953–1958): Mit dem ersten Fünfjahresplan orientierte sich die KPCh ab 1953 am sowjetischen Entwicklungsmodell. Im Zentrum standen Verstaatlichung und Kollektivierung, ebenso wie die Entwicklung der Schwerindustrie auf Kosten der Leicht- und Konsumgüterindustrie. Nur 6,2 Prozent der staatlichen Investitionen gingen in die Landwirtschaft, während der Anteil der Industrieinvestitionen bei 61,8 Prozent lag.[xii] In dieser Zeit wuchs die Abhängigkeit von der Sowjetunion. Landwirtschaft und Leichtindustrie verlangsamten sich. Mit der Hundert-Blumen-Kampagne schaltete Mao jedoch parteiinterne Kritiker aus. Unter ihnen die brillantesten Sozial-, Wirtschafts- und Naturwissenschaftler des Landes.

Großer Sprung nach vorn (1958–1963): Im Zentrum des zweiten Fünfjahresplans stand ab 1958 eine beschleunigte Kollektivierung der Landwirtschaft. Um durch größere Betriebseinheiten die Agrarproduktion zu steigern, wurden landesweit 740.000 Genossenschaften zu 26.000 Volkskommunen zusammengefasst. Sie umfassten 120 Millionen ländliche Haushalte und 99 Prozent der Landbevölkerung.[xiii] Gleichzeitig sollten die Dörfer durch eine Stahlkampagne industrialisiert werden, überschrieben mit völlig unrealistischen Zielformulierungen: So sollte Großbritannien in der Eisen- und Stahlproduktion in nur fünfzehn Jahren eingeholt werden. Die Folge waren schwere ökonomische Schäden. Mit dem Anstieg der Investitionen im Industriesektor, stiegen auch die Getreideexporte in die Sowjetunion. Sie waren Chinas Zahlungsmittel für schwere Maschinenausrüstungen. Damit fiel die durchschnittlich verfügbare Pro-Kopf-Getreidemenge von 205 Kilogramm 1957 auf 154 Kilogramm im Jahr 1961 und führte zusammen mit externen Faktoren wie Witterungseinbrüchen zu Produktionseinbrüchen und einer Hungersnot, die bis 1962 Millionen Chinesen das Leben kostete.[xiv]

Konsolidierungsphase (1963–1968): Nach der Hungerkatastrophe entbrannte in der KPCh ein Streit über die weitere wirtschaftspolitische Ausrichtung. Bereits in der Vergangenheit hatten sich neben den Traditionalisten um Mao Zedong die pragmatischen Wirtschaftsfachleute um Liu Shaoqi und Zhou Enlai zusammengetan. Mit den Folgen des Großen Sprungs geriet Mao in die Defensive. Die Gruppe um Liu übernahm die politische Führung. Sie leiteten eine ökonomische Umsteuerung ein, deren Kern die Rücktransferierung eines Teils der großen Handwerks- und Handelskollektive in Genossenschaften war. Dabei wurde das Programm der Realität angepasst.[xv] Selbst die Privatisierung einiger Genossenschaften und das Engagement privater Gewerbetreibender wurde wieder zugelassen. Im Ergebnis setzte eine ökonomische Erholung und Konsolidierung ein, die das Versorgungsniveau spürbar verbesserte. 1965 war die Landwirtschaftsproduktion annähernd auf dem Stand von 1957, während die Leichtindustrie eine jährliche Zuwachsrate von 27, die der Schwertindustrie von 17 Prozent verzeichnete.[xvi]

Kulturrevolution (1966–1976): Mao akzeptierte diese Entwicklung nicht und leitete die Große Proletarische Kulturrevolution ein. Sie war Ausdruck eines Machtkampfs um die wirtschaftspolitische Strategie. Mit Beschimpfungen und Verleumdungen wurde Staatsoberhaupt Liu Shaoqi als „Chinas Chruschtschow“ diffamiert, aus der Partei ausgeschlossen und ohne Prozess ins Gefängnis geworfen. Folge der Kulturrevolution war die schwerste Wirtschaftskrise seit 1961. Die Wachstumsraten erreichten 1976 einen Tiefstand, was zu einem deutlichen Absinken des Lebensstandards führte.[xvii] Die Kulturrevolution endete mit dem Tod Maos im Jahr 1976.

