Joker: Die Störung der kapitalistischen Normalität

Die Comic-Verfilmung Joker läuft seit Anfang Oktober im Kino und hat bereits unfassbare Wellen geschlagen. Sozialisten sollten den Film vor allem dafür feiern, dass er das Böse als Produkt sozialer Verhältnisse darstellt.

Kaum ein Film der letzten Jahre hat eine derart breite Resonanz erzeugt, wie der Joker von Regisseur Todd Phillips. Es ist eine wahre Joker-Manie ausgebrochen. Nicht nur zu Halloween war die charakteristische Clownsbemalung präsent. Auch die globale Protestwelle, die wir derzeit sehen, knüpft an den Film an: Demonstrierende tragen Joker-Masken, während sie auf den Straßen gegen staatliche Repression kämpfen und der Ruf nach Revolution immer lauter wird. Alleine dieses Phänomen ist Grund genug, sich mit dem Film auseinanderzusetzen. Ein weiterer ist die Reaktion vieler Liberaler. Susanne Gaschke von der Zeitung Die Welt verließ den Film vorzeitig und schrieb: „Und natürlich ist der Kapitalismus so schrecklich gemein, dass man fast zwangsläufig zum Massenmörder werden muss, wähähäää.“

Identifikation mit Widersacher

Jeder kennt die Kernstory hinter Batman: im Kostüm steckt der Milliardär Bruce Wayne. Nachdem seine Eltern bei einem Überfall getötet werden, macht er es sich zur Aufgabe, seine Stadt – Gotham City – vom Verbrechen zu befreien. Der Joker wird im Grunde als durch und durch böse dargestellt. Die Identifikation mit dem Helden ist einfach, moralisch fühlt man sich auf der sicheren Seite. Der Film hingegen hat eine weltweite Identifikationswelle mit dem Widersacher ausgelöst.

Die Figur des Jokers tauchte erstmals 1940 im Batman-Comic auf, und sollte gleich wieder sterben. Die Herausgeber des Comics erkannten jedoch das Potential des Schurken als ständigen Gegenspieler von Batman. Der Joker durchlief eine Reihe von Charakterisierungen. 1986 stilisierte ihn Frank Miller als von Natur aus böse. Der anarchistische Autor Alan Moore hingegen unternahm 1988 den Versuch, den Joker als das Produkt von Armut, Arbeitslosigkeit und gescheiterten Ambitionen zu zeigen. Dieser Ansatz prägt auch den neuen Film. Er erzählt seine Geschichte, bevor er überhaupt zum Joker wurde.

Arthur Fleck – so der bürgerliche Name – arbeitet als Partyclown und versucht sich als Stand-up-Comedian. Aber statt andere zum Lachen zu bringen, wird er selbst als Lachnummer gedemütigt. Sein charakteristisches krankhaft hysterisches Lachen provoziert. Als er deshalb von drei betrunken-stänkernden Wall-Street-Bänkern verprügelt wird, schlägt er zurück und erschießt sie. Diese Szene ist ein Wendepunkt für den Film. Der Clown, der dem Establishment die Stirn bietet – ein Element, das schnell Nachahmer findet, die ganze Stadt scheint nur darauf gewartet zu haben, Riots brechen aus. Neben dem Inhalt macht auch die beeindruckende schauspielerische Leistung von Joaquin Phoenix als Joker den Film absolut sehenswert.

Hohe Symbolkraft

Der Clown als Aufständischer ist eine auf mehreren Ebenen brillante Metapher mit enormer Symbolkraft. In der gegenwärtigen Gesellschaft ist alles auf den schönen Schein reduziert, man soll ständig mit einem Lächeln durch die Welt gehen. Beim Joker, dem diese Welt wenig zum Lächeln bietet, wird das Lachen zur Fratze, zur aufgeschminkten Maske.

Thomas Wayne, der Vater des späteren Batman, Großindustrieller und Bürgermeisterkandidat, verspottet die Armen und Erfolglosen als „Clowns“. Der Joker dreht die Demütigung um, er erhebt sich aus der Opferrolle und macht die Identität des Clowns zu seiner Waffe. Er wendet sich von allen Konventionen ab und schlüpft gänzlich in die Rolle des Hofnarren, der sich an keine Regeln hält und dem folglich alles erlaubt ist. Sein Lachen bricht unkontrolliert hervor.

Der russische Literaturwissenschaftler Bachtin prägte den Begriff des Karnevalesken. Er bezeichnet damit das Phänomen der Karnevalszeit als eine Art Ausnahmezustand, während der gesellschaftliche Konventionen überschritten werden können. Eng damit verbunden ist das Groteske, „insofern als im Karneval vorzugsweise groteske Gestalten auftreten […] und vor allem das Karnevalslachen.“

Der Joker bringt diesen Ausnahmezustand in den Alltag, stört damit die Ordnung. Und genau das ist das Ziel der Proteste: die Ordnung zerstören. Gerade das Groteske als Abweichung vom Normalen hat eine befreiende Kraft, es eröffnet „die Möglichkeit einer ganz anderen Welt, einer anderen Weltordnung, eines anderen Lebens.“

Die Ordnung zerstören

Viel Raum nimmt im Film die psychische Erkrankung Flecks ein, was die sozialen Verhältnisse als Ursache für sein Aufbegehren zwar etwas abschwächt, die Ursprünge werden jedoch am Rande thematisiert. Gelungen ist die Kritik am Gesundheitssystem. Flecks psychiatrische Behandlung wird abgebrochen, weil die Mittel gestrichen werden. Es ist bezeichnend für eine Gesellschaft, dass sie für Menschen, die sich nicht einfach einfügen, keine andere Lösung hat, als sie als Irre wegzusperren. Sie werden als Gefahr für die Gesellschaft dargestellt, dabei ist es andersherum.

Der Philosoph Theodor W. Adorno formulierte, dass innerhalb dieser Gesellschaft angesichts des allgegenwärtigen Leids wirkliches Glück nicht vorhanden sein kann. Nur der Exzentriker stellt sich gegen den alltäglichen Wahnsinn, wer sich anpasst, ist hingegen Teil davon. Somit sind die Wahnsinnigen, die diese Welt radikal ablehnen, die eigentlich Menschlichen.

Ein Blockbuster, der Millionen einspielt, schreit eigentlich danach, als bloßer Teil der Kulturindustrie abgewertet zu werden, als eine Ware, deren Konsum die Massen unterhalten und das Bestehende stabilisieren soll. Der Joker ist anders. Es geht nicht nur ums Individuum, das an der Gesellschaft scheitert, sondern er überschreitet die Grenzen von der Kunst in die Realität und zeigt, dass die Möglichkeit der Befreiung in den Massen selbst liegt. Die Herrschenden fürchten nicht ohne Grund die Nachahmung des Films. Zu Recht haben sie Angst, dass der von ihnen erzeugte Wahnsinn zurückschlägt.

Eine Besprechung von Katharina Anetzberger, die in der Linkswende erschien.


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