Das mittlerweile fünfte K.I.Z.- Album ist eine eigenwillige Tragödie mit origineller Katharsis: eine Bombe, die den Happy-Steinzeit-Kommunismus herbeiführt
Im Oktober 2011 besuchte der Philosoph Slavoj Žižek die Occupy-Wallstreet-Bewegung in New York. Umringt von den Protestierenden sprach er von den Vorstellungen einer gerechteren Welt und wie diese durch neoliberale Ideologie korrumpiert und letztlich limitiert würden. Er führte aus, dass es dank Hollywood-Filmen heutzutage einfach sei, sich das Ende der Welt vorzustellen: „einen Asteroiden, der alles Leben zerstört und so weiter«. Jedoch: »das Ende des Kapitalismus – das könnt ihr euch nicht vorstellen“.
Die Berliner Gruppe K.I.Z. durchschlägt diesen gordischen Knoten, indem sie unter dem Begriff »Welt« einfach statt unseres physischen Heimatplaneten die jeweilige (sozioökonomische) Lebensrealität der Menschen versteht. Bedenkt man, wie sehr unser Alltag von Marktmechanismen durchdrungen ist, so lässt sich kaum leugnen, dass mit dem Zusammenbruch des Kapitalismus auch diese »Welt« erst mal zusammenbricht. Wenn die drei Rapper plus DJ ihr Album also „Hurra die Welt geht unter“ nennen, bedeutet das ohne große Interpretations-Verrenkungen: Hurra, der Kapitalismus geht unter!
Gleich im zweiten Track »Geld« geht es dann um dessen »vertrackten Kern«: In loser Folge zählen die Jungs einige Absurditäten aus dem Leben der Superreichen („Meine Frau ist 20 Jahre jünger / sieht aus wie 30 Jahre jünger“) und Bettelarmen auf („Vor ’nem prallgefüllten Schaufenster an Hunger krepieren / wegen bedrucktem Papier“), was ein Publikum in guter alter Call-and-Response-Manier jedes Mal mit „das ist Geld!“ kommentiert. Der groovende Funk-Bass und die dezente Synthie-Melodie im Hintergrund erinnern in ihrer betonten Lockerheit an die ungelenken Hip-Hop-Versuche weißer Mittelstandskids Anfang der Neunziger. Den Impuls, schön peinlich mitzuschunkeln, vermiesen einem die realistischen Sinnbilder zum Glück gehörig.
Das Lied „Glücklich und Satt“ bietet solide Beobachtungen aus einem der gern berappten sozialen Brennpunkte und begeistert vor allem deshalb, weil es so ohne Verherrlichung oder Belehrung auskommt. Ein Beispiel: „Die Nachbarin kriegt von ihrem Typen auf die Schnauze / […] Ich seh’ sie 100-Kilo-Lidl-Tüten stemmen /eigentlich müsste sie ihn verprügeln können“.
Was sich hier schon als Wut auf die sozialen Missstände und deren Akteure ankündigt, eskaliert im darauffolgenden Song „Boom Boom Boom“ völlig. Gnadenlos wird zusammengetrieben und im Refrain abgeschlachtet, was die hiesige Mitte der Gesellschaft so an Hässlichkeiten zu bieten hat: von Klassismus („Vor der Glotze, sauer auf die Scheiß-Sozialschmarotzer / anstatt auf den Chef“), über Alltagsrassismen („Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen / mit dem großen Traum, im Park mit Drogen zu dealen?“), bis hin zum wiederentdeckten Nationalstolz („Du und dein Boss / haben nichts gemeinsam bis auf das Deutschland-Trikot/“). Den Refrain bildet eine autogetunte Anlehnung an den Trash-Hit der Band Venga Boys. Anstelle des anzüglich gemeinten „Boom, Boom, Boom, Boom / I want you in my room“ bohrt sich „Boom, Boom, Boom, Boom / Ich bring euch alle um“ als Ohrwurm in die Gehörgänge. Am Ende ist man fast etwas enttäuscht, dass sich die RAF schon vor 20 Jahren aufgelöst hat.
Aber genau wie damals lassen sich die Umstände nicht mit ihren Repräsentanten über den Haufen schießen und so tun sich hinter dem Leichenberg bloß weitere menschliche Abgründe auf: Arschkriecher, die nachts zu Vergewaltigern werden („Ariane“), Kleinkinder, die sich für die Geburt in solch eine Welt rächen („Käfigbett“) und eine „Rummel-Bums-Disko“ in der Refugees, misshandelte Kinder und Angehörige von Demenzkranken gemeinsam alles vergessen wollen. Höchste Zeit, dass diese Welt endlich untergeht.
Genau das ist dann im letzten und Titel-Track des Albums geschehen. Wenn auch nicht grade streng marxistisch herbeigeführt – revolutionäres Subjekt war hier eine nicht näher erläuterte „Bombe vor zehn Jahren„– sind auf den Trümmern der alten Welt doch so einige Elemente verwirklicht, die Karl und Konsorten für den Kommunismus vorschwebten. Bevor im Refrain ein letztes Mal die Apokalypse abgefeiert wird, fragt ein Kind „Wieso soll ich dir etwas wegnehmen, wenn wir alles teilen?/“ Trotz diabetogener Kitschigkeit läuft es einem kalt über den Rücken.
Zweifellos ist „Hurra die Welt geht unter“ ein ungewöhnlich ernsthaftes Album geworden, beinahe jedes Lied thematisiert die soziale Ungerechtigkeit und deren Folgen. Über die Lösung dieser Probleme lässt sich genauso vortrefflich streiten wie über die eigene Rolle hierbei. Dank Platz 1 in den Albumcharts und Musikvideos mit durchschnittlich vier Millionen YouTube-Aufrufen finden diese Diskussionen aber endlich auch außerhalb von Kapital-Lesekreisen statt.
Gastbeitrag von David Jeikowski
Angaben zur CD:
K.I.Z.
Hurra die Welt geht unter
Vertigo Berlin (Universal Music) 2015