Die Reform- und Öffnungsperiode ab 1979

Die Hypothek der Kulturrevolution war eine Mischung aus Wirtschaftsstagnation, Krise der Agrarproduktion, Versorgungsengpässen sowie einer wachsenden Unzufriedenheit, die sich in Bauernprotesten und Fabrikstreiks ausdrückte. Gleichzeitig hatten sich vielerorts – ähnlich wie nach der Hungersnot 1961 – unter der bäuerlichen und urbanen Bevölkerung als Überlebensstrategie private Wirtschaftstätigkeiten im Kleinhandel und -gewerbe etabliert. Es wurde erst im Nachhinein von der Parteiführung landesweit als Reformprogramm installiert. „Der spontane Handlungsprozess sprengte in seiner Dynamik immer wieder den von der Partei gesteckten Rahmen und setzte damit einen Prozess sozialen Handelns in Gang, der von der Parteiführung in dieser Form ursprünglich nicht nur nicht intendiert war, sondern auch bis weit in die 80er jähre hinein als häretisch galt.“[xviii]Im Dezember 1978 beschloss das Zentralkomitee der KPCh ein umfassendes Modernisierungsprogramm auf der Basis der von Deng Xiaoping geforderten Vier Modernisierungen (der Landwirtschaft, der Industrie, der Landesverteidigung und der Wissenschaft).[xix]

Der Modernisierungsprozess war kein Masterplan, der abgearbeitet wurde, sondern war vielmehr gekennzeichnet durch Kontinuität und Brüche. Da sich sowohl das sowjetische Entwicklungsmodell als auch die maoistische Variante als unzureichend für einen Übergang zu qualitativem Wachstum herausgestellt hatten, suchte die politische Führung unter Deng nach einem dritten Weg, um das Wirtschaftssystem zu reformieren. Die Strategiesuche war geprägt von Experimenten und Modellversuchen auf der lokalen Ebene, die je nach Erfolg abgebrochen oder fortgesetzt und schließlich verallgemeinert wurden. Im Wesentlichen lässt sich die Reform-Ära entlang der Amtszeiten der Staats- und Parteichefs grob in folgende fünf Phasen unterteilen.[xx]

Die erste Phase unter Deng Xiaoping (1978–1992) war gekennzeichnet durch eine Diversifizierung der Eigentumsstruktur. Die Volkskommunen wurden aufgelöst und der Boden den Bauernfamilien zur privaten Nutzung übergeben. Einen Teil des Ertrages konnten sie auf dem Markt verkaufen, was zu einer erstaunlichen Steigerung der Agrarproduktion führte. Während es 1978 nur 150.000 Selbständige gab, stieg die Zahl der selbständig wirtschaftenden Haushalte in nur zehn Jahren auf 14 Millionen an.[xxi] Ab Mitte der 1980er Jahre durften auch die Betriebe einen kleinen Teil des Gewinns einbehalten. Gleichzeitig errichtete die Regierung in den Hafenstädten des Südens Sonderwirtschaftszonen und machte sie zu marktwirtschaftlichen Experimentierfeldern. Dort waren nicht nur ausländische Direktinvestitionen zugelassen. Die Unternehmen konnten auch auf billige Arbeitskräfte vom Land zurückgreifen. In Joint-Venture-Betrieben sicherte sich die Regierung zunächst die Mehrheit der Aktien. Gleichzeitig kam das Streikrecht in der neuen Verfassung von 1982 nicht mehr vor. Gegen Ende der 1980er Jahre wurden Konkurse, Befristungen und Entlassungen möglich. Da die wirtschaftliche Entwicklung zwar zu Wachstum, nicht aber zu einer Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung geführt hatte, kam es 1989 im Windschatten der studentischen Demokratiebewegung zu einer Zunahme von Streiks und Gewerkschaftsgründungen.[xxii] Ihre Niederschlagung wurde zu einer Voraussetzung für den erfolgreichen Verlauf der Reform-Ära. Eine ganze Generation abhängig Beschäftigter wurde dadurch politisch eingeschüchtert und vor der Teilnahme an Streiks und politischen Protesten gewarnt.

