Im Vergleich zur historischen Höchstmarke von 2019 sind die Waffenexportgenehmigungen der Bundesrepublik Deutschland in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 gesunken. Allerdings trügt der Schein. Deutsche Waffen spielen eine immer entscheidendere Rolle für kriegführende Drittstaaten.
Mit genehmigten Kriegswaffen im Wert von etwa 2,6 Milliarden Euro und 5,4 Milliarden-Euro-schweren „sonstigen Rüstungsgütern“ markierte 2019 einen historischen Rekord an Rüstungsexporten aus Deutschland. Im Jahr 2020 weisen die Zahlen bisher auf einen Rückgang hin. Aus den veröffentlichten Werten für das dritte Quartal des Jahres 2020 ergibt sich für alle bisher genehmigten Rüstungsexporte ein Gesamtwert von 4,1 Milliarden Euro. Allerdings ist die Lage weniger klar als dieser Vergleich annehmen lässt. Die Zahlen für den Zeitraum vor dem vollen Umfang der Pandemie-Einbrüche weisen im Gegenteil auf eine Fortführung des Trends hin. Der Export von deutschen Kriegswaffen ist im Vergleich zum Rekordjahr im ersten Jahresdrittel sogar um 40 Prozent angestiegen.
In den ersten vier Monaten bis einschließlich April wurden aus Deutschland Kriegswaffen im Wert von mehr als 492 Millionen Euro geliefert. Davon machten Lieferungen an Nato-Staaten nur etwa 182 Millionen Euro aus und Lieferungen an EU-Staaten rund 51,6 Millionen. Dahingegen hat der Export in Drittländer außerhalb der EU und der Nato im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Mit 58,3 Prozent erfolgte in diesem Jahr bislang mehr als die Hälfte der Exportgenehmigungen der Bundesregierung an Drittstaaten. Die Hauptempfänger solcher Waffen- und Rüstungsexporte aus Deutschland sind zudem Länder, die an Kriegen beteiligt sind und/oder in denen eine besorgniserregende Menschenrechtslage herrscht. Auf der Rangliste ganz oben stehen Staaten wie Ägypten, die militärisch in Kriegs- und Krisengebieten wie Libyen oder Jemen involviert sind. Rüstungslieferungen an Drittstaaten sollten Ausnahmen darstellen, da die Bundesregierung sich offiziell einer „restriktiven und verantwortungsvollen Genehmigungspraxis“ verschreibt. Im Artikel “Rüstungsexportkontrolle” des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie heißt es dazu: “Rüstungsexporte sind kein Mittel der Wirtschaftspolitik und keine Exporte wie alle anderen. Die Bundesregierung hat sich daher in diesem sensiblen Bereich besonders strenge Regeln auferlegt und verfolgt eine äußerst restriktive Genehmigungspolitik.” So versuche man „durch eine Begrenzung und Kontrolle der deutschen Rüstungsexporte einen Beitrag zur Sicherung des Friedens und der Menschenrechte, zur Gewaltprävention sowie einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt zu leisten“.
Die Realität sieht anders aus. Die Waffengeschäfte boomen vor dem Hintergrund laufender Ermittlungen gegen deutsche Rüstungsunternehmen. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung unter Union und SPD von 2018 heißt es, man wolle „ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind“. Bereits im Folgejahr reichten Menschenrechtsorganisationen aus mehreren europäischen Ländern und dem Jemen eine Strafanzeige gegen Rheinmetall und Airbus vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ein. Sie begründeten den Vorwurf der Kriegsverbrechen mit fortlaufenden Rüstungslieferungen der deutschen Unternehmen an Kriegsparteien im Jemen. Zwar hat die Bundesregierung von März bis Ende 2020 ein Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien erlassen, das unmittelbar im Jemen Krieg führt. Über Ägypten, das Teil der Kriegsallianz im Jemen ist, werden jedoch weiterhin deutsche Waffen in der Kriegsregion genutzt. Die tödlichsten Exporte sind dabei sogenannte „Kleinwaffen“ wie Pistolen und Maschinengewehre. Weltweit zählt der Tod durch Handfeuerwaffen zu den häufigsten Todesursachen. Diese sind für ungefähr 95 Prozent der Kriegstoten in den letzten Jahren verantwortlich. Betroffen sind vor allem Zivilisten. Laut UNICEF sind der überwiegende Großteil, bis zu 80 Prozent, der Opfer durch den Gebrauch dieser Waffen Frauen und Kinder. Erst jüngst beklagten die Hilfsorganisationen Brot für die Welt und Terre des Hommes Kinderrechtsverletzungen durch deutsche Rüstungsexporte in der Studie „Kleinwaffen in kleinen Händen – Deutsche Rüstungsexporte verletzen Kinderrechte“. Das Vorgehen der deutschen Bundesregierung unterstütze die Tötung von Kindern und die Rekrutierung von Kindersoldaten.
Dass deutsche Waffenexporte unter anderem coronabedingt geringer ausfallen, gibt also keinen Anlass zur Annahme, dass der de facto Einsatz von deutschen Rüstungsgütern bei Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen abgenommen hat. Deutschland bleibt auch 2020 einer der bedeutendsten Rüstungsexporteure der Welt. Die Bundesregierung ist auch 2020 an militärischer Aufrüstung und offenen Kriegsgefechten in Krisengebieten beteiligt. Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete können niemals einen Beitrag zur Stabilisierung leisten. Stattdessen heizen sie die Gewaltspirale weiter an. Ein notwendiger Beitrag zu einer tatsächlichen Stabilisierung der Situation in Krisengebieten wäre im Gegenteil, zumindest keine Waffenexporte mehr an Länder außerhalb von EU und NATO zu liefern und die Waffenlieferungen an Länder, die in Kriegshandlungen in solchen Kriegsgebieten involviert sind, zu beenden. Der nächste Schritt wäre, sich auch innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass sich alle Mitgliedstaaten dieser Entscheidung anschließen.
Ein Artikel vom Demokratiezentrum für Transparenz
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