Internationale Delegation von Anwälten dokumentiert Lage sahrauischer politischer Gefangener in Marokko. Anschlag auf Menschenrechtskämpferin Sultana Khaja.
Es waren bewegende, erschütternde Zeugenaussagen, die eine Delegation internationaler Juristen Anfang Mai bei einem Besuch in Rabat sammeln konnte. Sie war in die marokkanische Hauptstadt gereist, um sich dort mit Angehörigen der „Gefangenen von Gdeim Izik“ zu treffen und über deren Haftbedingungen zu informieren. 2013, als zum letzten Mal auswärtige Beobachter vor Ort waren, sei die Lage der Inhaftierten „katastrophal“ gewesen, sagte die Leiterin des Teams, die norwegische Anwältin Tone Sørfonn Moe, am Mittwoch auf einer abschließenden virtuellen Pressekonferenz. Heute sei die Situation jedoch „noch schlimmer“.
Die Initiative für die Reise war von der „Genfer Hilfsgruppe“ ausgegangen, einem Zusammenschluss von mehreren hundert Organisationen, die sich für die Westsahara einsetzen. Da damit zu rechnen war, dass die marokkanischen Behörden versuchen würden, die Anhörungen zu verhindern, wurde zunächst Geheimhaltung gewahrt. Tatsächlich wurde Moe, die mehrere der Inhaftierten vor dem UN-Menschenrechtsausschuss vertritt, am Flughafen abgefangen und abgeschoben. Zur Begründung wurde ihr laut Presseerklärung der „Genfer Gruppe“ vom Freitag mitgeteilt, dass sie ein „Problem mit Marokko“ habe. Den fünf weiteren Mitgliedern ihres Teams aber gelang die Einreise. Also fanden schon die Anhörungen per Videokonferenz statt, wobei Moe aus Frankreich zugeschaltet war. Die Aufzeichnungen sollen online gestellt werden.
Verschärfte Repressionen
Bei den Inhaftierten handelt es sich um 19 sahrauische Aktivisten, die im Herbst 2010 während der Proteste von Gdeim Izik in der von Marokko besetzten Westsahara festgenommen worden waren. Bei der kleinen Lokalität vor den Toren der Stadt Laâyoune hatten damals Zehntausende Sahrauis ein Zeltlager errichtet, um über ihre Lage zu diskutieren und ein Ende von Elend und Marginalisierung zu erreichen. Einen Moment lang hatte es den Anschein, als ob der Gouverneur ihnen entgegenkommen wollte. Aber dann stürmten marokkanische Einsatzkräfte im Morgengrauen das Lager und machten es dem Boden gleich. Ein Film über die Ereignisse, den ein spanisch-mexikanisches Team drehen konnte, das in Verkleidung nach Gdeim Izik gelangt war, wurde während der Anhörung am 8. Mai eingespielt. Wenn es um die Besetzung der Westsahara geht, duldet das Königreich keine Kompromisse.
Die 19 Gefangenen sind unter den Sahrauis als Helden angesehen, wie Gdeim Izik überhaupt als Schlüsselmoment in ihrer jüngeren Geschichte gilt. 2013 wurden die Mitglieder der Gruppe in einem ersten Prozess vor einem Militärtribunal zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Ihre angeblichen „Geständnisse“ waren unter Folter erpresst worden. Mehrere Fälle gelangten vor das UN-Komitee gegen Folter, das Marokko wiederholt verurteilte, die Betroffenen zu entschädigen und ihre Prozesse neu aufzurollen, zuletzt im Januar dieses Jahres. Doch das Königreich zeigt den Vereinten Nationen nicht nur die kalte Schulter, indem es schlicht und einfach nicht auf die Urteile reagiert. Wie die jüngsten Anhörungen in Rabat belegen, hat das Königreich seine Repressionen gegen die Inhaftierten immer weiter verschärft, wobei selbst ihre Verwandten einschließlich der Kinder Schikanen und Drohungen ausgesetzt sind.
