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Verkäuferinnen und Pflegekräfte sind mehr wert als ein Danke

Als Heldinnen und Helden wurden Kassiererinnen, Paketboten und Pflegerinnen zu Beginn der Pandemie gefeiert. Doch an ihren niedrigen Löhnen und miesen Arbeitsbedingungen hat sich nichts geändert – und die Aussichten sind laut einer aktuellen Studie trübe. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert.

In einem Drogeriemarkt in Essen sortiert Farina Kerekes Hautcremes, Spülmaschinensalz und Haferbrei in die Regale. Später wird sie die Einkaufswagen und Tragekörbe desinfizieren und an der Kasse die Kundinnen und Kunden bedienen. Als Einzelhandelskauffrau arbeitet die 30-Jährige in Teilzeit 30 Stunden pro Woche in der Filiale. Sie ist eine von rund drei Millionen Beschäftigten in Deutschland, die sich angesprochen fühlen durften, als Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer TV-Ansprache zu Beginn der Pandemie sagte: „Lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt.“

Doch diesen Dank empfand Farina Kerekes bereits damals als Hohn. „Ich bin keine Heldin. Ich mache das nicht ehrenamtlich. Das ist mein Job“, sagte sie in einer Dokumentation des NDR, „und ich möchte dafür respektiert und angemessen entlohnt werden.“ Im Frühjahr startete sie die Petition „Wir sind mehr wert als ein Danke. Der Handelsaufstand beginnt jetzt!“, die in kurzer Zeit von mehr als 18.000 Menschen unterzeichnet wurde. Der wichtigste Punkt dieser Petition ist die Forderung nach der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen im Handel. Das Ziel ist, dass für alle Unternehmen und alle Beschäftigten in dieser Branche derselbe Tarifvertrag gilt. Tarifverträge regeln nicht nur die Entlohnung, sondern auch Arbeitsbedingungen, Urlaubsansprüche und Sonderzahlungen. Gelten überall dieselben Bedingungen, können sich Unternehmen keine Wettbewerbsvorteile auf dem Rücken der Beschäftigten verschaffen, indem sie deren Löhne drücken. Heute profitieren nur noch etwa 35 Prozent der Beschäftigten im Einzel- und Versandhandel von Tarifverträgen.

Noch immer ist Farina Kerekes wütend, dass die Bundeskanzlerin Kassiererinnen und Verkäuferinnen für systemrelevant erklärte, aber seitdem tatenlos zusieht, wie diese Berufe weiterhin an schlechter Bezahlung, miesen Arbeitsbedingungen und fehlender gesellschaftlicher Anerkennung leiden. „Frauenberufe“ sind oft schlecht bezahlt und erfahren kaum Wertschätzung. Die Gefahr der Altersarmut ist größer als in anderen Berufsgruppen. Das gilt für Gesundheit, Pflege und Erziehung ebenso wie für den Handel, wo rund 70 Prozent der Beschäftigten weiblich sind.

Beschäftigten drohen Reallohnverluste

Tatsächlich belegt eine aktuelle Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, dass ausgerechnet die Berufe, deren Bedeutung für die Gesellschaft in der aktuellen Pandemie besonders auffällt, mittelfristig nicht mit Lohnsteigerungen rechnen dürfen – im Gegenteil. Der neoliberale Thinktank hat die Entwicklung der prognostizierten Löhne und Gehälter bis zum Jahr 2025 untersuchen lassen und dabei bemerkenswerte Ergebnisse erzielt. So drohen den Beschäftigten in den unteren Lohngruppen in der Pflege und im Einzelhandel in den nächsten Jahren Reallohnverluste. Laut der Studie wird das Jahreseinkommen von Beschäftigten im Einzelhandel rund 10.000 Euro unter dem Durchschnittseinkommen liegen, im Gesundheits- und Sozialwesen wird es immer noch rund 4.400 Euro darunter liegen.

Die Beschäftigten in der Pflege und im Einzelhandel haben mehr verdient. Schon vor der Corona-Krise haben die Menschen in diesen Berufen zu wenig Lohn bekommen. Jetzt in der Krise leisten sie unter enormem persönlichem Einsatz noch mehr als sonst schon. Die Gehaltsaussichten bleiben aber düster. Diese mageren Gehaltsaussichten, insbesondere im Einzelhandel, sind auch eine Folge des Umstandes, dass es noch immer keinen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag im Handel gibt. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihren Worten endlich Taten folgen lässt und die nötigen Voraussetzungen für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag schafft.

Im Bereich der Pflege muss der Bund außerdem ein besonderes Interesse daran haben, den Beruf auch mit saftigen Gehaltserhöhungen attraktiver zu machen. Schon vor Corona herrschte in Deutschland Pflegenotstand. Es fehlten und fehlen mindestens 100.000 Pflegekräfte in den Krankenhäusern und nochmal 100.000 in den Altenheimen. Nur wenn mehr Menschen den Pflegeberuf ergreifen, wenn viele in den Beruf zurückkommen und viele der gegenwärtigen Beschäftigten ihre Stunden erhöhen, kann dem Pflegenotstand abgeholfen werden. Dafür müssen die Löhne und Gehälter dringend um 500 Euro pro Monat angehoben werden. Die Bundesregierung sollte zu diesem Zweck einen entsprechenden Fonds im Bundeshaushalt einrichten.

Schließlich darf nicht verschwiegen werden, dass die Besitzer der Supermarkt-Konzerne Aldi und Lidl zu den reichsten Deutschen gehören. Es ist ein Skandal, dass sie ihren Beschäftigten noch immer eine ordentliche Bezahlung verweigern. Es ist deshalb richtig, auch die Milliardärsfamilien Albrecht (Aldi) und Schwarz (Lidl) mittels einer Vermögensabgabe an den Kosten der aktuellen Krise zu beteiligen. DIE LINKE fordert, dass alle Multi-Millionäre 5 Prozent Steuern zahlen auf ihr Vermögen – bei einem Freibetrag von einer Million Euro. Denn Deutschland ist eines von vier Ländern mit den meisten Millionärinnen und Millionären. Hierzulande besitzen die reichsten 10 Prozent mehr als 65 Prozent des gesellschaftlichen Reichtums. Wer diesen Reichtum sozial gerechter verteilen will, muss dafür sorgen, dass dieses Mal nicht die Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnerinnen und Rentner die Kosten der Krise tragen müssen, sondern dass die Superreichen endlich angemessen zur Kasse gebeten werden.

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