Wie das Schufa-System Menschenrechte verwehrt und die Spaltung zwischen Arm und Reich vergrößert

Vermutlich hat jeder von uns bereits Kontakt zur Schufa gehabt, bewusst oder unbewusst. Beim Abschluss eines Vertrages müssen wir regelmäßig unterschreiben (oder anklicken), dass das Unternehmen, mit dem wir einen Mobilfunk- oder Energievertrag abschließen wollen oder bei dem wir online auf Rechnung einkaufen wollen, sich Daten über uns bei der Schufa einholen darf. Das scheint auf den ersten Blick kein größeres Problem darzustellen, doch unter anderem bei Menschen mit geringem Einkommen, Menschen in Überschuldungssituationen und Menschen in Sozialleistungsbezug wird der Vertragsabschluss oft verweigert, weil die Schufa ihrem Partnerunternehmen eine zu geringe Wahrscheinlichkeit übermittelt, dass die Rechnung bezahlt wird. Diese wird in einem so genannten Score ausgedrückt, der zwischen 0 und 100 liegt. Er zeigt die berechnete Wahrscheinlichkeit der Rechnungsbegleichung an. Je höher, desto besser.

Das führt regelmäßig dazu, dass Menschen in finanziell schwierigen Situationen aufgrund eines zu schlechten Schufa-Scores keinen Mobilfunkvertrag erhalten, sondern auf die teurere Prepaid-Option zurückgreifen müssen. Dass sie nicht zu einem günstigeren Stromanbieter wechseln können, sondern bei den in der Regel teureren Grundversorgern stecken bleiben. Und es macht es ihnen nahezu unmöglich, eine Wohnung zu finden. Denn vor dem Abschluss von Mietverträgen verlangen auch private Vermieter, dass Wohnungssuchende eine Selbstauskunft von der Schufa vorlegen. Große Immobilienunternehmen verankern die Schufa-Klausel im Mietvertrag und beziehen die Daten direkt.

Privatunternehmen verhindern Wahrnehmung von Menschenrechten

Das bedeutet, dass Menschen mit negativen Schufa-Einträgen die Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte) verwehrt wird, etwa das Recht auf eine angemessene Unterkunft inklusive Strom, Wasser, Heizung (Art. 11 VN-Sozialpakt). Daher ist die Geschäftspraxis mit privaten Auskunfteien auch ein menschenrechtliches Thema. Unzählige Menschen sind davon betroffen und werden neben der fehlenden Einhaltung des menschenwürdigen Existenzminimums in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt.

Vielen ist gar nicht bewusst, dass die Schufa ein Privatunternehmen ist. Ihre Omnipräsenz in nahezu allen Lebensbereichen und ihr scheinbares Recht, Daten über alle möglichen Lebensbereiche von – nach eigenen Angaben – 67,9 Millionen Bürgerinnen und Bürgern zu speichern, sie zu verarbeiten und daraus einen einzigen Score zu berechnen, der über Wohl oder Wehe entscheidet, erweckt den Eindruck von etwas Staatlichem. Dem ist aber nicht so. Schufa und die anderen Wirtschaftsauskunfteien, wie Creditreform oder Bürgel, sind gewinnorientierte Privatunternehmen.

Intransparenz der „Blackbox Schufa“

Diese sollen von den Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder kontrolliert werden. Die Kontrolle soll vor allem sicherstellen, dass „die zur Berechnung des Wahrscheinlichkeitswerts genutzten Daten unter Zugrundelegung eines wissenschaftlich anerkannten mathematisch-statistischen Verfahrens nachweisbar für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des bestimmten Verhaltens erheblich sind“ (§ 31 BDSG). Das ist insofern ein wichtiger Punkt, als die Auskunfteien ihre Berechnungsmethode nicht offenlegen müssen (Bundesgerichtshof dazu im Januar 2014: BGH, VI ZR 156/13) und dies auch nicht tun. Das bedeutet, dass die betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht wissen, wie ihr Score zustande kommt, da die Auskunfteien sich nur gegenüber den Datenschutzaufsichtsbehörden erklären müssen. Verbraucherinnen und Verbraucher hingegen müssen hoffen, dass aus der „Blackbox Schufa“ ein Score ausgespuckt wird, der ihnen den Vertragsabschluss nicht verhindert.

Nur einmal im Jahr ist die Schufa verpflichtet, Privatpersonen kostenlos Auskunft über die gespeicherten Daten zu geben. Diese Möglichkeit findet sich lediglich versteckt auf der Schufa-Homepage (hier muss man aufpassen, dass man nicht eines der viel prominenter beworbenen kostenpflichtigen Abos auswählt), findet nicht unverzüglich statt und ist umständlich zu beantragen. In den Selbstauskünften steht allerdings nur, welche Daten über die Person gespeichert sind, nicht jedoch, inwiefern und mit welchem Gewicht sie in die Berechnung einfließen.