Aufgrund internationaler Proteste musste Marokko den Prozess gegen die „Gruppe von Gdeim Izik“ 2017 vor einem Zivilgericht wiederholen. Dabei wurden die unter Folter zustande gekommenen „Geständnisse“ nicht in Frage gestellt und die Urteile des Militärtribunals weitgehend bestätigt. Im Anschluss wurden die Gefangenen jedoch zusätzlich bestraft, indem sie weit weg von ihren Familien auf verschiedene Gefängnisse auf marokkanischem Staatsgebiet aufgeteilt wurden. Allein eine Inhaftierung in Marokko widerspricht internationalem Recht, das vorsieht, dass sie in der Westsahara selbst inhaftiert sein müssten. Auch werden sie in der Haft isoliert oder erhalten keine medizinische Betreuung, obwohl mehrere von ihnen unter schweren Krankheiten leiden, wie die Angehörigen berichteten. Zudem könnten sie ihr Recht auf Fortbildung nicht wahrnehmen. Regelmäßig träten sie in den Hungerstreik. Besuche der Verwandten, die Hunderte Kilometer reisen müssen, werden mit dubiosen Begründungen wie dem Fehlen von Genehmigungen oder auch Urkunden wie zum Beispiel Eheverträgen abgelehnt oder auf ein Minimum beschränkt, Telefonate und Gespräche unterbrochen, sobald es um die Haftbedingungen geht, Beschwerden haben Repressionen zur Folge. Ohnehin stünden die Verwandten permanent unter Überwachung. Die Kinder würden an den Schulen gegängelt, weil ihre Väter „Verräter“ seien. Noch weiter verschlimmert habe sich die Situation, seit Marokko am 13. November 2020 den fast drei Jahrzehnte lang währenden Waffenstillstand mit der Befreiungsfront Polisario brach, die darauf den bewaffneten Kampf wiederaufnahm.
Zwölf Jahre lang hätten die „Gefangenen von Gdeim Izik“ willkürliche Haft erdulden müssen, fünf Jahre davon seien sie Folter ausgesetzt gewesen, resümierte Anwältin Moe. Entsprechend forderten die Familien ihre sofortige und bedingungslose Freilassung, in jedem Fall aber eine Verlegung der Gefangenen in die Westsahara und eine Aufhebung der Isolationshaft, ferner Wiedergutmachung oder Reparationen, schließlich einen Schutz vor weiteren Verfolgungen.
Gegen Tyrannei und Terror
Marokko ist aber nicht bereit, im Westsahara-Konflikt nachzugeben, sondern dreht weiter an der Eskalationsspirale auch gegenüber seinem Nachbarn Algerien, dem bedeutendsten Unterstützer der Sahrauis. Einerseits wiederholte der marokkanische UN-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Omar Hilale, am 15. Mai, dass das Königreich das „Selbstbestimmungsrecht der Kabylei“ unterstütze, eine Ansage, die im vergangenen Jahr zu einem Abbruch der Beziehungen zwischen Algerien und Marokko geführt hatte. Andererseits hatte das Königreich kurz zuvor am 12. Mai ein Treffen der „Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat“ in Marrakesch genutzt, um für seinen Autonomieplan für die Westsahara zu werben und die Befreiungsfront Polisario mit den Dschihadisten gleichzusetzen, indem Außenminister Nasser Bourita erklärte, dass „Separatismus und Terrorismus zwei Seiten einer Medaille“ seien. Da ja das Königreich die Westsahara als integralen Bestandteil seines Staatsgebiets ausgibt, ein Anspruch, den der Internationale Gerichtshof 1975 zurückgewiesen hat, gilt die Polisario-Front als sezessionistische Bewegung, obwohl sie lediglich das legitime Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung einfordert.
Genau dies tut auch die sahrauische Menschenrechtskämpferin Sultana Khaja, die in ihrem Haus in Boujdour in der besetzten Westsahara beständigen Angriffen marokkanischer Einsatzkräfte ausgesetzt ist und seit Beginn der Coronapandemie mit ihrer Familie zusätzlich unter Arrest steht. Bei einer Attacke vor einigen Jahren hatte sie ein Auge verloren. Um Khaja beizustehen, reiste im März eine Gruppe US-amerikanischer Aktivisten, als Touristen getarnt, nach Boujdour und gelangte an allen Schergen der Besatzungsmacht vorbei in ihr Haus. Die Überlegung ist dabei, dass Marokko nicht gegen US-Bürger vorgehen werde, da Washington einer der engsten Verbündeten Rabats ist, aber mitunter empfindlich reagiert, wenn es um Menschenrechte geht. Eine Besucherin, Ruth McDonough, trat am 4. Mai zehn Tage lang in den Hungerstreik, um auf die verzweifelte Situation der Sahrauis hinzuweisen und zu erreichen, dass endlich auch der Fall Sultana Khajas von der UN untersucht wird, nachdem der Menschenrechtsausschuss es im März unterlassen hatte, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Dennoch ereignete sich in der Nacht vom 15. auf den 16. Mai ein „bizarrer und verachtenswerter Versuch, Khaja und ihre Gäste zu verletzen“, wie der Westsahara-Experte Stephen Zunes urteilte: Ein Lkw rammte mehrfach ihr Haus und konnte nur von Anwohnern gestoppt werden, die Vorderfront zu durchbrechen, worauf er von der Polizei wegeskortiert wurde.
Wer sind also die Terroristen? Apropos „Islamischer Staat“: Marokko ist genau dies. An der Spitze steht über aller Verfassung der König als „Anführer der Gläubigen“, was nichts anderes als ein Synonym für „Kalif“ ist. Hand aufs Herz: Warum sollten sich die Sahrauis, ja warum sollte sich überhaupt jemand freiwillig einer solchen Willkürherrschaft unterwerfen?
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