Auf Einladung der LINKE Neukölln hielten Mina Khani (freie Publizistin und Journalistin) und Bahman Wardasbi (Student der Iranistik und Politikwissenschaft) am 05.02.19 einen Vortrag über einige Aspekte der Revolution 1979 im Iran. Für uns haben die beiden nochmal die für sie wichtigen Punkte verschriftlicht.
Im Jahre 1979 stürzen Iraner*innen nach wochenlangen Protesten und Kämpfen den Shah im Iran. Die Ereignisse werden sowohl von den jetztigen Regimeanhänger*innen im Iran als auch im westlichen Narrativ meistens als „Islamische Revolution“ bezeichnet. Tatsächlich entwickelte sich damals eine revolutionäre Bewegung, deren Erfolg am 11.02.1979 global eine Schockwelle unter den herrschenden Eliten und einen Funken Hoffnung unter den Unterdrückten dieser Welt auslößte. Doch inwiefern stimmt das vorherrschende Narrativ einer von Beginn an fundamentalistisch-religiöß geprägten Revolution, an deren Ende die Islamische Republik Iran proklamiert wurde?
Wenn man die Diskurse und Ereignisse im Iran vor und unmittelbar nach 1979 beleuchtet, wird dieses Narrativ sehr fraglich und ist aus einer linken Perspektive letztendlich nicht haltbar. Es verzerrt die komplexe Lage vor und während der Revolution im Sinne reaktionärer Positionen und negiert dabei vollkommen die Bedeutung emazipatorischer Kräfte innerhalb der Bewegungen. Religion und religiößes Framing hatten in den Auseinandersetzungen eine enorm wichtige Bedeutung, aber weder in der als Zeichen von Rückständigkeit konotiierten westlichen Lesart, noch als dem ausschließlich bestimmendem Antrieb und Ziel der Menschen, wie es das Regime selber darstellt.
Vielmehr ist die vorrevolutionäre Phase der 1970er hochgradig bestimmt von anti-imperialistischen und sozialistischen Diskursen. Von den marxistischen Strömungen, über die liberal-nationale Volksfront bis hin zu Khomeini selber, fand aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen Situation niemand Gehör bei den Menschen, der nicht die soziale Frage in den Mittelpunkt seiner Forderungen stellte. Mitverantwortlich für die Lage war Großbritanniens semi-koloniale Kontrolle der iranischen Ölproduktion und spätestens mit dem Coup der CIA gegen Mossadegh 1953 verorteten sich viele Menschen als Teil der anti-imperialistischen und anti-kolonialen Kämpfe des globalen Südens. Gleichzeitig war das kollektive Gedächtnis und die Subjektivität der Menschen in dieser Zeit stark geprägt von Reza Shahs sog. Modernisierungen der 1920er und 30er. Kulturell und politisch eng an Frankreich und Großbritannien angelehnt, griff er die religiößen Eliten an, führte Zwangsentschleierungen einund versuchte den Menschen gewaltvoll einen Lebensstill aufzuzwingen, den diese als westlich empfanden. Sein Sohn Mohammad Reza Shah hatte zwar eine weniger feindselige Politik gegenüber dem Klerus, band diese teilweise in sein Herrschaftsprojekt ein und hob die das Verschleierungsverbot wieder auf. Doch inszenierte er sich noch stärker als Erbe der vor-islamischen Königsdynastien im Iran, führte einen pompösen Lebensstill und war politisch noch enger an v.a. die USA gebunden.
Diese Entwicklungen zusammen eröffneten das Potential dafür, das die Iraner*ínnen alles wofür die Pahlavis standen – Moderne, Industrialisierung, Betonung der nicht-islamischen Identität und westlicher Lebensstil – mit Imperialismus und Kolonialismus verbanden und ablehnten. Im Umkehrschluß entwickelte sich erst dadurch der Kontext, in der eine religiöße Figur wie Khomeini eine führende Rolle in der Revolution einnehmen konnte. Er verknüpfte sehr früh die sozialistischen und anti-imperialistischen Diskurse mit seinem religiößen Duktus und verkörperte somit all die Elemente und Sehnsüchte der Menschen, die in den Jahrzehnten davor unterdrückt worden waren. Die Verbindung von sozialistischen und religiöß-islamischen Forderungen war auch nicht seine Erfindung, sondern konnte auf einer weit verbreiteten ideologischen Tradition aufbauen. Bis tief in marxistische Kreise hinein bedienten sich Menschen religiößer Metaphern und/oder waren praktizierende Muslim*innen. Aber den marxistischen Kräften war es aufgrund der Illegalisierung und Verfolgung durch den SAVAK nur bedingt möglich, sich öffentlich wirksam an die Menschen zu wenden oder gar aufzutreten. Im Vergleich dazu hatte der Klerus größere Freiheiten und Kapazitäten, organischere Bindungen zu den Menschen und dementsprechend einen höheren Identifikationsgrad unter diesen. Aber abgesehen davon das die Abgrenzung von Marxismus und Religion vor allem ein westliches Phänomen ist, muss trotzdem betont werden, das die Revolution sozio-ökonomische Gründe hatte, die mit dem Label „islamisch“ auf die Ebene der Kultur reduziert werden und so die genuin revolutionäre Situation von 1979 verdeckt wird.
