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Löhne rauf, BAföG rauf, Preise runter!

Die hohe Inflation läutet eine neue Periode der Klassenkämpfe ein. Ein Gastbeitrag von Thomas Sablowski.

Die Inflation ist – entgegen früheren Prognosen führender Ökonomen – weiterhin hoch. Die Verbraucherpreise lagen im Februar 2023 nach den Daten des Statistischen Bundesamtes im Durchschnitt 15,2 Prozent höher als im Jahr 2020. Seit der Eskalation des Kriegs in der Ukraine im Februar 2022 sind die Verbraucherpreise in Deutschland im Durchschnitt um 8,7 Prozent gestiegen. Der Anstieg der Inflationsraten begann allerdings bereits im Jahr 2021. Dabei sind die Preise einzelner Warenarten in unterschiedlichem Maße gestiegen. Nahrungsmittel sind seit 2020 im Durchschnitt um 31,5 Prozent teurer geworden, Strom um 39,6 Prozent, der Preis für Erdgas hat sich mehr als verdoppelt. Dadurch werden vor allem Haushalte mit kleinerem Einkommen belastet, da diese einen höheren Anteil ihres Einkommens für Miete, Energie und Nahrungsmittel ausgeben müssen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzte im Juli 2022, dass die Belastung der untersten 10 Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen durch die Inflation fast fünfmal so hoch ist wie die Belastung der obersten 10 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen.

Der Angriff auf die Lohnabhängigen

Die Inflation bedeutet für die meisten Lohnabhängigen eine Prekarisierung des Lebensstandards. Die durch die Gewerkschaften erkämpften Lohnsteigerungen konnten den durch die Inflation entstandenen Kaufkraftverlust bisher nicht vollständig kompensieren. So sind 2022 die Reallöhne in Deutschland um durchschnittlich 4,1 Prozent gesunken. In dem gegenwärtigen Verteilungskampf sind die Unternehmer gegenüber den Lohnabhängigen strukturell im Vorteil, denn sie setzen die Produktionsmengen und Preise fest. Zudem haben sich die Kampfbedingungen für die Gewerkschaften verschlechtert: Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in Deutschland hat sich seit Anfang der 1990er Jahre halbiert und liegt nur noch bei 5,6 Millionen. Gleichzeitig ist der Anteil der tariflich geregelten Arbeitsverhältnisse auf nur 54 Prozent im Jahr 2021 gesunken. Nicht zuletzt Studierende, welche häufig in Minijobs oder befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiten, sind schlecht organisiert und arbeiten meistens ohne tariflichen Schutz.

Für Menschen, die auf Transferleistungen wie Renten oder Hartz-IV oder BAFöG angewiesen sind, bedeuten die steigenden Lebenshaltungskosten oftmals eine existenzielle Krise. Die Renten werden beispielsweise erst ab Juli 2023 angehoben, und zwar nur um 4,39 Prozent in Westdeutschland und um 5,86 Prozent in Ostdeutschland. Für viele Studierende erhöht sich der Druck, neben dem Studium Zeit für die Lohnarbeit aufzubringen. Schon vor dem Anstieg der Inflationsraten war die staatliche Förderung der Ausbildung und des Studiums unzureichend. Die Zahl der BAföG-Empfänger ist von 979.302 im Jahr 2012 auf 623.003 im Jahr 2021 gesunken. Der durchschnittliche Förderbetrag lag 2021 bei 562 Euro. Davon kann in einer deutschen Universitätsstadt niemand leben.

Kapitalistische Widersprüche und Chancen sozialistischer Politik

Allerdings zählen auch viele Unternehmen zu den Verlierern der Krise. Ihre Fähigkeit, steigende Kosten über die Preise auf Verbraucherinnen abzuwälzen, ist branchenbedingt sehr unterschiedlich. Für den Teil der Unternehmen, welche die Preise konkurrenzbedingt niedrig halten müssen, sinken somit die Profite.

Der Zusammenbruch einer Reihe von Banken offenbart ein weiteres Konfliktfeld der momentanen Situation. Durch die Inflation werden Gläubiger geschädigt und Schuldner begünstigt. Die steigenden Zinsen führen tendenziell zu sinkenden Wertpapierpreisen, so dass die Bankbilanzen dahinschmelzen. Der Druck, in riskantere Anlageformen zu investieren, um der Entwertung des Finanzvermögens entgegenzuwirken, nimmt zu. Das Risiko einer neuen Finanzkrise steigt.

Die Krise beinhaltet auch Chancen für sozialistische Politik. Die Inflation verdeutlicht die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise. In dieser Situation wachsender Unordnung können Forderungen nach progressiven Reformen wie Vergesellschaftungen oder einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft Gehör in breiteren Kreisen finden.

Thomas Sablowski ist Referent für politische Ökonomie der Globalisierung im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der critica Nr. 30. Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.

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