Schön ist die Nacht – Ein Buch über die Sehnsüchte der kleinen Leute

Schön ist die Nacht. Das ist der Titel des neuen Romans von Christian Baron. Erneut legt er ein Buch über die Lebenserinnerungen seiner Familie mit soziografischen, gesellschaftskritischen Elementen vor. Nach „Ein Mann seiner Klasse“, in dem er sein eigenes Aufwachsen in einem sozialen Brennpunkt Kaiserslauterns schildert, wird auch die Darstellung der Familiengeschichte in seinem neuen Buch zu einem Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse.

Diesmal sind die Protagonisten die beiden Großväter Willy Wagner und Horst Baron. Handwerker Willy ist fleißig, hart arbeitend, gutherzig. Wie die meisten seiner Generation träumt er davon, durch ehrliche Arbeit etwas vom Wohlstand im aufstrebenden Nachkriegsdeutschland abzubekommen. Nach einem Unfall auf der Baustelle wird es für Willy allerdings schwieriger, seinen Traum vom eigenen Häuschen umzusetzen. „Dreißig Jahre hab ich ohne Krankenschein gearbeitet. Jetzt hab ich meine besten Jahre verschuftet und bin nichts weiter als ein Krüppel.“ Es sind Sätze wie diese, die das Buch zu einem sensiblen Kompass für das Schicksal der kleinen Leute macht.

Und da ist Horst, hemdsärmelig, ungehobelt, schlitzohrig. Auch er träumt den Traum vom sozialen Aufstieg, doch als ungelernter Hilfsarbeiter träumt er ihn ungeduldiger. Er sucht nach Abkürzungen und merkt schnell, dass er mit ehrlicher Arbeit nicht sehr weit kommt. Er gerät dabei auf Abwege und zieht den leichtgläubigen Willy immer wieder in seine kleinkriminellen Machenschaften hinein. Und nachdem sich Horsts Frau Erna am Bahngleis das Leben nimmt, stellt Horst nüchtern fest: „Ernas Grab war nicht mehr als eine verpisste Primel, als hätte man eine Katze verscharrt. Abr so war das, wenn sie einem ein gutes Leben vorenthielten, gab’s auch im Tod keine Menschenwürde.“

Barons Buch ist die widersprüchliche Geschichte zweier Freunde, die im Nachkriegsdeutschland zwischen Aufstiegserzählungen und Wirtschaftskrise erwachsen werden müssen. Sie verfügen weder über die Ressourcen, den sicheren Weg zum Erfolg einzuschlagen, noch über ein Talent, das sich vermarkten lässt. Mehr als andere sind sie auf die Kooperation untereinander angewiesen, um nicht unterzugehen. Die Welt der Bücher und die Möglichkeit des Bildungsaufstiegs bleibt ihnen verschlossen. Auch die kultivierten Umgangsformen und die gepflegte Streitkultur des Bildungsbürgertums sind ihnen fremd. Mehr noch: Die bildungsbürgerliche Lust am Leben ist mit ihrem permanenten Kampf ums Überleben nicht zu vergleichen. Stattdessen machen die harte Arbeit und die täglichen Entbehrungen sie grob, manchmal gewalttätig im Umgang, und doch bleiben sie dabei weich und sensibel in der Wahrnehmung. Sie wissen genau: Den Traum von den großen Dingen müssen sie nicht träumen, solange sich für sie nicht einmal die kleinen Träume erfüllen.

Sorgen und Nöte im Fokus

Baron wirft mit seinem neuen Roman einen Scheinwerfer auf die Ängste und Nöte, auf die Hoffnungen und Träume, auf die eingeschlagenen Wege und die zwangsläufige Ohnmacht der kleinen Leute. Schonungslos leuchtet er ihren Alltag aus. Wirft einen Blick auf die Zwänge am Arbeitsplatz, gesellschaftliche Hierarchien, das Glück trostloser Kneipenabende und das Ventil häuslicher Gewalt. Doch das Buch ist weitaus mehr als nur eine Erzählung über die kleinen Leute, denn Baron kommt ganz ohne paternalistischen Moralismus aus. Mitleid sucht man in seinen Erzählungen vergebens. Ebenso eine an den Individuen orientierte Frage von Schuld und Vorverurteilungen. Seine Perspektive bemüht sich stattdessen um Augenhöhe. Er urteilt nicht, sondern schildert die Grobheit zwischen den Protagonisten als die konkreten Auswirkungen alltäglicher Klassengewalt. Barons Buch handelt von Widersprüchen, von gesellschaftlichen und von zwischenmenschlichen – es ist ein Buch über den Teil der Gesellschaft, der sich Dünnhäutigkeit und Selbstmitleid nicht leisten kann und trotz menschlicher Enttäuschungen und Streit zu Zusammenhalt verdammt ist. Ein großes Buch mit einem nicht selbstverständlichen Blickwinkel von unten in unsere Gesellschaft.

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