Damit einhergehend und noch schwerwiegender ist, das so all diejenigen unsichtbar gemacht werden, die gegen Khomeini und seine Anhänger*innen gekämpft haben und dadurch das Narrativ des Regimes gestützt wird. Die politischen Gruppierungen, die vor und nach dem Sturz des Shah an den Entwicklungen beteiligt waren, reichten von z.B. den marxistischen Tudeh, über die islamisch-sozialistische Volksmujahhedin, der liberalen Nationalen Front bis hin zu den Gruppen um Khomeini. Der Verlauf und das Ziel der Revolution war in den ersten Monaten nach der Flucht des Shah vollkommen offen, auch wenn sich rückblickend die reaktionären Kräfte in der Zeit schon intensiv für einen Angriff auf ihre Gegner vorbereiteten. Man könnte einigen Gruppen vielleicht eine gewisse Naivität gegenüber den Absichten von Khomeini unterstellen, doch nicht das es nicht von Anfang an massiven Widerstand der Menschen gegen zunehmende Repressionen und religiöße Gesetzgebungsversuche gab. So führte z.B. Khomeinis Aussage am 07.03.1979, Frauen sollten nicht unverschleiert in Ministerien erscheinen, am darauffolgenden 08.März zu massiven Protesten und Streiks von v.a. Frauen und eine gesetzliche Zwangsverschleierung konnte ersteinmal verhindert werden.
Erst der Beginn des Iraq-Iran Krieges im September 1980 ermöglichte es den Kräften um Khomeini mit Hilfe der neu gegründeten Revolutionsgarden, gegen die marxistischen und dann auch gegen die liberal-nationalen Kräfte mit Gewalt vorzugehen. Zwar wurden beide Länder von anderen Staaten aufgerüstet, doch stand öffentlich der Westen politisch klar hinter Saddam Hussein. Das gab Khomeini die perfekte Gelegenheit, einen heiligen Verteidigungskrieg auszurufen und jegliche Oppositionskräfte als ungläubige Agenten ausländischer Mächte zu denunzieren. So nannte Khomeini selbst den Angriff „einen Segen für die Nation“ und tatsächlich ist die endgültige Machterlangung der reaktionären Kräfte ohne diesen Krieg undenkbar. Die Revolutionsgarden erlangten erst in diesem Prozeß ihre wirtschafliche und politische Macht, religiöße Gesetze wurden durchgesetzt – die gesetzliche Zwangsverschleierung erfolgte erst 1982 – und die innerstaatliche Repression wurde immer offener und brutaler. Das Ende des Krieges 1988 fällt zusammen mit einem der blutigsten Ereignisse der neueren iranischen Geschichte, den Massenhinrichtungen politischer Gefangener in den iranischen Gefängnissen.
1988 markiert somit gleichzeitig die körperliche und ideologische Auslöschung der Opposition im Iran, als auch den Beginn einer Phase, in der die nun Herrschenden mit einem gewohnt anti-imperialistischen Diskurs neoliberale Politiken durchsetzten, seitdem wie gewohnt einen immensen Reichtum anhäufen und wie gewohnt die Menschen im Iran brutal unterdrücken. Sie haben letztendlich durch eine Konter-Revolution die unter dem Shah herrschende Klasse ersetzt und legitimieren ihren Machtanspruch über Religion. Das war ganz bestimmt nicht das, was sich die Mehrheit der Menschen für ihre Zukunft wünschten und erträumten, als sie vor 40 Jahren auf die Straßen gingen und die Revolution im Iran auslösten.