Auf die Periode von Deng Xiaoping folgte die Ära von Jiang Zemin (1993–2002). Er leitete eine umfassende Privatisierungswelle der Staatsindustrie ein. Der Schutz des Privateigentums wurde in die Verfassung aufgenommen und Unternehmern freigestellt, Mitglied der KPCh werden. Unter Führung von Hu Jintao (2003–2013) sollte wieder mehr für den sozialen Ausgleich getan werden. Mit der Kampagne für ein Neues sozialistisches Dorf sollten die Probleme der Landwirtschaft gelöst werden. Die Rechte der Lohnabhängigen wurden moderat verbessert. Die Auswirkungen der Krise von 2008 schwächte die Regierung mit einem großen Konjunkturprogramm und Investitionen in die Infrastruktur ab. Seit 2013 hält Xi Jinping das höchste Staatsamt inne. Er legte den Schwerpunkt auf eine Antikorruptionskampagne, zentralisierte die Macht in Staat und Partei und setzte Impulse, die Chinas Exportindustrie durch eine konkurrenzfähige eigene Industrie ablösen sollten.

In Teil 1 unseres Zweiteilers über Chinas Aufstieg beschäftigten wir uns mit Chinas rasantem wirtschaftlichen Aufstieg der letzten Jahrzehnte und die politischen Zerwürfnisse und Krisen, die damit einhergingen. In Teil 2 werden wir einen kritischen Blick auf die neuen Klassenbeziehungen werfen, die Chinas wirtschaftlicher Aufstieg hervorgebracht hat.

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Quellen und Anmerkungen

[i] Vgl.: Fu Peng: „Xi ruft zur Vorantreibung des Sozialismus chinesischer Prägung für neues Zeitalter auf“; unter: http://www.german.xinhuanet.com.

[ii] Dass sich damit auch die globalen Ambitionen des Landes verändert haben, zeigt die „one belt, one road“-Initiative (auch Neue Seidenstraße genannt). Eine genauere Betrachtung soll aber an dieser Stelle vernachlässigt werden.

[iii] Alston, Philip: „End-of-Mission statement on China“; unter: http://www.ohchr.org.

[iv] Ausgehend von einer Lebensertwartung von 40 im Jahr 1950. Vgl. Scharping, Thomas: Bevölkerungsgeschichte und Bevölkerungspolitik in China: Ein Überblick; Kölner China-Studien Online. Arbeitspapiere zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Chinas, Nr.3/ 2005, S.5.

[v] Vgl.: Alston, Philip; a.a.O.

[vi] Vgl.: Darimont, Barbara: „Das Sozialversicherungsgesetz der VR China“; unter: http://www.zchinr.org.

[vii] Vgl.: Darimont, Barbara/ Liu Dongmei: „Das Gesundheitssystem der VR China: Zwischen Privatisierung und öffentlicher Gesundheitsversorgung“, in: Internationale Revue für Soziale Sicherheit; 2013.

[viii] Vgl.: Kamp, Matthias: „Chinas Frauen stecken in der Rentenfalle“, in: NZZ, 25.09.2019.

[ix] Vgl.: Piketty, Thomas u.a.: „Capital, Accumulation, private Property and rising Inequality in China 1978-2015“, Working Paper 23368, National Bureau of Economic Research, Cambridge 2017; unter: http://www..nber.org/papers/w23368, S. 5f.

[x] Vgl.: Wemheuer, Felix: Chinas große Umwälzung. Soziale Konflikte und Aufstieg ins Weltsystem, PapyRossa, Köln 2019, S. 46.

[xi] Vgl.: Spence, Jonathan D.; Chinas Weg in die Moderne; dtv, München 2001, S. 611 f.

[xii] Vgl.: Cliff, Tony: „Die Krise der sechziger Jahre in China. Zur Vorgeschichte der Kulturrevolution“, in: SAG (Hrsg.) China und die Revolution in der Dritten Welt. Nationale Befreiung und sozialistische Revolution, agit-buch-vertrieb Gmbh, Frankfurt am Main 1971, S. 137.

[xiii] Vgl.: Spence, Jonathan D.; a.a.O., S. 683.

[xiv] Vgl.: Spence, Jonathan D.; a.a.O., S. 687 f.

