Was in vielen Ländern noch Befürchtung ist, kennt Norwegen schon seit drei Jahren. Mit der Fortschrittspartei (FrP) regiert seit 2013 eine rechtspopulistische Partei in einer Koalition mit den Konservativen das Land, ohne dabei an Zustimmung einzubüßen. Auch in Norwegen wird eine Debatte um Flüchtlinge, nationale Identität, und Ressourcenverteilung geführt, den Rechtspopulisten um Finanzministerin Siv Jensen ist es gelungen, die Debatte um Immigration und Integration zu bestimmen, die öffentliche Meinung stückweise nach rechts zu verlagern, und dem Schatten des Rechtsterroristen und ehemaligen Mitglieds Anders Behring Breivik zu entfliehen. Auch die Flüchtlingszahlen nahmen dramatisch ab, der Kurs der Regierung steuert nach rechts.
Mit das schlechteste, das einer Partei im Wahlkampf passieren kann, ist schlechte Presse zu haben. Bei der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, Fremskrittspartiet in norwegisch, wäre schlechte Presse noch weit untertrieben, denn zwei Jahre zuvor erschütterte der größte Terroranschlag der Geschichte Norwegens Land und Leute. Im Juli 2011 tötete der Neonazi Anders Behring Breivik bei zwei separaten Anschlägen in Oslo und Utøya insgesamt 77 Menschen, zumeist junge Menschen, die der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei angehörten. Sie verkörpern den Multikulturalismus, den Breivik als Sündenfall des Abendlandes und speziell der norwegischen Gesellschaft bezeichnete. Die Terroranschläge haben sich tief ins Gedächtnis der Norweger*Innen gebrannt.
Wie nach den Terroranschlägen bekannt wurde, war Breivik sieben Jahre lang selbst Mitglied in der FrP, verließ diese wohl aber aus Unzufriedenheit über deren nicht radikal genug propagierten Parteilinie. Für die FrP bedeutete der Zusammenhang zwischen Breivik und der Partei ein erheblicher Image-Schaden, dennoch schaffte es die Parteivorsitzende Jensen ihre Partei wählbar zu halten. Mit über 16% büßte man zwar über 6-Prozentpunkte ein, wurde aber drittstärkste Kraft und zog in einer von den Konservativen angeführten Koalition in die Regierung ein. Nun darf die FrP seit 2013 selbst gestalten, bemüht sich von Rechtsextremisten in anderen Ländern abzugrenzen, und stattdessen die bürgerliche Fassade zu betonen, mit Erfolg. Auch im Sommer 2016 könnte die FrP ihr Wahlergebnis von 17% mühelos verteidigen.
Wie rechts ist die FrP?
Im Gegensatz zu anderen rechtspopulistischen Parteien wie der Danske Folkeparti (Dänische Volkspartei), entstand die FrP nicht am traditionellen rechten Rand der Gesellschaft. Als sie 1973 vom Gründer Anders Lange ins Leben gerufen wurde, hieß sie nicht nur anders, sie konzentrierte sich auch auf Steuer- und Abgabepolitik, war also eine reine Protestpartei ohne nationalistischen Hintergrund. Mit ihrer strengen Rhetorik gegen Staatsintervention und Bürokratie enterte sie im selben Jahr das norwegische Parlament, das Storting. Sie war also wirtschaftlich (neo-)liberal und gesellschaftlich, sofern sie zu diesen Themen Stellung bezog, rechtskonservativ. Immigration war sowieso noch kein Thema, das die Norweger*Innen beschäftigte.
Mit dem rasanten wirtschaftlichen Aufstiegs Norwegens, war auch eine Öffnung des Arbeitsmarktes notwendig, um den Bedürfnissen der Wirtschaft gerecht zu werden. Zunächst wurden Menschen aus den umliegenden nordischen Ländern aufgenommen und schnell integriert. Erst in den 1980er Jahren wurde Immigration zu einem Politikum, als der damalige Parteichef Carl I. Hagen in einem gefälschten Brief eines fiktiven Muslim das Land vor der islamischen Machtergreifung warnte. Durch Konflikte in Europa und dem Nahen Osten verwandelte sich Norwegen zu einem Einwanderungsland, fast vergleichbar zu Schweden, das auch eine relativ liberale Einwanderungspolitik betrieb.
