„Terror mit Gegenterror zu beantworten, gehört dazu.” – Wie deutsche Medien auf Israels Anschlag in Libanon reagieren.

Terror ist Terror, auch dann, wenn er vom Staat kommt. Auch wenn es keine rechtsgültige Definition von Terrorismus gibt, die im internationalen Recht verankert wäre, gerade weil – wie auch der Bundestag einräumt – die Grenzen zwischen Terrorismus und Freiheitskampf fließend seien, so gibt es doch rote Linien, auf die die Weltgemeinschaft sich geeinigt hat. Deshalb ist es eben kein Widerspruch, dass das palästinensische Volk zwar durchaus ein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf – auch gewaltsamen – Widerstand gegen die erst kürzlich von der UN als illegal eingeordnete Besatzung durch Israel hat, aber die Ermordung von rund 815 Zivilisten am 07. Oktober durch die Hamas und andere militante Gruppen eben nichtsdestotrotz ein Kriegsverbrechen darstellen. Zivilisten sind im humanitären Völkerrecht niemals legitime Angriffsziele. Dabei ist es unerheblich, wer diese Angriffe zu verantworten hat und welche Gründe für diese angeführt werden. Das ist der Minimalkonsens, auf den sich die Staaten der Vereinten Nationen geeinigt haben, um nicht der kollektiven Barbarei zu verfallen.

Die koordinierte Detonation von Pagern, wie sie israelische Geheimdienste durchgeführt haben, wäre als isolierter und gezielter Angriff auf Hisbollah-Mitglieder möglicherweise noch im rechtlichen Rahmen gewesen. Bei dem Angriff wurden aber rund 2.800 Menschen verletzt und mindestens ein Dutzend getötet, darunter auch zwei Kinder. Israel hat bewusst und willentlich in Kauf genommen, dass die Pager überall dort explodieren, wo sich die Mitglieder der Hisbollah gerade aufhielten: im Supermarkt, im Auto, im Krankenhaus oder auf dem Spielplatz. Diese unterlassene Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern ist nicht nur völkerrechtswidrig, wie Human Rights Watch in einem Statement betont, sondern als ernsthafte Verletzung internationalen humanitären Rechts mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein Kriegsverbrechen.

Erst 2022 hat die Bundesregierung auf EU-Vorgaben hin eine Gesetzesvorlage verabschiedet, die die Verherrlichung oder Verharmlosung von Kriegsverbrechen unter empfindliche Strafen stellt. Dass jetzt ausgerechnet aus deutschen Redaktionen Verharmlosungen der israelischen Angriffe zu hören sind, ist ein schwerer Schlag für die moralische Legitimität und Unbefangenheit des deutschen Journalismus, die seit Beginn des Krieges in Gaza ohnehin bereits kaum zu kittende Risse bekommen haben. Statt die perfide Inkaufnahme ziviler Opfer zu verurteilen oder wenigstens in den Rahmen des Völkerrechts einzuordnen, wird der Angriff geradezu gefeiert: Auf den sozialen Medien überschlagen sich einzelne Journalisten in ihrer Begeisterung. Die weiterhin als links geltende taz nennt den Angriff gar eine „militärische Glanzleistung“ und urteilt: „einfach genial”.

Stellen wir uns vor, die Rollen wären umgekehrt und die Hisbollah hätte Mitgliedern der israelischen Armee mit Sprengstoff präparierte Pager untergejubelt, Nachrichten an jene Pager geschickt, um Außenstehende dazu zu bringen, sich ihnen zu nähern und die Kommunikationsgeräte dann detonieren lassen. Stellen wir uns vor, es wären Kinder israelischer Soldaten gewesen, die die Pager auf dem Wohnzimmertisch ihrer Wohnung piepen hören und in die Hand nehmen. Oder malen wir uns die Reaktionen aus, wenn die Pager in einem israelischen, deutschen oder amerikanischen Supermarkt explodiert wären. Wohl keine Redaktion in Deutschland hätte Schwierigkeiten, die terroristische Natur dieses Angriffs zu erkennen, zu benennen und zu verurteilen.

Und in der Tat: In einem Video des Bayerischen Rundfunks bezeichnet der Sprecher den Angriff immerhin als Akt des Terrors, aber als moralisch gerechtfertigt: „Terror mit Gegenterror zu beantworten, gehört dazu“, heißt es. Zwar erkennt der Bericht hier die terroristische Natur des Angriffs an, verharmlost und relativiert ihn aber im selben Atemzug. Plötzlich hat internationales Völkerrecht keine Bewandtnis mehr und darf nach Gutdünken gebogen und gebrochen werden. Entscheidend ist allein, von wem Terror und Gewalt ausgehen.

Journalismus, der nach dieser Prämisse arbeitet, ohne konstante moralische Standards, sondern stattdessen mit selektiver Verurteilung von Gewalt, argumentiert für die Barbarei, für eine Aushöhlung internationaler humanitärer Standards und fördert bewusst und willentlich die Vorstellung, dass Gewalt nur gegen manche, aber nicht gegen alle Zivilisten ein Verbrechen darstelle. Doch das hart erkämpfte Völkerrecht gilt gleichbedeutend und universell für alle Menschen. Es interessiert sich nicht dafür, welche Parteien im Interesse Deutschlands, des Westens oder seiner Alliierten handeln. Und egal, ob als Reaktion auf einen Terrorangriff oder als Widerstand gegen illegale Besatzung: Zivilisten bewusst zur Zielscheibe zu machen oder ihre Tötung willentlich in Kauf zu nehmen ist ein Verbrechen.

Der Angriff in Libanon war ein wahlloser Angriff in einer zivilen Umgebung, ein Terrorangriff nach jeder gängigen Definition und aller Wahrscheinlichkeit nach ein Kriegsverbrechen. Wenn Journalismus über Kriegsgeschehen berichtet, das Zivilisten betrifft, muss er konstant und präzise sein in seiner Berichterstattung. Weder heiligt der Zweck die Mittel, noch heiligt die Identität des Angreifers den Angriff.

Ein Beitrag von Nadir Aslam

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