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Wie wir gerecht aus der Krise kommen

Weite Teile des öffentlichen Lebens liegen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit am Boden. Im März 2021 werden wir sechs der letzten zwölf Monate im Shutdown verbracht haben. Nach fast einem Jahr in der Pandemie haben wir unlängst erkannt, dass das Corona-Management in Deutschland das Schlechteste aus zwei Welten verkörpert.

Das strategielose Öffnen und Schließen unseres gesellschaftlichen Miteinanders verursacht Kosten in nie da gewesenen Höhen, während Risikogruppen nicht ausreichend geschützt werden und Beschäftigte im Gesundheitssektor kurz vor dem K.O. stehen. Bund und Länder haben dabei versagt, diese offenkundige Strategielosigkeit zumindest solidarisch gerecht für alle zu gestalten.

Nach einem turbulenten Jahr im Ausnahmezustand sollten wir uns zunächst noch mal der grundlegenden Problematik widmen, aus der all die wirksamen und unwirksamen, gerechten und ungerechten, rationalen und irrationalen Erscheinung dieser Tage resultieren. Die WHO definiert den Begriff „Pandemie“ als die interkontinentale Ausbreitung eines neuartigen Virus, welches mangels vorhandener Resistenzen ein hohes Risiko für die Weltbevölkerung darstellt. Nachdem sich seit Januar 2020 die Atemwegserkrankung COVID-19, ausgelöst durch das Sars-Cov2-Virus, innerhalb weniger Wochen über die Welt verbreitet hat, sind auch wir in Deutschland im Rahmen des uns Möglichen dazu angehalten, Menschenleben zu schützen und unser Gesundheitswesen vor dem Kollaps zu bewahren. Dabei finden die Anstrengungen zur Unterbrechung des Infektionsgeschehens nicht im luftleeren Raum statt. Ob wir wollen oder nicht, ist das Virus in Deutschland auf ein hochgradig vom Kapital abhängiges System gestoßen. Auf ein System, in dem der Mehrwert menschlichen Denkens und Handelns vorwiegend nach ökonomischen Parametern beurteilt wird. Im Zuge der jahrzehntelangen Verstetigung der gesamtgesellschaftlichen Abhängigkeit von wirtschaftlicher Prosperität verstehen sich die entscheidungsmächtigen Politikerinnen und Politiker unlängst als Verwalterinnen und Verwalter dieses Status quo. So ist es zwar erschreckend, aber dennoch nicht verwunderlich, dass sich der unbedingte Wille zum Verwalten des uns so unliebsamen Status quo auch in den Maßnahmen zum Umgang mit der lebensbedrohlichen Viruspandemie spiegeln. Im Produkt der Auseinandersetzung zwischen dem ethisch-gebotenen, unbedingten Schutz der menschlichen Gesundheit und der systembedingten Wahrung ökonomischer Stabilität steht auch die gesellschaftliche Linke vor großen strategischen Herausforderungen.

Wir wissen längst, dass sich in etwa alle 25 Jahre eine Pandemie ausbreitet und circa alle 100 Jahre eine weltweite Ausbreitung von Fehlentwicklungen, durch Art und Weise des Raubbaus an der Natur oder der Ernährungsweise des Menschen sich Bahn sucht.

Unsere Vorschläge für Wege aus der Misere sind vielfältig und plural wie wir selbst. Gut so. Wir sollten nur damit aufpassen, für die aktuell notwendige Linderung der Akutsymptome auf alte Medikamente zu setzen.