Die Angst vor kulturell Fremden wurde eines der Markenzeichen der FrP, so treten auch immer mehr Gemeinsamkeiten zu rechten Splitterparteien wie der österreichischen FPÖ, der britischen UKIP, und der schwedischen SD auf. Die norwegische Politikwissenschaftlerin Anniken Hagelund von der Universität Oslo beschrieb die „problematisation“ der politischen Agenda, weg von nur Wohlfahrt und Steuern zu Kultur, Identität, und Immigration. Dabei werden letztere Aspekte in problematischen Kontexten präsentiert, der bürgerliche „Schein“ soll aber gewahrt bleiben, denn die Norweger*Innen in der Gesamtheit gelten eigentlich als tolerant und moderat, wenig empfänglich für scharfe Rechtskurven in ihrer politischen Einstellung. Wie auch, wenn das Land wohlhabender, stabiler, und friedlicher als jedes andere in Europa ist?
Wissenschaftler betiteln die FrP mal als „neoliberal-populistisch“, aber das blendet die genuin xenophobe Gesinnung aus, die die FrP gesellschaftspolitisch charakterisiert. Vergleiche zum französischen Front National oder zur amerikanischen Tea Party, die viel auffälliger und offensichtlicher rassistisch argumentieren, bilden die FrP aber auch nicht optimal ab, noch nicht zumindest. Sicher ist aber, dass der klare rechte Tonfall seit ex-Parteichef Hagen mit zum Markenkern wurde. Begriffe wie eine Übernahme Norwegens durch Muslime und der Albtraum des Abendlandes eines „Eurabia“ fanden durch Hagen den Weg in die politischen Debatten. Das Attentat Breiviks und sein rechtsradikales Gedankengut entstanden nicht im luftleeren Raum, irgendwo fernab von äußeren Einflüssen. Islamophobie als „Ur-Angst“ vieler Europäer*Innen ist auch in der norwegischen Gesellschaft existent.
Wo setzt die FrP an?
Einer der Grundpfeiler aller skandinavischer Staaten, sozusagen das Geheimrezept für deren wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Entwicklung, ist der Wohlfahrtsstaat. Auch die norwegische Gesellschaft beruht auf einem egalitären Fundament, in dem der Markt größtenteils von der Politik kontrolliert wird, die Bevölkerung hohes Vertrauen in Institutionen pflegt, und die sozio-ökonomischen Unterschiede zwischen den Menschen relativ gering sind. Wo andere Staaten noch über gender equality streiten, ist dies in Norwegen seit Jahrzehnten keine Diskussion mehr. Der Sozialstaat, der kostenfreie Bildung und Gesundheit garantiert, wird von vielen Ländern beneidet. Die reichen Öl- und Gasvorkommen, das weitsichtige und gerechte Verteilen des dadurch gewonnenen Wohlstandes trug entscheidend dazu bei, dass Norwegen in den meisten Rankings regelmäßig die Nummer eins geworden ist.
Heute beträgt die Summe des in den Staatsfond eingezahlten Geldes fast 800 Milliarden Euro, die je nach Lage für Staatsausgaben herangezogen werden können. Im Hinblick auf die jahrzehntelange norwegische Erfolgsgeschichte stellt sich die Frage, in welchen Raum die FrP da überhaupt vorstoßen kann. Für die seit 2006 an der Parteispitze stehenden Siv Jensen galt es einen Mittelweg zwischen Rechtspopulismus und dem Anstand der politischen Mitte zu finden, was ihr nachweislich glückte. Bereits 2009, weit bevor europäische Regierungen vor der sogenannten Flüchtlingskrise zu zittern begannen, fuhr die FrP bei den Parlamentswahlen mit 23% das beste Ergebnis der Geschichte ein. Spätestens hier war der Rechtsruck perfekt, auch wenn die Sozialdemokraten an der Regierungsspitze blieben.