Hohe Fehlerquoten – Diskriminierung durch Algorithmen

Es lohnt sich allerdings trotzdem, sich – vor allem bevor man einen Kredit aufnehmen oder andere Verträge abschließen möchte – eine Selbstauskunft zu besorgen. Denn in etwa 45 Prozent aller Selbstauskünfte sind Daten fehlerhaft und können für die betroffene Person im Zweifel schwerwiegende Probleme verursachen. Das Projekt „Open Schufa“ hat zudem festgestellt, dass die Score-Werte in jedem vierten Fall auf maximal drei Informationen basieren. Das ist allein deshalb bemerkenswert, da ein Schufa-Score in der Regel aus zwei Nachkommastellen (45,04 Prozent oder 97,41 Prozent) besteht und damit eine Genauigkeit vortäuscht, die gar nicht existiert. Oft handelt es sich dabei um Daten wie Alter, Geschlecht und Wohnort, die nicht oder kaum individuell beeinflussbar sind. Der Score errechnet sich in der Regel aus Werten einer Vergleichsgruppe in ähnlichem Alter, gleichem Geschlecht und ähnlicher Wohnlage. Somit bekommen zahlreiche Verbraucherinnen und Verbraucher ohne eigenes Zutun negative Scores zugeordnet.

Des Weiteren belegen Studien, die die Bundesregierung selbst in Auftrag gegeben hat, dass selbst für Personen, zu denen keine „negativen Merkmale“ gespeichert sind, schlechte Scores berechnet werden und dass Personen, die langlaufende Kredite ordnungsgemäß tilgen, keine gute Bonitätsbewertung erhalten, sondern im Gegenteil eine hohe Ausfallwahrscheinlichkeitseinstufung. Außerdem wurde festgestellt, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb aus den Basisscorewerten im Einzelfall hohe oder niedrige Ausfallwahrscheinlichkeiten von der Schufa angenommen werden und die Fehlerquote weit von einer akzeptablen oder tolerablen Fehlerquote entfernt sei. Der Bericht kommt gar zur folgenden Schlussfolgerung: „Wenn nun offenkundig die Basisscores zwar mathematisch berechnet worden sind, aber ihre inhaltliche Bedeutung beliebig und willkürlich zu sein scheinen, dann sind sie kein valides Bonitätsinstrument, sondern reduzieren sich zu einem reinen Marketinginstrument zur Durchsetzung höherer Kreditkosten.“

Lobbyeinfluss sichert Verbraucherfeindlichkeit

Dass sich private Auskunfteien derart verbraucherfeindlich verhalten und dies seit Jahren von der Politik durchgewunken wird, verwundert insofern nur wenig, als das Gesetz, das die Geschäftspraktiken der Auskunfteien regulieren soll – das 2010 in Kraft getretene Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) – durch erheblichen Lobbyeinfluss von Adressbuchhändlern, Zeitungsverlegern, Banken und der Auskunfteien selbst verwässert wurde.

Obendrein basiert die obengenannte Überprüfung der Scoring-Verfahren durch die Datenschutzaufsichtsbehörden zu einem wesentlichen Teil auf der Grundlage von Gutachten, die die Auskunfteien selbst bei Universitäten und Wissenschaftlern in Auftrag gegeben haben. Anstatt dass unabhängige Gutachten erstellt werden, wählen Auskunfteien Institute aus, beauftragen und bezahlen sie. Dies stellt einen offensichtlichen Interessenkonflikt dar. Es ist zu bezweifeln, dass die Kontrolle der Datenschutzaufsichtsbehörden auf Basis solcher Gutachten wirklich effektiv und zweckdienlich ist.

Tatenlosigkeit der Regierung in Anbetracht von Armutsdiskriminierung

Die Bundesregierung lässt die Auskunfteien also seit Jahren auf Kosten von Verbraucherinnen und Verbraucher gewähren und bleibt tatenlos in Anbetracht der Diskriminierung ärmerer Menschen. Ich habe im Frühjahr in einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung auf all diese Missstände hingewiesen und gefragt, inwiefern sie gedenkt, tätig zu werden. Leider sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, sie leugnet sogar ein etabliertes „System der Schufa-Abfrage bei der Wohnungsvergabe“ (KA samt Auswertung zu finden auf den Seiten der LINKEN).

