JasperPrigge - Bild: Die Linke NRW

Geplante Entschädigung für Schwulenverfolgung ist unzureichend

Der am Freitag zur Ressortabstimmung weitergeleitete Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wird dem Anliegen einer umfassenden Entschädigung und Rehabilitierung in zahlreichen Punkten nicht gerecht. Im Gegenteil: Die Opfer der Schwulenverfolgung werden durch die geplanten, sehr geringen Entschädigungszahlungen erneut entwürdigt.

Wer in der Bundesrepublik zu Unrecht in Haft saß, hat für ein Haftjahr Anspruch auf mindestens 9.125 Euro Entschädigung für die erlittene Hat. Hinzu kommen Ansprüche für erlittene Vermögensschäden (Verdienstausfall, Anwaltskosten usw.). Die Opfer des Paragrafen 175 sollen nun pauschal mit gerade einmal 1.500 Euro pro Haftjahr und einer Pauschale von 3.000 Euro für das Urteil selbst abgespeist werden.

Erlittene Vermögensschäden können darüber hinaus wohl gar nicht geltend gemacht werden. Das ist inakzeptabel. Schwule wurden in der Bundesrepublik wie Menschen drittter Klasse behandelt, in den Haftanstalten ebenfalls. Und nun erneut bei der „Entschädigung“.

Begrüßenswert ist, dass der Gesetzentwurf vorsieht, die Entschädigungen nicht nach den komplizierten Regelungen des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vorzunehmen. Aber: die in diesem Gesetz vorgesehenen Summen können und müssen übernommen werden. Sie sind selbst dann noch zu gering, wenn man berücksichtigt, welche Auswirkungen ein Freiheitsentzug auf einen Menschen hat.

Viele Opfer verloren ihren Arbeitsplatz

Ebenfalls inakzeptabel ist, dass es überhaupt keine Entschädigung für die Folgen eines Arbeitsplatzverlustes durch eine Verurteilung nach Paragraf 175 StGB geben soll: viele der noch lebenden Opfer leben deshalb von Mini-Renten, weil sie durch ihre Haftzeit und die daran anschließende gesellschaftliche Stigmatisierung keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit fanden. Die Rentenberechnungen und Einzahlungsverläufe liegen vor. Es wäre unbürokratisch möglich und ist auch notwendig, die Renten der Opfer des Paragraf 175 neu zu berechnen, indem für Ausfall- und Ersatzzeiten Durchschnittswerte zugrunde gelegt werden.

Gar keine Entschädigung soll es für die Opfer von Ermittlungsverfahren geben, die nicht zu einer Verurteilung führten. Das ist fatal, weil die Schwulenverfolgung in der Bundesrepublik viele Facetten hatte. Bei Ermittlungen wurden häufig Nachbarn, Verwandte, Arbeitgeber „befragt“, eine gesellschaftliche Stigmatisierung war die Folge.

Zudem wurden Schwule über die bei Polizei und Ordnungsämtern geführten „Rosa Listen“ verfolgt. So wurde in Köln Ende der 1950er Jahre einem Taxifahrer der Personenbeförderungsschein deshalb nicht verlängert, weil er in der „Rosa Liste“ geführt wurde und daher „charakterlich nicht geeignet“ sei. Auch für solche Fälle muss es eine Entschädigung geben. Möglich wäre dies über einen zusätzlichen Fonds, in den die Bundesregierung einzahlt. Und an den sich Betroffene unbürokratisch wenden können.

Hunderttausende schwuler Männer betroffen

Durch die Existenz des Paragraf 175 sind hunderttausende schwuler Männer in ihrer Lebensgestaltung massiv eingeschränkt und behindert worden. Ständiges Verstecken, Angst vor Entdeckung, Erpressungen und massive Diskriminierungserfahrungen prägten das alltägliche Leben in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg.

Heiko Maas ist der Meinung, mit 500.000 Euro Kollektiventschädigung an die Bundesstifung Magnus Hirschfeld sei das zu regeln. Auch dem ist deutlich zu widersprechen. Allein die längst überfällige Aufarbeitung der Geschichte der Schwulenverfolgung in der Bundesrepublik wird mehrere Millionen Euro kosten. Sie ist überfällig und gerade jetzt – angesichts eines neuen homophoben Rechtspopulismus in der Gesellschaft – dringend notwendig.

Die Bundesrepublik kann sich nicht freikaufen von der Schwulenverfolgung. Sie kann aber alles tun, um den noch lebenden Opfern ein Alter in Würde zu ermöglichen und um die Geschichte der Verfolgung aufzuarbeiten und in Erinnerung zu behalten, damit sich nichts davon wiederholt. Dieser Verpflichtung wird der vorliegende Referentenentwurf nicht gerecht.

Ein Gastbeitrag von Jasper Prigge, innenpolitischer Sprecher der Linken NRW

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