Mit der Globalisierung und einer neoliberaleren Ausrichtungen in Oslo, wurden die so traditionsbewussten Menschen mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Auch in Norwegen geisterte der Begriff der schleichenden Islamisierung herum. Als Immigration und Integration zunehmend negativ konnotiert wahrgenommen wurden, begann sich das Blatt zu wenden, denn keine andere Partei weiß mit den Vorurteilen gegenüber dem Fremden so effektiv zu spielen, wie die FrP. In einem Land von 5 Millionen Einwohnern lässt sich durchaus mit Ängsten vor Überfremdung und dem Ausnutzen des großzügigen norwegischen Sozialstaates Wählerstimmen machen. Das Zerrbild von Millionen von Flüchtlingen, die wie im Nachbarland Schweden „massenweise“ Asyl beantragen und womöglich Terrorismus und Ghettoisierung mit sich bringen, konnte sich die FrP zunutze machen. Als 2015 die Dynamik um die Flüchtlinge ihren Höhepunkt erreichte, stellten etwa 35.000 Menschen Asyl in Norwegen, die meisten von ihnen kamen über die Polarroute aus Russland. Heute ist bekannt, dass einige FrP-Abgeordente Norwegens Austritt aus der Genfer Flüchtlingskonvention fordern, und die Regierung nachweislich Kriegsflüchtlinge – trotz Kritik vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR – zurück in die Kriegsgebiete geschickt hat.
Die neuen Strategien der Rechten
Gewiss versteht auch die FrP es, rechte Tendenzen in der Gesellschaft aufzunehmen und daraus Kapital zu schlagen. Immigration ist eines der polarisierendsten Themen im politischen Tagesgeschehen, und nicht durch Zufall werden besonders gesellschaftliche und wirtschaftliche Missstände heutzutage kausal mit eigentlich fernliegenden Fragen verknüpft, wie Kultur, Religion, oder ethnische Zugehörigkeit. Dieses Phänomen ist natürlich nicht nur in Norwegen zu entdecken, es liefert Erklärungsansätze auch in den anderen Ländern, in denen die Rechte an Zustimmung gewinnen. In Norwegen ist die FrP zuständig, Politik in diesem Sinne umzudeuten. In der Politikwissenschaft ist dabei dann die Rede von „culturalization of politics“. Mahmoud Mamdani von der New Yorker Columbia Universität sieht dieses Konzept folgendermaßen: Soziale Probleme werden im kulturellen Kontext verstanden; und Verarmung, Prekarisierung, und Integrationsprobleme demnach kulturell, religiös, oder ethnisch erklärt. Verantwortlich für das nicht reibungslose Funktionieren von Integration ist immer der kulturelle Hintergrund, nicht aber Diskriminierung am Arbeitsmarkt, fehlende Sprach- und Bildungsinklusion, oder andere sozio-ökonomische Missstände, die auf Staat und Wirtschaftssystem zurückgehen.
Das rechte Wählerpotenzial wird gemeinhin um die 15% geschätzt. Einige davon wählen Rechtspopulisten nicht nur, sie teilen auch von grundauf deren Ideologie und engagieren sich deshalb. Andere wiederum sträuben sich mit den Rechten direkt in Verbindung gebracht zu werden, wählen sie aber dennoch, und eine dritte Gruppe der „Radikalen“ wählt eine rechtspopulistische Partei zwar nicht, stimmt ihrer ablehnenden und ausgrenzenden Immigrationspolitik aber in jedem Fall zu. Allein diese Wählergruppierungen dienen Parteien wie der FrP als Basis und konkurrieren mit den übrigen Parteien aus dem „Establishment“ wie der Arbeiter- oder der Konservativen Partei, oder anderen Kleinparteien. In einer Studie untersuchten die drei Politikwissenschaftler*Innen Catherine Fieschi, Marley Morris, und Lila Caballero, wie sich die rechte Wählerschaft zusammensetzt, auch im norwegischen Zusammenhang.
Zweifellos hat sich die FrP auch nach der Regierungsbeteiligung als politische Kraft etabliert. Seit Dezember 2015 führt man nun lautstark auch das neueingerichtete Ministerium für Immigration und Integration, das Norwegen ziemlich konsequent vor Einwanderung schützt. Oslo hat seine Immigrationspolitik deutlich verschärft, ähnlich wie Dänemark, und verfolgt diese Linie umso strikter seit die FrP mit im Kabinett sitzt und den öffentlichen Diskurs bestimmt. Die Zahlen sind drastisch gesunken, das ist vor allem der FrP zu „verdanken“ und es soll so weitergehen: Bilaterale Vereinbarungen mit post-Konfliktstaaten wie Afghanistan und Eritrea sind auf dem Weg. Auch für klassische Kriegsflüchtlinge möchte die FrP den Eingang ins wohlhabendste Land des Kontinents versperren, ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft wird darüber wohl nicht unglücklich sein, den Ruf als Musterland kann Norwegen dann aber nich mehr ganz so ungetrübt tragen.