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Was die israelischen Wahlen für uns in Gaza bedeuten? Nichts!

Vor fünf Monaten schrieb ich einen Kommentar zu Israels Parlamentswahlen in dem ich argumentierte, dass diese Wahlen für uns Palästinenserinnen und Palästinenser als eingeborene Bevölkerung des Landes nichts bedeuten. Die Israelis sind nun ein weiteres Mal an die Wahlurnen getreten- und scheinbar mit ähnlichem Ergebnis wie im April. Die Israelis wissen immer noch nicht wer ihr Premierminister wird.

Wir Palästinenserinnen und Palästinenser aber wissen bereits, dass er ein weißer, aschkenasischer Mann sein wird und dass er dem zionistischen Konsens verpflichtet sein wird, der jenseits der innenpolitischen Agenden über alle Parteigrenzen hinweg herrscht. Ob es nun Benny Gantz wird, ein ausgesprochener Kriegsverbrecher, oder Benjamin Netanyahu oder irgendein anderer Spitzenpolitiker- wir wissen schon jetzt, dass er keinen unabhängigen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 anerkennen wird. Noch wird er der Rückkehr der Palästinenserinnen und Palästinenser aus den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern in ihre Heimat zustimmen. Er wird keine palästinensische Souveränität in Jerusalem zulassen, noch wird er die Räumung der israelischen Siedlungen in der Westbank durchsetzen. Beinahe alle politischen Parteien in dieser Wahl sind zionistisch, vielleicht mit der Ausnahme der „Joint Arab List“ (Sammelbewegung der arabischen Parteien).

Der politische Wettkampf fand in dieser Wahl zwischen Politikern statt, die sich in den letzten Jahren darüber gestritten haben, wer mehr Palästinenser getötet habe. Benny Gantz prahlte damit, dass er „Teile von Gaza in die Steinzeit zurückgeschickt“ habe „indem er 6231 Ziele zerstörte“. Netanyahu feierte die rassistische Natur des Staates Israel folgendermaßen: „Israel ist kein Staat seiner Bürger …. Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes- und des jüdischen Volkes allein!“ Zu diesen nationalistischen Parolen des 19. Jahrhunderts gesellt sich noch Avigdor Liebermans unverhüllter Aufruf zur ethnischen Säuberung an den israelischen Palästinensern und seine Verteidigung des „Abhackens“ der Köpfe all jener „Araber“, die gegen Israel sind. Und dann ist da noch Naftali Bennet, der angibt, dass er „viele Araber getötet“ hat. Diese Zitate vermitteln einen Eindruck davon, wohin sich Israel bewegt.

Für uns Palästinenser gibt es nichts zu feiern. Die unterdrückten Schwarzen in Südafrika waren auch nicht besonders exaltiert über die Wahlen des Apartheidregimes, in denen sie keine Stimme hatten. Auch wäre es ihnen nicht in den Sinn gekommen, eine „Präferenz“ für diese oder jene Partei zu zeigen. Ihnen war es gleich, ob P.W. Botha, Eugène Terre Blanche oder auch ein Politiker der Liberalen Partei gerade die Hauptrolle spielte- solange der Apartheidscharakter des Staates gleich blieb. Ähnlich gilt für uns; es ist eben diese Apartheid in Israel, die angefochten werden muss. Und mit ihr das vielgleisige Unterdrückungssystem, die diesen Staat als Siedlerkolonie kennzeichnet, der auf der ethnischen Säuberung der ursprünglichen Bevölkerung basiert. Keine einzige israelische Partei ist dazu ideologisch in der Lage. Konkret: keine einzige israelische Partei vermag es die notwendigen Fragen nach der Gleichberechtigung aller Bürger oder dem palästinensischen Rückkehrrecht aufzuwerfen oder gar das eigene politische Führungspersonal – ebenjene, die aus den Wahlen gerade als Sieger hervorgegangen sind- vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen. Sogar die Joint Arabic List war an einem Punkt bereit mit dem Kriegsverbrecher Benny Gantz zu flirten, um einen anderen Kriesgsverbrecher, Netanyahu, aus dem Amt zu vertreiben. Als ob dies für die belagerten und abgeschlachteten Palästinenser Gazas und der Westbank irgend etwas bedeute!

Was für uns zwölf Millionen Palästinenser, die in der Westbank, in Gaza und in der Diaspora leben, sowie die 1,6 Millionen Palästinenser, die als Bürger zweiter Klasse in Israel leben, Sinn machen würde: die Ent-Zionisierung des Staates Israel als Startpunkt und die Verpflichtung zur sofortigen Anwendung internationalen Rechts, sowie die Ermöglichung der Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Dörfer und Städte aus denen sie 1948 vertrieben wurden. Kurz gefasst, nur eine säkulare Demokratie in einem Rechtsstaat, der ALLE seine Bürger unabhängig von ihrer religiösen oder ethnischen Herkunft gleich behandelt wäre etwas, das zu feiern wert wäre. Alles was unterhalb dieser Zielmarke bleibt stellt das Recyclingprodukt eines Ethnonationalismus des 19. Jahrhunders in schönen neuem Outfit dar. Und dies bedeutet uns Palästinensern eben: nichts.

Haidar Eid ist außerordentlicher Professor für postkoloniale und postmoderne Literatur an der al-Aqsa Universität, Gaza. Neben seinen politischen Kommentaren veröffentlicht er auch regelmäßig zu seinen Fachbereichen Cultural Studies und Literatur.

Übersetzung: Christoph Glanz.

Der ursprüngliche Text erschien bei Mondoweiss unter folgendem Link: https://mondoweiss.net/2019/09/israels-snap-election/


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