Daher werde ich noch in diesem Jahr einen Antrag in den Bundestag einbringen, der für private Auskunfteien strengere Regeln und ein deutlich eingeschränkteres Handlungsfeld vorsieht. Es braucht dringend politische Antworten auf den exzessiven Gebrauch der Bonitätsabfragen in fast allen Lebensbereichen, auf die damit einhergehende Armutsdiskriminierung, das Verwehren von WSK-Rechten und die Vergrößerung der sozialen und ökonomischen Spaltung der Gesellschaft. Vor allem die sicher noch lange nachwirkenden Folgen der Corona-Pandemie, die viele Menschen, Kleinunternehmerinnen und Soloselbständige in finanzielle Probleme bringen, werden sich auch auf negative Schufa-Einträge auswirken und den Betroffenen noch über Jahre hinweg existentielle Probleme verursachen. Daher wäre Tatenlosigkeit hier fatal.

Mehr Transparenz schaffen – Wirkungskreis radikal einschränken

Auskunfteien müssen verpflichtet werden, ihre Bonitätsberechnungen derart transparent und nachvollziehbar für Verbraucherinnen und Verbraucher offenzulegen, dass diese darüber informiert sind, welche ihrer Daten mit welcher Gewichtung und welchem Einfluss auf den Score in der Berechnung genutzt werden. Zudem muss es für Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit geben, Schadensersatz von den Auskunfteien beziehungsweise ihren Vertragspartnern zu erhalten, wenn ihnen aufgrund von fehlerhaften Daten und Berechnungen Schäden entstehen. Denn Fehler bei der Berechnung von Scores gefährden Existenzen von Privatpersonen und Kleinunternehmern, wenn diese etwa von der Bank keine Kredite mehr bekommen, um in ihr Geschäft zu investieren. Auch die Möglichkeit von Verbandsklagen muss eröffnet werden.

Das Geschäftsfeld der Auskunfteien muss zudem deutlich eingegrenzt werden. Bei Rechtsgeschäften, die keine Kredite sind, muss das Einholen von Bonitätsabfragen verboten werden. Das gilt genauso für das Vorlegen von Selbstauskünften etwa bei der Anbahnung von Mietverträgen. Der Verstoß dagegen muss natürlich entsprechend mit Bußgeld bestraft werden. Und natürlich müssen die Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder personell und finanziell besser ausgestattet werden, um Kontrollen bei den Auskunfteien durchzuführen, die diesen Namen auch verdienen. „Kontrollen“ auf Basis von durch Auskunfteien beauftragte und bezahlte Gutachten sind zu verbieten.

Das wäre zumindest ein Anfang, um den Auswirkungen der Geschäftspraxis entgegenzuwirken. Grundsätzlich müssen wir das System von Bonitätsabfragen und die dahinterstehende neoliberale kapitalistische Logik in Gänze überwinden und für einem diskriminierungsfreien Modus auch bei der Vergabe von Krediten kämpfen.

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3 Responses

  1. Danke, dass sich darum endlich gekümmert wird. Es kann nicht sein, dass mein Wohnort Grund für meinen schlechten Score sein kann. Oder, wenn ich mehrmals umziehe, darauf geschlossen wird, dass meine Bonität negativ sei.
    Ich kann niemals mein Konto überziehen, immer meine Rechnungen bezahlen und doch einen niedrigen score bekommen, nur weil ich im „falschen Stadtteil“ lebe, oder häufig im Internet bestelle, oder mein Alter und Geschlecht nicht „passt“.
    Das muss kontrolliert und überwacht werden.
    Viel Erfolg mit deinem Antrag!

  2. Was genau erwartet man in einer kapitalistischen Ordnung wenn als oberstes Prinzip der Schutz von Eigentum, Investitionen und Profiten steht? Alles Dinge von denen die gerühmten und geschmäten verachteten 99% nichts, das 1% aber alles hat. Weit vor allem anderen und eben auch weit vor dem was normale nicht besitzende Menschen von einem solchen neoliberal-kapitalistischen System als Schützenswert einstufen. DIe Schufa ist integraler Bestandteil einer solchen Ordung ebenso wie Rating Agenturen einer sind. Beides und noch viel mehr wurde mit voller Absicht parallel zu einer eventuellen demokratischen Grundordung aufgebaut. Kapitalismus braucht Demokratie, Mitsprache, Transparenz absolut nicht… und will es auch nicht. So darf man ohne weiters erkennen das vieles um uns herum im eigentlichen SInn als kriminell einzustufen ist weil die Anliegen der 99% ignoriert werden. Die Freiheit von Kapital ist der böse Antagonist der Freiheit der Anderen.

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