Ungleichheit und Solidarität

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Behauptung, nach der wir alle vor dem Virus gleich sind, falsch ist. Menschen aus ärmeren Wohnorten haben sich während der ersten Erkrankungswelle häufiger infiziert und das Sterberisiko auf Intensivstation war laut einer britischen Studie doppelt so hoch wie in den reicheren Gegenden. Forscherinnen und Forscher vermuten, dass beengte Wohnverhältnisse es erschweren, die notwendige Distanz zu potenziell erkrankten Menschen zu wahren. Zudem würden Menschen aus ärmeren Gegenden häufiger öffentliche Verkehrsmittel nutzen und sie könnten sich seltener ins Home-Office zurückziehen, weil sie öfter manuellen Arbeiten nachgehen. Selbst innerhalb westlicher Länder herrscht also alles andere als Gleichheit vor dem Virus. Und es gibt selbstverständlich viele lohnabhängige Beschäftigte, die gegenüber im Home-Office arbeitenden Menschen einem ungleich höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Eine Aufzählung der Berufsgruppen, die unseren Dank verdienen, weil sie trotz der pandemiebedingten Grenzerfahrungen -mitverschuldet durch den jahrelangen Aberglauben an das Heil schwarzer Nullen- nicht darin nachlassen, den Laden hier am Laufen zu halten, erübrigt sich.

Es ist ein ehrbares Unterfangen, an der Seite dieser Beschäftigten für langfristig verbindliche Arbeitsschutzregeln einzustehen. (Wer hohe Infektionszahlen zur bestmöglichen Wahrung wirtschaftlicher Prosperität insgesamt in Kauf nimmt, sollte auch ein großes Interesse daran haben.) Doch wer sich ernsthaft um die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den (Hoch-)Risikoberufen sorgt, darf in einer Viruspandemie nicht die Augen davor verschließen, dass das Einzige, was wirklich hilft, die Reduzierung der Infektionszahlen insgesamt ist. Selbstverständlich ist es wünschenswert, wenn sich gerade auch Personen außerhalb des linken Spektrums spätestens jetzt darüber Gedanken machen, wie wir insbesondere das öffentliche Gesundheitswesen in Zukunft organisieren wollen. Es ist gegenüber den heute Beschäftigten jedoch alles andere als verantwortbar, in der jetzigen Situation auf notwendige Reformen wie Arbeitszeitverkürzungen zu pochen, anstatt sich zunächst der im Hier und Jetzt erforderlichen Anstrengung nach einer radikalen Reduzierung der Neuinfektionszahl anzuschließen. Im Hinblick auf die bevorstehende Dritte Welle der Pandemie durch dreifach infektiösere Virusmutationen reicht das Einstehen für verbindliche Arbeitsschutzregeln schlichtweg nicht aus, um den bestmöglichen Schutz der Gesundheit der Beschäftigten sicherzustellen.

Kollektiv trotz Shutdown

Die Tarifabschlüsse im vergangenen Herbst haben gezeigt, dass über die Akutsituation hinausgehende substanzielle Verbesserung auch unter Pandemiebedingungen möglich sind. Doch gerade in den Krankenhäusern sehen wir nach wie vor, dass der Unwille der Politik zur radikalen Bekämpfung des Pandemiegeschehens dazu führt, dass den hier arbeitenden Menschen kaum noch Luft zum Atmen, geschweige denn für Klassenkämpfe übrigbleibt. Wer es den hier Beschäftigten ermöglichen möchte, die Eindrücke der vergangenen Monate in politisch notwendige Forderungen zu transformieren, der muss dafür sorgen, dass sie schlichtweg weniger arbeiten müssen. Es ist nicht der Shutdown, der die bestehenden Spaltungen in der Klasse der abhängig Beschäftigten konsolidiert und gemeinsames Klassenhandeln verhindert. Wie zu erkennen ist, ist es die politische Ausgestaltung des strategielosen Herunterfahrens, den auf den Stationen und in den Heimen ausgebadet werden muss. Weniger Arbeit für die Pflegenden ist nur mit weniger krankenhauspflichtigen Patientinnen únd Patienten möglich. Somit ist die akute Handlungsfähigkeit der Linken an der Seite des Pflegepersonals damit gegeben, sich den Bestrebungen zur radikalen Reduzierung der Infektionszahlen anzuschließen. Wenn wir dafür einstehen, dass jetzt wieder wie im Frühjahr 2020, gelockert wird, leisten wir den Beschäftigten kurz- wie langfristig nicht mehr oder weniger als einen Bärendienst.