[xv] Im Juni 1961 fand in einer Volkskommune des Kreises Qingpu bei Shanghai eine zweiwöchige Befragung der Bauern statt. Die Versorgungslage war trotz der Nähe zu Shanghai schlecht. Deshalb zeigten die Bauern wenig Begeisterung für den kollektiven Landbau und konzentrierten sich nebenher auf ihre eigene private Produktion. Die Befragung ergab, dass diese private Produktion stärker stimuliert wurde als die kollektive. Während für die Kader wichtig war, in der Produktion der Volkskommune landesweite Normen und kollektive Entwicklungspläne durchzusetzen, profitierte die private Produktion von der spezifischen Kenntnis der Bauern. So wussten sie, dass man das schwächste Ferkel an die dritte, milchreichste Zitze der Muttersau anlegen oder dass man im Sommer Wasserkraut als Einstreu verwenden musste, um die Sauen vor Hitzschlag zu bewahren. Und sie wussten, dass der Anbau grüner Bohnen in Verbindung mit einer Reisernte produktiver war als der Anbau von zwei Reisernten oder die Kombination von Reis und Weizen. Aufgrund dieser Erfahrungen ließ die KPCh tausende während des Großen Sprungs gegründete, aber unproduktive Industriebetriebe abbauen. Zwar wurde die kollektive Landwirtschaft beibehalten, aber sechs Prozent des Nutzlandes wurde an die Bauern verteilt und private ländliche Märkte wiedereröffnet. Vgl.: Spence, Jonathan D.; a.a.O., S. 696.

[xvi] Vgl.: Spence, Jonathan D.; a.a.O.; S.701.

[xvii] Die Zusammenlegung industrieller Strukturen zu größeren Betriebseinheiten hatte zu einer Ausdünnung von Handwerk und Kleinhandel geführt, die mit einem Rückgang des Sortiments einherging. Für die staatlichen Betriebseinheiten war die Produktion von Kleinwaren, Artikeln des täglichen Bedarfs und einheimischen Spezialitäten zu kompliziert und wenig gewinnbringend. So waren von den 250.000 Artikeln, die noch 1956 auf einem Hauptbasar in Shanghai angeboten worden waren, 1972 gerade einmal 80.000 übrig. Die Agrarerträge stagnierten: Die Pro-Kopf-Getreide-Erzeugung lag 1978 lediglich 1,2 Kilogramm über der von 1957. Die Baumwoll- und Pflanzenerzeugung war sogar zurückgegangen. In 200 der 2.136 Kreise entsprach das Produktionsniveau 1976/ 77 dem Stand von 1949. 200 Millionen Bauern hatten jährlich weniger als 150 Kilogramm Getreide pro Kopf zur Verfügung. Vgl.: Herberer, Thomas: „Das Dilemma der Wirtschaftsreformen“, in: Herberer, Thomas/ Wiegeln Rüdiger: Xiandaihua. Versuch einer Modernisierung. Entwicklungsprobleme der VR China, Horlemann, Bad Honnef 1990, S. 61 f.

Die Reallohnverluste in der Industrie lagen bei 20 Prozent. Vgl.: Heilmann, Sebastian: Sozialer Protest in der VR China. Die Bewegung vom 5. April 1976 und die Gegen-Kulturrevolution der siebziger Jahre, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Nr.238, Hamburg 1994, S.23.

[xviii] Herberer, Thomas/ Taubmann, Wolfgang: Chinas ländliche Gesellschaft im Umbruch. Urbanisierung und sozio-ökonomischer Wandel auf dem Lande, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 1998, S. 17.

[xix] Innerhalb der KPCh und unter den Intellektuellen gab es eine Strömung, die vom autoritären Entwicklungsmodell der Tigerstaaten lernen wollte. Dieses Modell war gekennzeichnet durch die zentrale Rolle des Staates in der strategischen Planung, der Druck auf die Löhne durch Repressionen gegenüber Gewerkschaften sowie eine Einschränkung der ausländischen Konkurrenz durch Einfuhrzölle. Insbesondere Singapur propagierte asiatische Werte wie Fleiß als Alternative zum westlichen Individualismus. Dabei wurde der Konfuzianismus so uminterpretiert, dass er zum unternehmerischen Geist des Kapitalismus und einem modernen autoritären Regime passte.

[xx] Vgl.: Wemheuer, Felix; a.a.O., S. 177 ff.

[xxi] Vgl.: Wemheuer, Felix; a.a.O., S. 181.

[xxii] Die Demokratiebewegung von 1989 war nicht auf Peking begrenzt und auch nicht auf Studierende beschränkt. Die Lebensbedingungen der Bevölkerung hatten sich im Zuge der Wirtschaftsreformen zunehmend verschlechtert. Ein Anstieg der Lebenshaltungskosten und wachsende Reallohnlohnverluste hatten zu einer wachsenden Unzufriedenheit in den Städten geführt. Selbst die KPCh musste im März 1989 zugeben: „Der Lebensstandard eines erheblichen Teils der Städter ist gesunken“. Vgl.: Der Spiegel, Nr. 21/ 1989, S. 161.

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