Verteidigung der Grundrechte von links

Wer sich für Öffnungen ausspricht, muss auch damit leben, dass Bundeswehrsoldatinnen und Bundeswehrsoldaten dem am Limit arbeitenden Personal in den Altenheimen und Gesundheitsämtern aushelfen (müssen). Die Anwesenheit der Uniformierten löst im Gleichschritt mit dem für die Kontrolle der pandemischen Lage zwingend notwendigen Verzicht auf wesentliche Grundrechte eine Angst vor einer dauerhaft autoritären Staatsform aus. Einer demokratisch-sozialistischen Partei wie der unseren sollte es im Selbstverständnis liegen, in einer solchen Situation ein Mehr an parlamentarischer Beteiligung einzufordern. Nicht zuletzt das Vertrauen der Bevölkerung in die weitreichenden Maßnahmen hängt vom Ausmaß der legislativen Beteiligung ab. Anstatt die Angst vieler Menschen zu katalysieren, muss es im Anblick kommender Herausforderungen unser Auftrag sein, entschieden mehr parlamentarische Beteiligung einzufordern, ein wachsames Auge auf potenzielle Verstetigungen zu haben und gleichzeitig den Regierenden die Legitimität vieler ihrer exekutiv beschlossenen Maßnahmen durch Reduktion der Infektionszahlen zu entziehen.

Ethisch in die neue Normalität

100 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen sind vom Zusammenprall zwischen Virus und Kapitalismus, der Pandemie und ihrer Bekämpfung betroffen. Der einzig ethisch-moralisch gangbare Weg in dieser Viruspandemie ist die radikale Reduktion der Infektionszahlen. Wir müssen uns stets vor Augen halten, dass der drohende Kollaps des Gesundheitswesens nicht nur die Älteren und Schwachen treffen würde. Wer das bereits im Vorfeld entstehende Leid, welches wir seit dem Herbst 2020 in täglicher Folge erleben, mittlerweile bereit ist, in Kauf zu nehmen, muss sich an diesem Punkt darüber im Klaren sein, dass ein kollabiertes Gesundheitswesen auch für alle anderen Behandlungsgründe keine Kapazitäten zur Verfügung hat. Sich im Angesicht dieser Misere keine Handlungsfähigkeit zu attestieren, wenn wissenschaftliche Maßnahmen zur ethisch gebotenen und pragmatisch notwendigen Unterbrechung des Infektionsgeschehens vorliegen, wird dem Anspruch der Linken nicht gerecht. Es ist richtig und wichtig, dass wir auch in diesen Tagen nicht von der Seite der Beschäftigten, Eltern, Kulturschaffenden und Erwerbslosen weichen. Es ist richtig, dass eine jahrzehntelange Fehlpolitik im Geiste des Neoliberalismus einige Bereiche unserer Gesellschaft an krisenbedingte Grenzerfahrungen geführt hat. Und es ist umso wichtiger, dass wir nicht darin müde werden, diesen fortwährenden Missstand Paroli zu bieten. Die bisherige Strategie der Bundes- und Landesregierungen hat das Schlechteste aus zwei Welten verkörpert. Wir können uns keinem Weiter-so anschließen. Die aktive Beteiligung an der akuten Symptomlinderung ist die zwingend notwendige Voraussetzung, damit wir auch in Zukunft die Ressourcen haben, für die Genesung der viel tiefer liegenden Krankheit unserer Gesellschaft zu streiten. Es geht um die radikale Reduzierung der Fallzahlen, damit die Pandemie wieder kontrollierbar wird und wir möglichst schnell zu einem weitestgehend erträglichen Leben zurückkehren können. Wir müssen also raus aus dem Lockdown-Jojo und rein in eine nachhaltige und solidarische Bekämpfung der Pandemie.

Der Autor ist Mitinitiator der Europäischen Bürgerinitiative „Right2Cure“. Diese will sicherzustellen, dass die Europäische Kommission alles in ihrer Macht Stehende tut, um Impfstoffe und Behandlungen zur Bekämpfung der Pandemie zu einem globalen öffentlichen Gut zu machen, das für jeden frei zugänglich ist.

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